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Verschlossene Münder in Wuhan. Was geschah am Ursprungsort der Corona-Pandemie?

© Ng Han Guan/AP/dpa

Propagandakrieg zwischen Peking und Washington: Wer ist die Weltmacht Nr. Eins nach Corona?

China desavouiert sich durch Desinformation, Trumps Amerika durch Ignoranz. In der Pandemie kann Europa zum Vorbild werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Das Coronavirus ist eine Plage für viele Länder. In einer idealen Welt würden sie zusammenarbeiten, damit möglichst wenig Menschen sterben. Die reale Welt ist nicht so. Regierungen fühlen sich zuallererst ihren Bürgern verpflichtet. Sie handeln national-egoistisch, selbst in der EU, die doch eine Solidargemeinschaft sein will. Die Pandemie löst zudem einen Wettbewerb aus, welche Großmacht und welches Gesellschaftssystem die Krise am besten meistert.

Wer als Vorbild gilt, hat Einfluss: wirtschaftlich und politisch

Pathetisch gesagt ist das eine Konkurrenz, wer die Nummer Eins nach Corona sein wird. Es geht nicht nur um Prestige. Wer als Vorbild gilt, hat Einfluss; ihm folgen andere, wirtschaftlich und politisch.

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Das ist der Kontext des aktuellen Propagandakriegs zwischen den USA und China. Zwischen der bisherigen Weltmacht und dem Land, das die neue Weltmacht werden will. Deshalb sind die Vorwürfe und Fragen so brisant für Peking: Kann man China trauen? Meldet es reale Zahlen über Kranke und Tote?

Hintergründe zum Coronavirus:

Stammt das Virus wirklich von einem Markt für Wildtiere in Wuhan? Oder aus einem staatlichen Labor, das dort gefährliche Viren erforscht? Hat China die halbe Welt angesteckt, weil es zu lax mit der Laborsicherheit umgeht? Und warum weist Peking so viele Journalisten aus, die kritisch berichten?

Ein Wettlauf wie zwischen den USA und der UdSSR im Weltall

Die Zuspitzung erinnert an einen Wendepunkt im Kalten Krieg. Die Sowjetunion lehrte die USA mit dem Sputnik-Schock das Fürchten. Sie war schneller bei der Eroberung des Weltalls. Erster Satellit. Erstes Lebewesen im Orbit, die Hündin Laika. Und Juri Gagarin als erster Mensch. Dann konzentrierten die USA ihre Ressourcen auf ein Ziel: Man to the Moon. Die Mondlandung klärte die Rangordnung, zumal die USA auch bei Freiheit und Wohlstand vorn lagen.
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Zurück ins Hier und Jetzt. Es sind nicht nur die USA, die ehrliche Auskunft von China verlangen. Schon gar nicht ist es allein Fake- News-Präsident Trump. Zum Chor gehören Australien, Forscher des King’s College in London und ein Mitglied der Bundesregierung, Entwicklungshilfeminister Gerd Müller.

EU: China will seine Verantwortung verwischen

Der Auswärtige Dienst der EU analysiert in einer Studie, die in dieser Woche veröffentlicht werden soll, laut Vorbericht: China betreibt eine globale Desinformationskampagne, um seine Schuld am Ausbruch der Pandemie zu verwischen und sein internationales Image aufzupolieren.

Die wildesten Verschwörungstheorien kann man bis zum Beweis des Gegenteils getrost beiseite lassen: Das Virus sei künstlich gezüchtet und absichtlich freigesetzt worden. Es ist allenfalls psychologisch interessant, dass Peking mit Vorliebe dieser wilden Spekulation widerspricht. Oder sie umdreht: Das US-Militär habe das Virus nach Wuhan gebracht. Hofft China womöglich, die Debatte durch die abstruse Überhöhung abzuwürgen?

Hinweise auf einen Laborunfall in Wuhan

Plausibler und deshalb gefährlicher für China ist die moderate Variante. In Wuhan wurde 2018 das erste Hochsicherheitslabor für ansteckende Viren in Asien eröffnet. Dort wurde an Coronaviren aus Fledermäusen geforscht. Experten des Londoner King’s College sehen Hinweise auf einen Laborunfall. Bewiesen ist das aber nicht.

Warum lädt China nicht Forscher zu einer Untersuchung ein? Zum Prestige eines Landes gehört die Frage, ob man ihm vertrauen kann. Peking nährt Misstrauen. Trump ist auch kein Vorbild. Er hat viel zu spät reagiert. Die USA sind jetzt das Land mit den meisten Toten – jedenfalls unter der Prämisse, dass China nicht lügt.

Europa hat die Chance, als Weltmacht ernst genommen zu werden

Das lenkt den Blick auf Europa, den dritten großen Wirtschaftsblock. Auch die EU hat zu spät gehandelt. Zu ihr gehören Länder mit erschreckend vielen Toten wie Italien und Spanien. Aber auch Länder mit niedrigen Zahlen wie Deutschland oder Polen.
Der Wettbewerb, wer in der Coronakrise vorbildlich agiert, muss sich nicht auf China und die USA beschränken. Die EU kann zeigen, dass sie mehr Vertrauen verdient als diese beiden. Indem sie nach ihren Anfangsfehlern klug, kooperativ und transparent handelt. Ohne Trumps Ignoranz. Und ohne Chinas Propagandalügen. Dann würde Europa international ernster genommen. Das Potenzial ist da. Man muss es aber auch nutzen.

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