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Die Polizei soll Gefahren abwehren - aber auch über ihre Tätigkeit öffentlich berichten.

© Friso Gentsch/dpa

Polizei soll Straftäter-Nationalität nennen: Zur Wahrheit zählt mehr als die Herkunft

Die Innenminister sind uneins, wie über Ausländer-Kriminalität zu berichten ist. Wichtig ist: Erst denken, dann informieren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Es kann eine gute Nachricht sein, wenn Innenminister sich nicht einigen. So wird in manchen Bundesländern dafür geworben, in Polizeimeldungen an die Öffentlichkeit stets die Nationalität von Tätern oder Verdächtigen zu nennen. Andere sind dagegen. Bei ihrem Treffen in Lübeck werden sich die Minister – Frauen gibt es traditionell kaum in diesem Kreis – wohl auf keine gemeinsame Linie verständigen können. Nordrhein-Westfalens Herbert Reul bedauert das. Bis Ende des Jahres will er seine Polizei per Erlass dazu verpflichten; er meint, das nehme der AfD den Wind aus den Segeln.

Reul will sich nicht Zensur vorwerfen lassen

Man darf bezweifeln, dass es eine polizeiliche Aufgabe ist, die AfD in die Flaute zu schicken. Wichtiger aber ist, was sich mit dem Vorhaben grundsätzlich verbindet: Die amtlich bezeugte Einsicht, dass Verbrechen und Herkunft zwingend zusammengehören. Reul und Unterstützer wollen sich nicht vorwerfen lassen, unbequeme Wahrheiten zu unterdrücken, sich als Zensoren aufzuspielen. Wenn Ausländer stehlen, morden oder vergewaltigen, müsse eben gesagt werden, dass es Ausländer sind und woher sie stammen.

Kein Syrer ist kriminell, weil er Syrer ist

Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, ist sie das? Zur Wahrheit zählt, dass Flüchtlinge und Migranten, aus einer Vielzahl von Gründen, vergleichsweise häufiger straffällig werden. Es kann angezeigt sein, mit dem Tatverdacht auch die Herkunft des Verdächtigen öffentlich zu nennen, weil sie zum Geschehen gehört, es vielleicht nicht erklärt, doch Zusammenhänge besser verstehbar macht. So gehen übrigens die meisten Polizeien der Bundesländer vor. Die Herkunft ist kein Tabu. Aber sie ist, für sich genommen, auch kein Faktor von Kriminalität, der in jedem Polizeibericht erscheinen muss. Kein Syrer ist kriminell, weil er Syrer ist.

Das Netz prämiert Differenz und verachtet Frieden

Zurückhaltung ist geboten. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass der Streit über Nation und Religion Kriege entfesseln kann. Noch eine Wahrheit ist, dass dieser Streit mit der digitalen Vernetzung in einer Weise organisiert und in die Welt getragen werden kann, wie es sie noch nie gegeben hat. Die algorithmische Zuteilung von Aufmerksamkeit ist gnadenlos. Sie prämiert Differenz und verachtet den Frieden. Regierungen und Behörden müssen abwägen, welche Rolle sie sich hier aneignen wollen. Was bei Herbert Reul nach Emanzipation aussieht, kann auch die Schwäche eine Politikers sein, der sich treiben lässt.

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