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Szene einer Wahlkampfveranstaltung von Kandidat Muharrem Ince.

© AFP

Präsidentschaftswahlen in der Türkei: Das sind Erdogans größte Gegner

An diesem Sonntag geht es für Erdogan um alles. Die Türkei wählt Parlament und Präsident – einiges spricht gegen den Amtsinhaber. Die wichtigsten Kandidaten im Überblick.

Die Auslandstürken – darunter rund 1,45 Millionen registrierte Wähler in Deutschland – konnten bereits seit dem 7. Juni ihre Stimme für die Präsidentenwahl abgeben. Wer neues Staatsoberhaupt wird, steht an diesem Sonntag fest.

Die türkischen Wähler haben die Wahl zwischen mehreren Kandidaten. Im Fokus steht Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan, doch gegen ihn kandidieren drei Männer und eine Frau, die zusammen stark genug sein könnten, um seinen Sieg im ersten Wahldurchgang zu verhindern. Dies zeigen auch aktuelle Umfragen.

Recep Tayyip Erdogan

Recep Tayyip Erdogan
Recep Tayyip Erdogan

© Kayhan Ozer/Präsidentenpalast/AFP

Der 64-Jährige regiert die Türkei seit anderthalb Jahrzehnten und bleibt trotz seiner polarisierenden Politik und des Drucks auf Andersdenkende – besonders seit dem Putschversuch von 2016 – der mit Abstand beliebteste Politiker des Landes. Millionen von Türken bewundern ihn als jenen Mann, der die Diskriminierung frommer Türken durch die säkularistischen Eliten in Politik, Justiz und Militär beendete und der Türkei einen bisher nie gekannten Wohlstand brachte.

Vor der Wahl, die Erdogan zur Einführung eines Präsidialsystems nutzen will, wenden sich viele junge Wähler in den Großstädten vom Präsidenten und seiner Regierungspartei AKP ab. Umfragen zufolge liegt Erdogan trotzdem noch bei etwa 45 Prozent der Stimmen – das ist weit mehr, als alle anderen Bewerber erreichen dürften, aber nicht genug für einen Sieg in der ersten Runde. In einem zweiten Wahlgang am 8. Juli müsste sich Erdogan dem stärksten Oppositionskandidaten stellen.

Muharrem Ince

Der 54-jährige ehemalige Physiklehrer ist die große Überraschung des Wahlkampfes. Vor seiner Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten der säkularistischen Partei CHP war Ince vor allem als innerparteilicher Rebell bekannt. Im Wahlkampf hat es Ince geschafft, die Anhängerschaft der CHP neu zu motivieren und Erdogan da anzugreifen, wo der Präsident am verletzlichsten ist: bei der Wirtschaftsentwicklung, die vielen Türken wegen steigender Inflation und Arbeitslosigkeit große Sorgen macht, und beim Thema Glaubwürdigkeit. So attackiert Ince den türkischen Präsidenten wegen dessen früherer Zusammenarbeit mit dem islamischen Geistlichen Fethullah Gülen.

Ince verspricht eine Aufhebung des seit dem Putsch von 2016 herrschenden Ausnahmezustandes und demokratische Reformen. Zudem will er Erdogans Präsidialsystem gleich wieder abschaffen und zum parlamentarischen System zurückkehren. Bei aller Angriffsfreude hat Ince aber auch Probleme: So ist die CHP die politische Heimat der Säkularisten und damit für Millionen von frommen Türken unwählbar. Meinungsumfragen zufolge kann Ince mit etwa 20 Prozent der Stimmen rechnen und wäre damit der wahrscheinliche Herausforderer Erdogans in einer Stichwahl.

Meral Aksener

Muharrem Ince
Muharrem Ince

© Adem Altan/AFP

Die 61-jährige frühere Innenministerin und einzige Frau im Rennen um die Präsidentschaft greift Erdogan von der nationalistischen Seite an. Für Erdogan und seinen Partner Devlet Bahceli von der Rechtspartei MHP ist sie eine gefährliche Gegnerin, weil sie dieselben Wählerschichten anspricht. Aksener ist eine frühere Parteikollegin von Bahceli, die nach einer gescheiterten innerparteilichen Revolte von Bahceli aus der Partei geworfen wurde und ihre eigene Organisation gründete, die IYI Parti (Gute Partei).

Im Wahlkampf hat Aksener ihrer Partei durch ein Bündnis mit Inces linksgerichteter CHP eine parlamentarische Präsenz für die Zeit nach der Wahl gesichert. Den Umfragen zufolge beschleunigt Akseners Partei den Niedergang von Bahcelis MHP. Den Umfragen zufolge hat sie mit rund elf Prozent Zuspruch keine Chancen auf einen Sieg – doch sie hat angekündigt, in einer Stichwahl den stärksten Oppositionskandidaten zu unterstützen. Damit könnten Inces Chancen steigen.

Selahattin Demirtas

Meral Aksener
Meral Aksener

© AFP

Während die anderen Präsidentschaftsaspiranten über die Marktplätze der Türkei ziehen, muss der 45-jährige Anwalt aus dem ostanatolischen Elazig von einer Gefängniszelle aus zuschauen. Demirtas, früherer Chef der Kurdenpartei HDP, sitzt seit Ende 2016 wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda in Untersuchungshaft. Der telegene und rhetorisch begabte Demirtas hatte bei der Präsidentschaftswahl 2014 mit rund zehn Prozent einen viel beachteten Erfolg erzielt und die HDP ein Jahr später bei Parlamentswahlen zum Rekordergebnis von 13 Prozent geführt.

Sein Erfolg basiert auf der Öffnung der Kurdenpartei für linksliberale urbane Wähler. Demoskopen halten es für möglich, dass die HDP die Zehnprozenthürde für den Wiedereinzug ins Parlament schafft. Bei der Präsidentenwahl könnte Demirtas vor allem in einer zweiten Wahlrunde eine wichtige Rolle spielen: Seine Wahlempfehlung an die HDP-Anhänger wird von großem Gewicht sein.

Temel Karamollaoglu

Selahattin Demirtas
Selahattin Demirtas

© dpa

Mit seinen 77 Jahren ist der Chef der kleinen islamistischen Glückseligkeitspartei (Saadet Partisi) der älteste der Präsidentschaftskandidaten. Am liebsten hätte Karamollaoglu den früheren Präsidenten Abdullah Gül als Präsidentschaftsbewerber ins Rennen geschickt, um das große Lager der mit Erdogans Politik unzufriedenen Wähler zu einen. Als Gül abwinkte, reichte Karamollaoglu seine eigene Kandidatur ein.

Meinungsforscher rechnen Karamollaoglu zwar nicht mehr als zwei Prozent der Wählerstimmen zu. Unbedeutend ist er aber nicht. Er dürfte mehrere hunderttausend Stimmen konservativer Islamisten auf sich vereinigen – das sind Stimmen, die Erdogan bei einem knappen Wahlausgang zum Erfolg fehlen könnten.

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