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Hebammen beraten Eltern und bringen die Kinder auch zur Welt. Wenn dabei etwas schiefgeht, haftet die Versicherung.

© dpa

Problemfall Haftpflicht: Naht das Ende der Hebammen?

Hebammen fürchten um ihren Beruf. Weil für Entbindungsschäden immer mehr gezahlt werden muss, steigen die Haftpflichtprämien drastisch. Und wichtige Versicherer wollen nun ganz aussteigen.

An fehlender Lobbyarbeit kann es nicht liegen. Machtvoll wie kaum eine andere Berufsgruppe haben die Hebammenverbände immer wieder auf ihr Problem aufmerksam gemacht. Vor dem Gesundheitsministerium ließen sie Frauen mit ausgepolstertem Bauch Sturzgeburten simulieren. Von der frisch formierten Regierungstruppe erzwangen sie eine Festlegung im Koalitionsvertrag, die eine flächendeckende Versorgung mit Geburtshilfe und „angemessener Vergütung“ verspricht. Und dann ist da noch ihre privat initiierte Online-Petition mit dem Titel „Rettet unsere Hebammen“, die 130 000 Unterschriften trägt. Sie fordert den neuen Minister auf, eine Lösung für die „Haftpflichtproblematik“ zu finden. Nicht irgendwann, sondern stante pede – „in den ersten 100 Tagen Ihrer Amtszeit“.

Prämien in zehn Jahren verzehnfacht

Am Dienstag hat Hermann Gröhe (CDU) die Damen empfangen. Eineinhalb Stunden, in denen es um nichts weniger ging als um die Existenz eines ganzen Berufsstandes. Die freiberuflichen Hebammen, die – insbesondere als Beleghebammen in ländlichen Kliniken – mehr als 20 Prozent aller Geburten absolvieren, werden ihrer Haftpflichtprämien nicht mehr Herr. Zwischen 2002 und 2012 haben sich die Preise der Versicherer verzehnfacht. Von 453 auf 4242 Euro im Jahr. Für 2014 ist eine weitere Steigerung auf 5091 Euro angekündigt. Bei einem Durchschnittsstundenlohn von netto 8,50 Euro ist das für viele kaum noch zu schaffen.

Und womöglich findet sich bald schon gar kein Versicherer mehr. Die Nürnberger Versicherung hat angekündigt, Mitte 2015 auszusteigen. Sie ist derzeit noch in den beiden Konsortien vertreten, die Hebammen versichern. Mit im Bund sind  zudem die  R+V-Versicherung und – allerdings nur im Konsortium eines der beiden großen Hebammenverbände –   die Versicherungskammer Bayern. Den Rückzug aus dem Geschäft begründet man in Nürnberg mit den hohen Kosten. Von 2003 bis 2012 sind nach Angaben des Versicherungsverbands GDV die Ausgaben für schwere Geburtsschäden pro Kind um fast 80 Prozent auf 2,6 Millionen Euro gestiegen. Hinzu kommt der erwartete Erwerbsausfall, wenn behinderte Kinder nicht arbeiten können. Vor zehn Jahren haben die Versicherer dafür im Schnitt 100 000 Euro im Jahr gezahlt, 2012 waren es über 400 000 Euro. Und während 2003 noch davon ausgegangen wurde, dass 2,5 Millionen Euro pro Geburtsschaden reichten, decken die Versicherer beim Deutschen Hebammenverband (DHV) inzwischen sechs Millionen Euro ab.

Kaum noch Versichererinteressse

Noch ist unklar, wie es weiter geht – ob die Versicherungskammer  und die R+V die Anteile der Nürnberger übernehmen oder ob ein neuer Versicherer mit ins Boot kommt. Doch hier sieht es schlecht aus. Bei einer europaweiten Ausschreibung im vorigen Jahr hatten 147 von 151 Anbieter wegen des hohen Risikos abgewunken. Mit vieren finden in der kommenden Woche nochmal Gespräche statt. Aus Deutschland ist kein Unternehmen dabei, berichtet Bernd Hendges vom Versicherungsmakler Securion, der die Konsortien zusammenstellt.

Das Problem: Ohne ausreichenden Versicherungsschutz darf keine Hebamme bei der Krankenkasse abrechnen. Der Beruf sei „akut von der Vernichtung bedroht“, warnt DHV-Präsidentin Martina Klenk. Zur Zeit arbeiten bis zu 15000 der rund 21000 Hebammen freiberuflich – die meisten allerdings in der Vor- und Nachsorge. In der Geburtshilfe sind es etwa 3500. Allein zwischen 2008 und 2010 hat sich ein Viertel der freiberuflichen Hebammen davon verabschiedet.

Auf Druck der Verbände hin hat die Vorgängerregierung bereits gesetzlich festgeschrieben, dass die steigenden Versicherungskosten bei den Vergütungsverhandlungen mit den Krankenkassen berücksichtigt werden. Allerdings profitieren von den Ausgleichszahlungen vor allem Hebammen mit vielen Geburten. Wer nur wenige Fälle hat, zahlt drauf. Nach Verbandsangaben wird eine Hausgeburt derzeit mit 703 Euro vergütet. Demnach braucht es pro Hebamme allein sechs Geburten, um die Haftpflichtprämie zahlen zu können. In Belegkliniken, wo Hebammen pro Geburt nur 275 Euro verdienen, sind zum Erwirtschaften der Prämie sogar mehr als 15 nötig.

Verbände fordern staatliche Haftung

Um die Sache bezahlbar und die Versicherer bei der Stange zu halten, fordern die Hebammen eine Haftungsobergrenze. Bei allem, was darüber hinaus gehe, müsse der Staat einspringen. Bisher ist eine Risikoaufteilung zwischen Staat und Versicherern nur beim Schutz vor Terrorgefahren und in der Atomenergie bekannt. Die Politik äußert sich zu dieser Idee denn auch, wenn überhaupt, nur sehr reserviert. Es handle sich „um sehr komplexe Rechts- und Versicherungsfragen, die man nicht auf die Schnelle beantworten kann“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn. Auch SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach bleibt im Vagen. Und Gröhe versprach den Hebammen nur ganz pauschal, die Ansagen des Koalitionsvertrages „vollständig“ umzusetzen. Für den Minister hätten diese „hohe Dringlichkeit“, beteuerte ein Sprecher. Auf die Entwicklung der Prämien selber habe das Ministerium aber leider keinen Einfluss.

Zu erwarten ist, dass auch die neuerlich angekündigte Prämiensteigerung Mitte 2014 finanziell abgefangen wird. Ansonsten verweisen alle auf eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Beteiligung des Kanzleramtes, die sich bereits viermal getroffen hat, deren Abschlussbericht sich aber noch in der Abstimmung befindet. Allerdings hat die sich bisher nur mit den hohen Haftpflichtprämien beschäftigt. Das Problem, dass sich womöglich kein Versicherer mehr findet, hatte sie noch gar nicht auf dem Schirm.

Dabei könnte die Hebammen nur der Anfang sein - und das Problem sich zu einem weit größeren auswachsen. Inzwischen zögen sich auch erste Versicherer bereits aus der Krankenhausabsicherung zurück, berichtet Bernd Hendges. Und Gynäkologen zahlten heute bereits ein Vielfaches der Prämien, die sie noch vor fünf Jahren entrichten mussten.

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