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Der 43-jährige Regierungschef Äthiopiens ist der zwölfte Friedensnobelpreisträger, der aus Afrika kommt.

© imago images/epd

Premier erhält Friedensnobelpreis: Abiy Ahmed – der Versöhner Äthiopiens

Innerhalb kürzester Zeit hat er sein Land auf einen neuen Kurs gebracht. Für die Lösung des Grenzkonflikts mit Eritrea wird Abiy Ahmed jetzt geehrt.

„Es gibt Dinge, die viele für unmöglich halten. Eines davon ist die Normalisierung der Beziehungen zu Eritrea“, so fasste die äthiopische Präsidentin Sahle-Work Zewde einst das Verhältnis zum ostafrikanischen Nachbarland zusammen. Der 44-jährige Premier des Landes, Abiy Ahmed, hat das scheinbar Unmögliche geschafft. Dafür wurde er nun mit dem Friedensnobelpreis geehrt.

Nur wenige hatten erwartet, dass er sich tatsächlich gegen die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg durchsetzen würde. Ähnlich überrascht reagierte die Welt im vergangenen Jahr auf den Friedensschluss zwischen Eritrea und Äthiopien. Familien, die über Jahrzehnte getrennt waren, fielen einander in die Arme. Telefonverbindugen, die ebenso lange gekappt waren, funktionierten wieder. Nach Jahren der Blockade flogen Flugzeuge zwischen den Hauptstädten. Möglich wurde das alles nach der Wahl Abiys zum äthiopischen Ministerpräsidenten im April 2018.

Er wurde 1976 in die Volksgruppe der Oromo geboren. Sie ist Äthiopiens größte Ethnie, aber zugleich eine der am übelsten unterdrückten Gruppen in der 110-Millionen-Nation. „Von einem muslimischen Vater und einer christlichen Mutter erzogen, wurden ihm von klein auf die Werte von Toleranz und Verständigung über Grenzen hinweg mit auf den Weg gegeben“, schreibt die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco).

Als Jugendlicher ging Abiy in den Widerstand gegen das kommunistische Derg-Regime, dessen Militärdiktator, Mengistu Haile Mariam, das eigene Volk tyrannisierte. Später erwarb er einen Doktortitel in Friedens- und Sicherheitsforschung.

Bis vor Kurzem gehörte Äthiopien zu Afrikas berüchtigten Polizeistaaten: Proteste wurden im Tränengas erstickt, Journalisten und Oppositionspolitiker verhaftet. Als die Proteste in der Hauptstadt ihren Höhepunkt erreichten, war Abiys Vorgänger zum Rücktritt gezwungen. Der neue Premier änderte den politischen Kurs praktisch über Nacht.

Abiy entließ Tausende politische Häftlinge

In seinem ersten Amtsmonat entließ der neue Regierungschef Tausende politische Häftlinge und startete Gespräche mit Oppositionellen, die seine Vorgänger als „Terroristen“ betrachteten. Er reformierte die Justiz, hob die Blockade von Websites auf und besetzte die Hälfte seiner neuen Regierung mit Frauen.

Als größten Erfolg werten Beobachter jedoch den Friedensschluss mit Eritrea. Noch sehr wach ist in den Erinnerungen der Bewohner der Grenzregion der erbitterte Krieg, der zwischen 1998 und 2000 seinen Höhepunkt hatte. Damals waren 80.000 Menschen gestorben.

Noch vor zwei Jahren standen sich an der Grenzen die Truppen feindselig gegenüber, immer wieder gab es Maschinengewehrfeuer. Vor einem Jahr dann gab es erneut ein Großaufgebot an Soldaten entlang des Zauns. Diesmal waren die Uniformierten jedoch stille Beobachter, als ihre Befehlshaber bei einer Zeremonie nach 20 Jahren erstmalig wieder die Grenze öffneten.

In Eritrea gibt es bisher keinen innenpolitischen Wandel

Die Äthiopier schätzen Abiy als Versöhner. „In unserer Geschichte hat es nie einen Anführer wie ihn gegeben. Er ist gebildet und spricht sich für Einheit aus“, sagte der äthiopische Marathonläufer Feyisa Lilesa dem US-Magazin „Time“.
Das norwegische Nobelkomitee lobte Abiys „entschlossene Initiative, den Grenzkonflikt zu lösen“. Mit Blick auf Eritreas Regierungschef hieß es: „Ein Einzelner schafft keinen Frieden. Als Ministerpräsident Abiy seine Hand ausstreckte, nahm Präsident Afwerki diese an und half, den Friedensprozess zu festigen.“

Anders als in Äthiopien konnte der Friedensschluss in Eritrea bisher keinen innenpolitischen Wandel anstoßen. Einige Beobachter sehen die Diktatur nach wie vor als „Nordkorea Afrikas“. Das Nobelkomitee äußerte Hoffnung, dass sich der Frieden künftig auf alle Bürger der beiden Länder positiv auswirke.

Kritik an der fehlenden Unterstützung von Binnenflüchtlingen

Inzwischen stößt aber auch Äthiopiens Neuanfang auf Hindernisse. Der politische Frühling und das stetige Wirtschaftswachstum werden in Afrikas zweitgrößter Nation von ethnischen Konflikten zurückgeworfen. Nach UN-Angaben wurden im vergangenen Jahr mindestens 1,5 Millionen Äthiopier neu vertrieben, der Großteil davon im eigenen Land. Damit hat Äthiopien von allen Staaten weltweit die höchste Zahl an Binnenvertriebenen.

Immer wieder kritisierten Menschenrechtler Abiys Regierung wegen der fehlende Unterstützung für die Geflüchteten. Auch sollen die Behörden Binnenvertriebene gewaltsam zur Rückkehr gezwungen haben.

„Noch lange nicht abgeschlossen“ ist Abiys Arbeit auch nach Ansicht von Amnesty-International-Generalsekretär Kumi Naidoo. Nach wie vor etwa würden kritische Stimmen in Äthiopien mithilfe von Anti-Terror-Gesetzen unterdrückt. „Diese Auszeichnung sollte Abiy anspornen, die noch offenen Herausforderungen im Bereich der Menschenrechte anzugehen, die die bisher erzielten Erfolge umzukehren drohen“, sagte Naidoo.

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