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Langzeitherrscher Nasarbajew und sein Nachfolger Tokajew

© Stanislaw Filippov,AFP

Präsidentenwahl in Zentralasien: Kasachische Erbfolge

Kasachstan erhält seinen zweiten Präsidenten. Eine tatsächliche Wahl ist es nicht: Dauerherrscher Nasarbajew macht einen treuen Soldaten zum Nachfolger.

Im März ist Nursultan Nasarbajew, der letzte noch mächtige Funktionär aus der untergegangenen Sowjetunion, als Präsident der zentralasiatischen Republik Kasachstan zurückgetreten. Inzwischen erhielten Straßen, Hochschulen, Flugplätze, Industriebetriebe und Ehrenpreise seinen Namen. Höhepunkt des Personenkultes ist bislang die Umbenennung der Hauptstadt Astana. Sie trägt jetzt den Vornamen des 78-Jährigen: Nursultan. An diesem Sonntag nun sind die Kasachen aufgerufen, den zweiten Präsidenten des seit 1991 unabhängigen Staates zu wählen.

Sieben Kandidaten sollten politische Konkurrenz simulieren. Doch das Niveau des „Wahlkampfes“ lag noch unter den geringen Erwartungen der Öffentlichkeit. Kassim-Jormat Tokajew, der handverlesene Favorit Nasarbajews, reiste durchs Land mit der Botschaft, nichts werde sich ändern. Erstmals gab es Debatten im Fernsehen, doch die erwiesen sich als Fehlschlag. Tokajew erschien gar nicht. Ebensowenig die einzige Frau unter den Anwärtern, die unter dem Motto antrat: „Wo Frauen sind, da ist Ordnung“. Ins Fernsehen schickte Danija Jespajewa – einen Mann. Dort wurden dann vollständig ausformulierte Texte vom Blatt verlesen.

Debatten waren auch nicht nötig. Alle wissen, dass Tokajew als künftiger Präsident feststeht. Aber Nasarbajew behält die entscheidenden Hebel der Macht in den Händen: Als „Elbassy“, als Führer der Nation mit undefinierten Rechten, als Chef der Staatspartei Nur Otan und als Chef des Sicherheitsrates. Doch Nasarbajew sitzt in einer Falle, in die er sich durch seine autoritäre Machtausübung in 30 Jahren selbst manövriert hat. Fähige Politiker, die ihm hätten gefährlich werden können, hat er beseitigt. Jetzt geht seine Lebenszeit zu Ende und er will, dass alles nach seinen Regeln, seinem Plan verläuft. Aber er hat ein System geschaffen, das nur funktioniert, wenn er selbst am Steuer sitzt.

Ein treuer Soldat

Tokajew ist sein treuer Soldat seit Jahren, deshalb fiel die Wahl auf ihn. Vor der Abstimmung hat der sogar kurz eigene Ambitionen gezeigt. So lockerte er die abendliche Blockade des Internets und versuchte, einige Militärs in den Ruhestand zu verabschieden. Doch rasch schritt der Geheimdienst ein: als Warnung wurde ein wichtiger Berater Tokajews verhaftet, und am Wahltag wird die Domain „.kz“ einfach abgeschaltet.

Nasarbajew hatte bei der Wahl seines Nachfolgers eine Alternative: seine Tochter Dariga. Viele hatten damit gerechnet, dass der Posten des Präsidenten in direkter Erbfolge auf sie übergehen würde. Dariga ist jetzt schon mächtig, sie kontrolliert große Teile der Wirtschaft, einige Banken sowie die Medien Kasachstans. Nach dem Rücktritt des Vaters stieg sie zur Präsidentin des Senats auf – formell die Nummer zwei im Staat. Doch Dariga ist unpopulär, selbst bei den Parteigängern ihres Vaters. In Kasachstan heißt es, Nasarbajew habe nicht das Risiko von Diadochenkämpfen nach seinem Rücktritt eingehen wollen. Ein Zeichen mangelnder Vaterliebe sei es nicht, dass Dariga jetzt – noch – nicht zum Zuge komme.

Für Kasachstan steht einiges auf dem Spiel. Nasarbajew hat sein Land mit einem autoritären Neoliberalismus, der sein Vorbild in Singapur hat, zu einem großen Spieler in der Region gemacht. Fährt man durch die boomende Hauptstadt Nursultan, fühlt man sich an die Metropolen der Ölmonarchien am Persischen Golf erinnert. Wer als Architekt einen Namen hat, der hat in Nursultan gebaut – und wer dort nicht gebaut hat, der hat als Architekt keinen Namen.

Kasachstan ist reich an Öl und Gas, dazu noch an fast allen Seltenen Erden, die in der Digitalwirtschaft gebraucht werden. Wichtiger Partner im Warenaustausch ist inzwischen auch die Europäische Union. Doch die Transportwege sind lang. Kasachstan besitzt keinen Zugang zum Meer, außer dem Kaspischen. Das Land braucht Schienen und Pipelines für den Transit seiner Güter – also problemfreie Beziehungen zu den Nachbarn. Eine der größten politischen Leistungen Nasarbajews ist deshalb zweifellos die Balance, die er zwischen Moskau und Peking hält und die Kasachstan Spielraum für unabhängige Entscheidungen verschafft. Noch vor der öffentlichen Ankündigung seines Rücktritts im kasachischen Fernsehen hat Nasarbajew mit Wladimir Putin und Xi Jinping telefoniert, um sie über seinen Entschluss zu informieren.

Zwischen Russland und China

Zu beiden Ländern sind die Beziehungen ambivalent. Mit Russland arbeitet Kasachstan wirtschaftlich wie sicherheitspolitisch eng zusammen. Doch Nasarbajew ist es immer wieder gelungen, eine Umklammerung durch Moskau – wie sie beispielsweise Weißrussland erlebt – zu vermeiden.

Der Einfluss Chinas wächst. Durch Kasachstan wird eine der Hauptrouten auf der so genannten neuen Seidenstraße führen, auf der Güter von Westchina bis nach Rotterdam gelangen sollen. Kasachstan sieht das als Chance und will nicht nur Durchgangsland für chinesische Güter werden. Es erhofft sich einen weiteren Industrialisierungsschub. Gleichzeitig sieht die Bevölkerung den Vormarsch Chinas mit Sorge. Kasachstan ist fast so groß wie Indien. In dem zentralasiatischen Land leben jedoch nur 18 Millionen Menschen. Viele fürchten, wenn man sich China öffnet, dann drohen Einwanderung und Landverkauf.

Die Hälfte der Bevölkerung ist noch unter 30 Jahre alt. Diese Generation zeigt derzeit ihren Unmut über den inszenierten Machtwechsel. Die Proteste treffen die Führung unvorbereitet, sie reagiert kopflos: In der Hauptstadt hatte ein 22-Jähriger kürzlich gewettet, er werde verhaftet, wenn er auf der Straße ein leeres Blatt Papier in die Höhe halte. Er hat die Wette gewonnen.

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