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Die "Respektrente" soll vor allem ehemaligen Geringverdienern zugute kommen.

© Felix Kästle/dpa

Pro und Contra: Respekt für die "Respektrente"?

Arbeitsminister Heil hat mit seinem Vorschlag einer sogenannten „Respektrente“ eine Debatte losgetreten. Zwei Experten wägen das Für und Wider ab.

Pro - Johannes Geyer

Johannes Geyer, DIW, Berlin.
Johannes Geyer, DIW, Berlin.

© promo

Arbeitsminister Hubertus Heil hat mit seinen Plänen für eine Grundrente alle überrascht. Überraschend ist an dem Vorschlag, dass er viel üppiger umverteilen will als alles, was vorher auf dem Tisch lag. Überraschend ist auch, dass dieser Vorschlag offensichtlich nicht den Kompromisslinien des Koalitionsvertrages folgt, sondern einen eigenen Akzent setzt. Ohne Bedarfsprüfung sollen niedrige Rentenansprüche bei langer Versicherungsdauer pauschal aufgewertet werden. Mit Blick auf die künftig wachsende Altersarmut ist das ein gutes Signal. Geschätzt profitieren bis zu vier Millionen Geringverdiener, die 35 Jahre mit Beitragszahlung, Kindererziehung oder Pflegetätigkeit aufweisen können. Deren Rente soll auf bis zu rund 900 Euro monatlich aufgestockt werden. Und das kostet Geld: Erste Schätzungen reichen von 8 bis 15 Milliarden Euro pro Jahr. Mutig, diese „Respektrente“.

Heils Vorschlag ist keine Maßnahme, die nur auf die Armutsvermeidung abzielt. Sie zielt auf Menschen, die trotz langer Erwerbsbiografie im Schnitt nicht mal 80 Prozent des durchschnittlichen Verdienstes erreichen. Wer beispielsweise Vollzeit mit Mindestlohn arbeitet, kommt gerade mal auf ungefähr 40 Prozent. Deren Rentenansprüche würden um 100 Prozent aufgewertet; es würde also in der Rente so getan, als hätten sie nicht 9,19 Euro verdient, sondern 18,38 Euro. Heil will also umverteilen zugunsten von Menschen mit „Niedriglohnkarrieren“. Immerhin, am Ende des Erwerbslebens wird dann einiges repariert, was während der Erwerbsphase schief gelaufen ist. Dieses wichtige Signal für die Stärkung der Absicherung von Geringverdienern in der Rente ist nicht billig zu haben. Deswegen stellt sich die Frage, ob der Vorschlag überhaupt realistisch ist.

Noch ist die Finanzlage der Rentenversicherung hervorragend, jedes Jahr werden neue Beschäftigungsrekorde gemeldet und die Einnahmen steigen. Das wird sich aber spätestens ab Mitte der 2020er Jahre ändern, dann wird die Nachhaltigkeitsrücklage der Rentenversicherung aufgebraucht sein, Beitrag und Steuerzuschuss werden steigen und die Rentensteigerungen magerer ausfallen. Die Respektrente würde hier einen neuen Finanzierungsbedarf erzeugen und die Verhandlungen über die Zukunft der Rente zwischen den Koalitionspartnern nicht einfacher machen. Und eine Schnittmenge zwischen dem Vorschlag von Heil und den vorher diskutierten Varianten ist nicht erkennbar.

Diese alternativen Vorschläge setzen an der Grundsicherung an und sind stärker auf die Armutsvermeidung im engeren Sinn gerichtet. Die Grundsicherung soll entweder für Menschen mit langen Versicherungsbiografien angehoben werden oder mit einem Freibetrag für die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausgestattet werden. Vor allem das erste Modell wäre sehr bürokratisch, da es neben der Bedürftigkeitsprüfung auch die Versicherungszeiten prüfen müsste. Dann würde ein Zuschlag von zehn Prozent auf die Grundsicherung gezahlt. Das würde sehr viel Abstimmung zwischen den Grundsicherungsämtern und den Rentenkassen erfordern. Da der Kreis der Berechtigten in diesem Fall aber bei wenigen 100000 Personen liegen würde, wäre so ein Zuschlag deutlich billiger als der Vorschlag von Heil. Etwas teurer, aber administrativ einfacher wäre ein allgemeiner Freibetrag. Eine Kompromisslinie zwischen diesen Vorschlägen zur Reform der Grundsicherung und der Respektrente ist nicht zu erkennen. Klar ist, dass die Absicherungsfunktion der staatlichen Rente speziell für Menschen mit geringen Einkünften gestärkt werden muss. Dabei sollte bei der Diskussion nicht aus dem Blick geraten, dass der Grund für die niedrigen Rentenanwartschaften niedrige Lohneinkommen sind. Die beste Vorsorge gegen Altersarmut oder niedrige Renten sind auskömmliche Löhne und stabile Beschäftigungsverhältnisse. Dafür müssen die Voraussetzungen stimmen, also stabile Tarifverträge, die Qualifikation der Beschäftigten und gute Bedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Der Autor ist stellvertretender Leiter der Abteilung Staat beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Contra - Bernd Raffelhüschen

Bernd Raffelhüschen, Sozialökonom und Co-Autor des Glücksatlas 2018.
Bernd Raffelhüschen, Sozialökonom und Co-Autor des Glücksatlas 2018.

© Axel Heimken/dpa

Die „Respektrente“ von Hubertus Heil verdient aus meiner Sicht überhaupt keinen Respekt. Ganz im Gegenteil: Sie ist an Absurdität nicht zu überbieten. Es gibt kaum ein Grundprinzip eines gelingenden Sozialstaats, das durch die Vorschläge des Bundesarbeitsministers nicht eklatant verletzt werden würde.

Zunächst wäre da der fundamentale Grundsatz des Lebensleistungsprinzips. In Deutschland galt immer: Die Höhe der Auszahlung im Alter bemisst sich nach den gezahlten Beiträgen. Ein Rentner bekam stets das, was er erarbeitet hatte: Der Durchschnittsverdiener bezog eine Durchschnittsrente. Wer nur die Hälfte vom Durchschnittseinkommen verdiente, hatte eben eine halbe Durchschnittsrente. Umgekehrt bekam jemand, der das doppelte Durchschnittseinkommen verdiente, auch eine doppelt so hohe Rente. Ein einfaches und äußerst gerechtes Prinzip.

Wie aber sollen Menschen in Zukunft Respekt dafür aufbringen, dass manche Rentner nun Abermilliarden Euro an Aufstockung bekommen, wenn diese in ihrem Leben deutlich weniger Leistung erbracht haben, als sie selbst? Sollte mit dem Äquivalenzprinzip, der Grundsatz der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung, tatsächlich gebrochen werden, ist das ein schwerwiegender Eingriff in die Sozialgesetzgebung. Dieser Grundsatz gilt seit Otto von Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts die grundlegenden Pfeiler des modernen Sozialstaats aufrichtete.

Das zweite Prinzip, das verletzt wird, ist die Gleichbehandlung der Menschen vor dem Grundsicherungsprinzip, dem letzten Sicherungsnetz in unserem Sozialstaat. Dem Vorschlag von Hubertus Heil zufolge wären aber arme Menschen, die alt sind, deutlich bessergestellt, als arme Menschen die jung sind. In Deutschland sind gerade die Älteren weit unterdurchschnittlich von Armut bedroht, als jede andere Bevölkerungsgruppe. Wir haben hierzulande viel eher ein Kinderarmutsproblem durch geringverdienende Familien. Aus diesem Ungleichgewicht resultiert die Gefahr eines gravierenden Akzeptanzproblems. Denn auch weitere gesellschaftliche Gruppen könnten nun Partikularinteressen anmelden und Gründe vortragen, warum sie wiederum gegenüber anderen Teilen der Bevölkerung bessergestellt werden sollten.

Der dritte Punkt betrifft das Gießkannenprinzip, das der Vorschlag von Heil darstellt. Der Bundesarbeitsminister hat die Bedürftigkeitsprüfung in seinem Vorschlag explizit ausgeschlossen. Aber muss eine Sozialleistung nicht daran geknüpft werden, ob der Empfänger diese Leistungen wirklich benötigt? Alles andere wäre widersinnig.

Wenn in Zukunft vier Millionen Menschen vom Heilschen Versprechen profitieren, sind darunter geschätzt 3,7 Millionen, die über andere Einkünfte oder Rücklagen verfügen. Auch der Erbe eines Millionenvermögens oder die Ehefrau eines wohlhabenden Vorstandsvorsitzenden, die ihr Leben lang in Teilzeit gearbeitet hat, würden von der sogenannten "Respekt-Rente" profitieren. Denn das Einkommen des Partners bliebe in der jetzigen Konzeption unberücksichtigt.

Diese Zielungenauigkeit führt dazu, dass letztlich mehr reiche Menschen davon profitieren könnten, als jene die wirklich bedürftig sind. Und wir sprechen dabei von zig Milliarden Euro Steuergeldern. Ein Fass ohne Boden, das das Ungerechtigkeitsproblem hierzulande deutlich verschärfen würde.

So, wie das aktuelle Rentensystem in Deutschland aufgestellt ist, funktioniert es. Wenn die Politik in den vergangenen Jahren etwas daran verändert hat, ging es meist in die falsche Richtung. Der Vorschlag von Hubertus Heil ist für den Generationenzusammenhalt gefährlich. Er baut Ungerechtigkeiten mit enormer gesellschaftlicher Sprengkraft in ein grundsätzlich gerechtes System ein. Also auf Gutdeutsch: Finger davonlassen! Und es vor allem nicht zu einem Wahlkampfthema machen.

Der Autor ist Ökonom mit dem Schwerpunkt Finanzwissenschaft und Sozialpolitik in Bergen und Freiburg.

Johannes Geyer, Bernd Raffelhüschen

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