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Porträt John Demjanjuk: „Ich war nur ein einfacher Kriegsgefangener“

Seit einem Jahr steht John Demjanjuk im NS-Prozess in München vor Gericht. Inzwischen ist es still geworden um den Mann, dem die Staatsanwaltschaft Beihilfe zum Mord an 27.900 Menschen vorwirft.

Sein erster Tag vor Gericht brachte John Demjanjuk weltweite Aufmerksamkeit. Doch inzwischen ist es still geworden um den Mann, dem die Staatsanwälte ein unvorstellbares Verbrechen vorwerfen: Beihilfe zum Mord an 27 900 Menschen, begangen 1943 als Wachmann im nationalsozialistischen Vernichtungslager Sobibor. Seit einem Jahr muss sich Demjanjuk vor dem Landgericht München verantworten. Doch auch nach 66 Verhandlungstagen liegt ein Urteil in weiter Ferne. Noch sei nicht absehbar, wann die Beweisführung abgeschlossen ist, hieß es beim Landgericht. Bis zum 2. März 2011 wird der Prozess noch dauern, mindestens.

Nur drei Stunden am Tag darf aus gesundheitlichen Gründen gegen Demjanjuk verhandelt werden, unterbrochen von einer längeren Pause. Ein Gutachter bescheinigte Demjanjuk in der vergangenen Woche erneut, dass er trotz einer Knochenmarkserkrankung verhandlungsfähig sei. Dennoch bleibt es unklar, ob der 90-Jährige das Ende seines Verfahrens erlebt. Während des Prozesses kam ans Licht, dass ein Mann mit einer ähnlichen Biografie, Samuel K., jahrzehntelang unbehelligt in der Nähe von Bonn gelebt hat. Im Demjanjuk-Prozess sagte er als Zeuge aus, inzwischen erhob die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage. Doch zum Prozess kam es nicht mehr. Der 89-jährige Samuel K. ist vor zwei Wochen gestorben. Spät, vielleicht zu spät, hat die deutsche Justiz sich wirklich um die Verfolgung von NS-Verbrechen bemüht. Im Sobibor-Prozess wurden 1966 in Hagen fünf SS-Männer freigesprochen. Die Fehler von damals sind jedoch aus Sicht der Ankläger kein Grund, heute mutmaßliche Täter nicht zur Verantwortung zu ziehen. Und Angehörige der Opfer, die auch Nebenkläger sind, erhoffen sich von dem Prozess ein wenig Gerechtigkeit. Demjanjuk ließ vergangene Woche eine Erklärung verlesen, in der er außergewöhnliche Vorwürfe gegen seine Richter erhob: Diese würden Gesetze verletzen und ihn seiner Freiheit berauben. Sie machten aus ihm, „einem einfachen Kriegsgefangenen“, einen deutschen Amtsinhaber. Das Gerichtsverfahren gegen ihn sei „rechtswidrig und falsch“. Demjanjuks Anwalt Ulrich Busch hatte den Richtern von Anfang an Befangenheit vorgeworfen und versucht, den Prozess mit einer Vielzahl von Anträgen zu blockieren.

Am kommenden Dienstag wird Demjanjuk wieder in seinem Spezialbett im Gerichtssaal liegen. Geplant ist die weitere „Verlesung von Urkunden“. Claudia von Salzen

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