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Die neuen rechten Populisten denken Nation als exklusive Gruppe, Migration ist ihnen unerwünscht.

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Populismus: Die populistische Versuchung

Nation und Volk werden wieder als exklusiv und homogen gedacht. Das ist ein verhängnisvoller Rückschritt – und das ist auch das Rechte am Rechtspopulismus. Ein Essay.

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Populismus. Verschworen gegen die alten Mächte Europas und ihre Parteien, hat es sich aufgemacht zu einer Hetzjagd gegen die liberalen Werte der Demokratie. So etwa ließen sich die berühmten Anfangssätze des Kommunistischen Manifests auf die politischen Diskurse unserer Zeit kaprizieren.

Aber worum geht es heute? Mit einer geschichtsbedingten Verzögerung hat der populistische Diskurs nun mit voller Wucht auch Deutschland erreicht. Eine heftige Auseinandersetzung ist entbrannt. Die neue Polarisierung prägt die politische Auseinandersetzung, und sie beginnt die politische Kultur des Landes zu verändern. Die Debatte spaltet Deutschland. So, wie sie dies in Italien, Österreich, Frankreich, Ungarn, Polen, ja sogar Schweden schon getan hat.

Gleichzeitig ist eine große Sprachverwirrung entstanden: Was ist eigentlich Populismus? Was treibt seinen gegenwärtigen Erfolg? Ist er eine Gefahr für die Demokratie?

Der Rechtspopulismus – und um den wird es hier vor allem gehen – ist ein politisches Programm und eine Strategie, die sich der „dünnen Ideologie“ des Populismus bedient und mit ideologisch rechten Inhalten auflädt. Ihr Zentrum ist die angebliche Dichotomie von „korrupten Eliten“ und dem „reinen Volk“. Volk wird im Rechtspopulismus vor allem als eine ethnische Kategorie konstruiert, als gäbe es nicht das demokratische Konzept einer republikanischen Nation. Der Rechtspopulismus greift zurück auf ein ethnisches Volksverständnis, das insbesondere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Blutspur durch Europa gezogen hat. Der Versuch von Dolf Sternberger bis Jürgen Habermas, Patriotismus und nationale Zugehörigkeit im Nachkriegsdeutschland an die freiheitliche Verfassung des Grundgesetzes zu binden, soll überwunden werden.

Nation und Volk werden wieder exklusiv und homogen gedacht. Ein verhängnisvoller Rückschritt. Das ist das Rechte am Rechtspopulismus.

Rechtspopulismus ist auch Strategie: Es geht um Provokationen

Gleichzeitig hat der Rechtspopulismus ein gestörtes Verhältnis zum Pluralismus und den liberalen Errungenschaften, die die westlichen Demokratien gerade in den vergangenen Jahrzehnten demokratisiert haben: die Rechte und Chancen der Frauen, die Gleichstellung homosexueller Minderheiten mit der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft, religiöse Pluralität, verbriefte Minderheitenrechte. Auch wenn mittlerweile bekennende Homosexuelle in den vorderen Reihen der AfD stehen, tut sich die Partei schwer in Geschlechterfragen und mit einem Familienbild jenseits des traditionellen. Alles überragend ist aber die Ablehnung von Migration aus „kulturfremden“, vor allem islamischen Ländern geworden.

Die Rechtspopulisten spielen perfide auf der Klaviatur berechtigter Religionskritik: Sie kritisieren vor allem jene illiberalen Elemente der zeitgenössischen Varianten des Islams, die sie bis heute selbst als Vorurteile verbreiten. Die Perfidie des Rechtspopulismus entlarvt sich vor allem dann, wenn sie eine legitime Religionskritik auf die muslimischen Gläubigen, also Menschen übertragen.

Der Rechtspopulismus ist aber auch Strategie. Sein Kern ist die Provokation, der Bruch von Tabus. Was Jörg Haider in Österreich, Jean-Marie Le Pen in Frankreich und Pim Fortuyn in den Niederlanden eingeschleppt haben und Donald Trump in den USA perfektioniert hat, gerät bei Alexander Gauland zu der rassistischen Tirade gegen den Fußballspieler Jérôme Boateng, den man zwar als Fußballspieler schätze, aber kaum als Nachbarn haben wolle. Die Barbarei des Nationalsozialismus war ihm nichts als ein „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte. Das sind kalkulierte Tabubrüche. Der einstige Biedermann ist längst zu einem Brandstifter geworden.

Der Begriff „Fake News“ hat sich über Trump tief in unseren Wortschatz gegraben. Bei der AfD und der ihr anverwandten Pegida-Bewegung heißt dasselbe „Lügenpresse“. Die Anklänge an die vor-nationalsozialistischen Tiraden in der Weimarer Republik sind beabsichtigt. Die Provokateure um Gauland und den thüringischen Landeschef Björn Höcke schaffen es damit auf die ersten Seiten der von ihnen verhöhnten Mainstream-Medien. Sie machen sich zu eigen, was die Kommunikations- und Wahlforschung schon länger postuliert: Nachrichten, prominent platziert, wirken sich positiv auf ihre Auslöser aus, gleichgültig ob die Nachrichten selbst positive oder negative sind. Skandalisierung bedeutet Wasser auf die Mühlen des Rechtspopulismus.

Populistische Einstellung werden von "rechts" oder "links" aufgeladen

Trotz fremdenfeindlicher und bisweilen rassistischer Inhalte hat die AfD es in einigen Umfragen auf den zweiten Platz der Parteien-Rangliste geschafft. Geht der Aufstieg der Rechtspopulisten so weiter, kann sie Werte wie ihr österreichisches Pendant FPÖ (2017: 26 Prozent) schaffen und dann gar in eine Regierung eintreten? Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin gibt darüber Aufschluss. In diesem „Populismusbarometer“ wurde auf der individuellen Ebene nach populistischen Einstimmungsmustern in der deutschen Bevölkerung gefragt. 3400 Bürger nahmen an der Umfrage teil. Die wichtigsten Ergebnisse deuten Möglichkeiten und Grenzen der rechtspopulistischen Wählerexpansion in Deutschland an.

Die Studie separiert populistische Einstellungen dabei zunächst von ihren ideologischen Aufladungen von „rechts“ oder „links“. Mit insgesamt acht Fragen wie „Die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht“ oder „Die Bürger sind sich oft einig, aber die Parteien verfolgen ganz andere Ziele“ oder „Was man in der Politik ,Kompromiss‘ nennt, ist in Wirklichkeit nichts anderes als ein Verrat der eigenen Prinzipien“ werden populistische Einstellungen verortet. Nur wenn die befragten Bürger allen acht populistischen Einstellungen zustimmen, formt sich daraus ein populistisches Syndrom, das dann auf einer Acht-Punkte-Skala auch in seiner jeweiligen Intensität graduell abgestuft gemessen werden kann.

Der verkleidete Nationalismus und die ausgehöhlte Demokratie

Die neuen rechten Populisten denken Nation als exklusive Gruppe, Migration ist ihnen unerwünscht.
Die neuen rechten Populisten denken Nation als exklusive Gruppe, Migration ist ihnen unerwünscht.

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Die Untersuchung belegt: Die populistischen Einstellungspotenziale haben sich gegenüber dem Vorjahr verstärkt, nicht erdrutschartig, aber deutlich spür- und messbar. Am stärksten fiel die Zunahme populistischer Einstellungen in der politischen Mitte aus, bei Wahlberechtigten, die sich selbst als weder rechts noch links, sondern in der ideologischen Mitte verorten. Hier handelt es sich also um ein ideologisch nicht fest gelegtes Populismuspotenzial in der Bevölkerung, und die AfD versucht mit zunehmendem Erfolg, dieses Potenzial für sich zu nutzen. Ihre Strategie ist dabei arbeitsteilig: Während gemäßigter wirkende Spitzenleute wie die beiden Bundessprecher Jörg Meuthen und Alice Weidel sich um die populistische Mitte bemühen, decken Gauland, André Poggenburg, Höcke & Co. den rechten Rand ab.

Die Strategie mancher Teile der Union, die rechtspopulistischen Begriffe zu imitieren, um der AfD das Wasser abzugraben, ging nicht auf. Abgeschreckt von der neopopulistischen Rhetorik der CSU-Politiker Horst Seehofer in Berlin und Markus Söder in München wandten sich bürgerliche Wähler von der Union ab. Profitiert haben davon insbesondere die Grünen, deren Bewegung zur Mitte des Parteiensystems diesen Wählertransfer begünstigt hat.

Die grüne Wählerschaft zeigt sich in der Studie als die am wenigsten für Populismus anfällige. Mit Abstand am stärksten populistisch eingestellt sind die Wähler der AfD. Es folgt mit deutlichem Abstand die Linke und danach mit weiterem Abstand die SPD.

71 Prozent der Befragten unserer Studie würden "auf keinen Fall" die AfD wählen

In der Studie wurden erstmals auch die sogenannten negativen Wahlpräferenzen der Menschen abgefragt, um die Grenzen der AfD zu erkunden. Auf die Frage „Welche Partei würden Sie auf keinen Fall wählen?“ bekundeten 71 Prozent der Befragten, dass dies auf die AfD zuträfe. Das bedeutet zwar nicht, dass 29 Prozent der Wählerschaft morgen bereitstünden, die Rechtspopulisten zu wählen, aber es zeigt den populistischen Resonanzraum, in dem sie agieren. Gleichzeitig zeigt es aber auch die gläserne Decke der AfD, die von einer übergroßen Mehrheit aller Wähler fast ebenso massiv abgelehnt wird wie die rechtsextreme NPD.

Populistische Einstellungen können ideologisch natürlich nicht nur von rechts, sondern auch von links aufgeladen werden. Heißt das, dass Links- und Rechtspopulismus gleichzusetzen sind? Nein, das heißt das nicht. Der Rechtspopulismus hat ein völkisches Volksverständnis und ist exklusiv. Er schließt also ethnisch und kulturell nicht zum Volk gehörende Gruppen von Menschen aus.

Der Linkspopulismus dagegen „konstruiert“ das Volk nicht ethnisch, sondern fokussiert in der Frage vor allem auf die sozial wie wirtschaftlich weniger Begünstigten der Gesellschaft. In dieser Hinsicht ist er inklusiv. Das ist die Idee von Sahra Wagenknechts Bewegung „Aufstehen“. Dass diese nicht zu Wahlen antritt wie „La France Insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon in Frankreich und „Podemos“ in Spanien, mindert ihre Erfolgschancen. Beiden Populismen gemeinsam ist jedoch eine Geringschätzung klassischer repräsentativer Verfahren und ihr Ressentiment gegen den etablierten Politikbetrieb.

Das Gefährliche am Rechtspopulismus ist sein völkischer Nationalismus im Gewand eines populistisch-illiberalen Demokratiekonzepts. Das ist nicht der gerade Weg in ein autoritäres Regime – auch wenn Viktor Orbán in Ungarn auf diesem Weg schon eine beachtliche Strecke zurückgelegt hat. Es ist die Ausspielung der großen Idee der Volkssouveränität gegen den Rechtsstaat, der mit der vorbehaltlosen Sicherung von zivilen und politischen Rechten die Demokratie erst ermöglicht. Rechtspopulisten in der Regierung schaffen die Demokratie nicht ab, aber sie beschädigen sie. Sie deformieren die Demokratie zu „defekten Demokratien“, sie höhlen sie aus.

Wie aber könnte ein wirkungsvoller „Antipopulismus“ aussehen, der dem Rechtspopulismus entgegenzusetzen wäre? Fest steht: Die bisherigen Versuche der Eindämmung sind vorerst gescheitert. Vor allem die Strategie der Nachahmung, Anbiederung und Übernahme rechtspopulistischer Ressentiments und ihrer politischen Rhetorik. Die CSU wird ihre Quittung dafür an diesem Sonntag bei der Landtagswahl bekommen. Alle Parteien, von der CSU bis zu den Linken, haben in ihren antipopulistischen Wählersegmenten mehr zu verlieren, als im populistischen Bereich zu gewinnen – außer der AfD. Wer Populismus mit Populismus bekämpft, läuft Gefahr, ihr Geschäft zu betreiben.

Populisten sind in Demokratien nie ohne Grund erfolgreich

Erfolgversprechender wäre ein zweigleisiger Antipopulismus, der auf Abgrenzung und Responsivität, also eine engere Wähleranbindung, setzt. Denn Populisten sind in Demokratien nie ohne Grund erfolgreich. Sie mobilisieren entlang der alten sozialen und neuen kulturellen Konfliktlinien unserer Gesellschaft. Zu deren Überwindung haben sie aber keine Angebote. Die müssen von den Kräften der demokratischen, antipopulistischen Gegenmobilisierung kommen. Eine verteilungsgerechtere Sozialpolitik, mehr sozialer Wohnungsbau, mehr Bildungschancen für alle, mehr Rentengerechtigkeit und bezahlbare Pflege für alle sind deshalb nicht nur vernünftige Politik, sondern Bausteine eines erfolgreichen Antipopulismus.

Allerdings geht es längst nicht mehr nur um die klassischen sozio-ökonomischen Konfliktlinien. Kulturelle Differenzierungen und Spaltungen kommen hinzu. An dieser Front kämpft der Rechtspopulismus seinen Abwehrkampf gegen Vielfalt, Toleranz und Zusammenhalt einer zunehmend heterogenen Gesellschaft. Und dem sollte wirksamer Antipopulismus eine überzeugende Verteidigung der liberalen Demokratie entgegensetzen, in der die Würde des Menschen, aller Menschen unantastbar bleibt. Nicht Populismus ist das Korrektiv, sondern ein effizienter Staat und eine aktive Zivilgesellschaft, die die sozialen und kulturellen Ängste eines größer gewordenen Teils unserer Gesellschaft ernst nehmen und ihnen nicht mit Ignoranz und Hochmut begegnen. Fairness gegenüber Fremden und mehr Gerechtigkeit in der eigenen Bürgerschaft – das kann Demokratie leisten. Das kann sogar nur Demokratie leisten. Populismus kann das nicht.

- Professor Wolfgang Merkel ist Direktor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Robert Vehrkamp ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und zur Zeit Gastwissenschaftler am WZB

Wolfgang Merkel, Robert Vehrkamp

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