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Boris Johnson entschuldigt sich, will aber von nichts gewusst haben.

© Reuters

Premier Johnson in Erklärungsnot: Feierlaune in Corona-Zeiten

Eine Weihnachtsparty in der Londoner Downing Street mitten im Verstoß gegen die Regeln des Lockdown verärgert die Briten.

Noch sind in Großbritannien die Geschäfte voll, Konzertsäle und Theater ausgebucht, Schulen und Kindergärten normal geöffnet. Wie von der Regierung unter Premier Boris Johnson verordnet, tragen wieder deutlich mehr Menschen in Läden und öffentlichen Verkehrsmitteln einen Mund-Nasenschutz.

Davon abgesehen geht das normale Leben weiter – noch. Längst sind die Menschen in Sorge: Wird die Omikron-Variante von Sars-CoV-2 ausgerechnet zu Weihnachten erneute Einschränkungen, sogar einen Corona-Lockdown notwendig machen? Und, mindestens genauso wichtig: Wird sich die Bevölkerung an die Vorschriften halten?

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Letztere Frage hat durch eklatantes Fehlverhalten am Regierungssitz in der Londoner Downing Street enorm an Brisanz gewonnen.

Mehr als eine Woche lang waren die Medien der Hauptstadt voll mit Geschichten über eine feucht-fröhliche Weihnachtsfeier von rund drei Dutzend Mitarbeitern im Advent vergangenen Jahres, also zu einem Zeitpunkt, als solche Zusammenkünfte unter Androhung empfindlicher Geldstrafen verboten waren. Immer neue Details über „Getränke, Snacks und Partyspiele“ kommentierten Regierungssprecher stets ausweichend: „Es wurden keine Coronaregeln gebrochen.“

Ein 30-Sekunden-Video

Hingegen vermieden Johnson und seine Minister peinlich genau die Beantwortung der Frage, ob es denn nun tatsächlich eine Party gegeben habe oder nicht. Die Aufforderung der Labour-Opposition, die Angelegenheit durch den höchsten Beamten des Landes untersuchen zu lassen, wiesen die Konservativen ebenso zurück wie die Idee, die Sache der Polizei zu übergeben.

Scotland Yard könne schon deshalb nicht tätig werden, weil „Straftaten nicht rückschauend untersucht werden“, teilte Justizminister und Vizepremier Dominic Raab mit.

Zu Wochenbeginn sah alles danach aus, als werde die peinliche Weihnachtsfeier von anderen Regierungspannen überlagert und in Vergessenheit geraten. Da strahlte am Dienstag Abend der Kommerzsender ITV ein 30 Sekunden langes Video aus, das alle Zweifel ausräumte.

Das Filmchen zeigt eine Probe-Pressekonferenz vom 22. Dezember vergangenen Jahres, auf der die Regierungssprecherin Allegra Stratton mit anderen Medienleuten der Downing Street über die Party vier Tage zuvor scherzt. „Es war nur Wein und Käse, können wir das sagen?“

Über Nacht hatten mehrere Millionen Briten den Clip gesehen, am Mittwoch nahmen sich die Schlagzeilen der meisten Zeitungen des Themas erneut an. Kein Minister wagte sich in die Fernseh- und Radiostudios. Für Boris Johnson aber gab es kein Entkommen: Zur Mittagszeit musste er sich der allwöchentlichen Fragestunde im Unterhaus stellen.

Bauernopfer für den Premier

Man habe einen „gedämpften und gedemütigten Premierminister“ erlebt, fasste Johnsons Biograf Andrew Gimson auf der Website Conservative Home seinen Eindruck zusammen. Noch ehe Labour-Oppositionsführer Keir Starmer in der schwärenden Wunde stochern konnte, wandte sich der Regierungschef mit einer Erklärung an die Nation: Er entschuldige sich uneingeschränkt für das beleidigende Video.

Uneingeschränkt? Feinsinnig wies Johnson darauf hin, ihm sei „stets versichert worden, es habe keine Party gegeben: Ich bin selbst wütend und angeekelt“. Die betreffenden Mitarbeiter müssten nun eine Untersuchung durch den Kabinettssekretär ertragen.

Eine der Betroffenen verstand die kaum verhüllte Aufforderung: Noch am Mittwoch Nachmittag reichte Regierungssprecherin Stratton ihren Rücktritt ein. Weitere Bauernopfer dürften folgen. Und Johnson? Der lebe „mit der Wahrheit auf sozialer Distanz“, ätzte Labour-Chef Starmer.

Der Premier glaube wohl, „dass es eine Regel für ihn selbst gibt und eine andere für alle anderen.“ Genau diesen Verstoß gegen das Fair Play hat er ihm sein Monaten zur Last gelegt.

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