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US-Präsident Joe Biden am 15. März 2022 im Weißen Haus

© Imago/UPI Photo/Yuris Gripas

Präsident der harten Worte: Was von Bidens Besuch in Europa zu erwarten ist

Eine Reise nach Kiew hat der US-Präsident ausgeschlossen. Stattdessen will Biden an diversen Gipfeln teilnehmen. Neue Sanktionen sind im Gespräch.

Eine Einladung hat das Weiße Haus schon vor dem Abflug von US-Präsident Joe Biden nach Europa dankend abgelehnt. Es gebe keine Pläne, „in die Ukraine“ zu reisen, sagte Bidens Sprecherin Jen Psaki am Sonntag. Kurz zuvor hatte bereits die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield die Erwartungen an einen Überraschungscoup gedämpft: „Soviel ich weiß, ist das keine Option“, sagte sie dem Sender CNN.

Nicht völlig ausgeschlossen, aber doch höchst unwahrscheinlich ist damit, dass Biden der Aufforderung des ehemaligen Präsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko, nachkommt. Der hatte auf CNN gefordert, der US-Präsident solle „mutig“ sein und „aus Solidarität“ die Ukraine besuchen.

Theoretisch wäre das möglich, bricht Biden doch am heutigen Mittwoch nach Europa auf. Am Donnerstag wird er an dem Nato-Sondergipfel zur Ukraine, an einem G7-Treffen und anschließend an dem regulär geplanten EU-Gipfel teilnehmen.

In der Terminvorschau des Weißen Hauses für Freitag steht indes nur: „Der Präsident reist nach Warschau, Polen.“ Der Flug dauert gerademal zwei Stunden. Erst am Samstag trifft er dann mit seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda zusammen, bevor er nach Washington zurückkehrt.

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Wäre es dem fast 80-jährigen Biden zuzutrauen, dass er mitten in die umkämpfte Hauptstadt Kiew fliegt, um sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj fotografieren zu lassen? Es wäre nicht der erste Besuch eines amerikanischen Präsidenten in einem Kriegsgebiet: So waren etwa George W. Bush im Irak und Barack Obama in Afghanistan.

Besucht Biden die polnisch-ukrainische Grenze?

Aber in beiden Ländern hatten die USA zu dem Zeitpunkt Truppen stationiert. Das ist in der Ukraine, die auch kein Nato-Mitglied ist, nicht der Fall.

Wahrscheinlicher ist daher, dass Biden „spontan“ einen Abstecher an die polnisch-ukrainische Grenze macht, um sagen zu können, er habe sich selbst ein Bild von der Lage gemacht. Sein Außenminister Antony Blinken hat das bereits vor zwei Wochen vorgemacht.

Für Biden ist der Ukraine-Krieg beides zugleich: eine Chance und ein Risiko. Bisher scheinen die Amerikaner den besonnenen Kurs ihres erfahrenen Präsidenten im Umgang mit dem russischen Aggressor gutzuheißen.

Eine Mehrheit der Amerikaner lehnt einen Kriegseinsatz ab

Die Solidarität mit der Ukraine ist hoch, gleichzeitig lehnt die Mehrheit der Amerikaner eine direkte Kriegsbeteiligung ab – die ihr Präsident klar ausgeschlossen hat. In Umfragen legten Bidens Beliebtheitswerte zuletzt zu, überragend sind sie indes immer noch nicht.

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Vor allem die hohe Inflation – und speziell die gestiegenen Benzinpreise – werden seiner Regierung angelastet, die das Thema lange nicht wirklich ernstgenommen hat. Hier ist kurzfristig keine Besserung zu erwarten, schon gar nicht, solange der Krieg in Europa tobt.

Die Republikaner werfen Biden Schwäche vor

Auf der anderen Seite laufen die Angriffe der Republikaner auf den Demokraten im Weißen Haus weitgehend ins Leere. Dessen Vorgänger Donald Trump und seine Anhänger hatten zu Beginn der Invasion getönt, Biden habe den russischen Präsidenten Wladimir Putin geradezu zu dem Angriff ermutigt, der wisse um die Schwäche des ältesten amerikanischen Präsidenten aller Zeiten und nutze diese aus.

Diese Stimmen sind leiser geworden, schwach wirkt Biden dieser Tage auf die wenigsten. Er, der die „endlosen Kriege“ beenden wollte, hat die Rolle des Kriegspräsidenten und des Anführers der freien Welt angenommen, übt sie aber anders aus als viele seiner Vorgänger.

Er nannte Putin einen „Mörder“

Dass er Putin schon früh als extrem gefährlich eingestuft hat – er nannte ihn mal einen „Gangster“, dann einen „Mörder“ und heute einen „Diktator“ und „Kriegsverbrecher“ –, ist bekannt. Er muss sich in seiner Einschätzung des Kremlchefs nicht korrigieren, anders als so mancher westliche Staats- und Regierungschef.

Dazu kommt, dass er, der seit einem halben Jahrhundert politische Verantwortung trägt, viele seiner Kollegen in den Partnerländern persönlich kennt. Ja, er ist alt, aber in diesem Fall bedeutet das vor allem: Er hat Erfahrung. Auch im Fehler machen – und vermeiden.

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Dass die amerikanischen Geheimdienste schon vor Monaten vor einem russischen Angriff warnten und offen ihre Erkenntnisse teilten, wird neben dem Heldenmut der Ukrainer als Hauptgrund dafür angesehen, dass der Westen von Putin nicht überrumpelt werden konnte und der Angriff nicht bereits nach drei Tagen mit einem russischen Sieg endete. Amerikanische Geheimdienstinformationen gelten auf einmal wieder als vollumfänglich vertrauenswürdig und hilfreich, das war nicht immer so.

Der US-Präsident lässt sich nicht provozieren

Biden, so heißt es in Washington, mache derzeit alles richtig. Er hält die Partner zusammen und lässt sich nicht provozieren. Selbst dann nicht, als Putin erklärte, er habe seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt. Washingtons Antwort darauf war: Es gebe keinen Grund, darauf zu reagieren.

Zudem ist Biden bereit, zuzuhören und zu korrigieren. Als der Kongress ihn dazu drängte, einen Importstopp für russisches Öl zu verhängen, hat er nach kurzer Zeit nachgegeben – auch wenn das den Benzinpreis absehbar weiter nach oben treibt.

Bei einem Punkt bleibt er aber bisher standhaft: Waffen für die Ukrainer sind okay, einen direkten amerikanischen Truppeneinsatz dagegen soll es nicht geben. Der wird erst ein Thema, sollte Putin ein Nato-Land angreifen. Auch daher reist Biden nach Warschau: Um dem besorgten Nato-Partner zu versichern, dass Amerika hinter ihm steht.

Es ist seine dritte Europareise

Dass solche Reisen nach mehr als zwei Jahren Pandemie wieder möglich sind, ist enorm wichtig für Biden. Der 79-Jährige setzt mehr als die meisten Politiker auf das persönliche Gespräch. Im Wahlkampf hat er darunter gelitten, dass er darauf weitgehend verzichten musste. Und seit Bidens Amtsantritt ist dies nun bereits seine dritte Europareise.

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Seine Sprecherin Psaki beschrieb die Intention dieses Trips so: „Mr. Bidens Ziel ist es, von Angesicht zu Angesicht mit seinen europäischen Partnern zusammenzutreffen und darüber zu sprechen, an welchem Punkt wir in dem Konflikt sind, bei der Invasion der Ukraine durch Russland.“

Eine Flugverbotszone hat die Nato ausgeschlossen

Das wiederum wirft die Frage auf, ob es darüber hinaus eine wichtige Botschaft gibt, die von den Gipfeltreffen ausgehen soll. Wird eine neue Stufe in der Reaktion der Nato auf die russische Invasion erreicht?

Eine Flugverbotszone, wie sie Selenskyj in der vergangenen Woche bei seinem virtuellen Auftritt vor dem US-Kongress eindringlich gefordert hatte, lehnen die USA und die Nato ab. Zu groß sei das Risiko, dass man so in eine direkte Konfrontation mit russischen Streitkräften geraten könnte – Biden warnte in diesem Zusammenhang vor einem dritten Weltkrieg.

Aus dem selben Grund sollen auch keine MiG-29-Kampfjets an die Ukraine gehen. Stattdessen werden bisher Waffen geliefert, die „rein zur Verteidigung“ genutzt werden können.

Am Dienstag kündigte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan weitere Sanktionen gegen Russland an, ohne konkreter zu werden. Verkündet würden diese am Donnerstag in Brüssel.

Die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine in den USA ist gering

Erwartet wird außerdem, dass jenen Ländern, die überproportional viele Flüchtlinge aufgenommen haben – in Polen sind es derzeit mehr als zwei Millionen –, mehr Unterstützung zugesagt wird. Die USA selbst könnten bald mehr Menschen aus der Ukraine aufnehmen, bisher sind die Zahlen kaum erwähnenswert.

Das alles sieht nicht nach dem großen Durchbruch aus, der ein Kriegsende näher bringen könnte. Mit jedem Tag, an dem russische Raketen Leben in der Ukraine vernichten, wächst der Druck, stärker einzugreifen. Noch hält Biden diesem Druck Stand.

Aber sein Sicherheitsberater bereitete die Öffentlichkeit schon mal darauf vor, dass es noch eine Weile dauern könnte. „Es werden harte Tage auf die Ukraine zukommen, am härtesten für die ukrainischen Truppen an der Front und für die Zivilbevölkerung unter russischem Beschuss“, sagte Sullivan.

„Dieser Krieg wird weder leicht noch schnell enden“, mahnte er. Aber Sullivan bekräftigte auch: „Russland wird dem ukrainischen Volk die Ukraine niemals wegnehmen können.“

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