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Horst Seehofer (CSU) sieht sich selbst als „Erfahrungsjurist“. Offenbar genügt ihm diese Expertise.

© John MacDougall / AFP

Polizei-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah: Horst Seehofer warf „taz“-Autorin Straftat vor - ohne rechtliche Untersuchung

Nach dem polizeikritischen Artikel forderte der Innenminister seine Beamten auf, eine Strafanzeige zu verfassen. Juristisch prüfen aber ließ er den Text nicht.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat der Autorin einer polizeikritischen Kolumne in der „tageszeitung“ mit einer Strafanzeige gedroht, ohne ihren Text zuvor juristisch umfassend prüfen zu lassen. Dies geht aus Stellungnahmen des Ministeriums nach einer Auskunftsklage des Tagesspiegels vor dem Verwaltungsgericht Berlin hervor (Az.: VG 27 L 190/20).

Demnach hat Seehofer persönlich bereits zwei Tage nach Erscheinen des Textes Mitte Juni dem fachlich zuständigen Polizeireferat des Ministeriums den „Auftrag erteilt, eine Ministervorlage mit dem Entwurf einer Strafanzeige gegen die Autorin der ‚taz‘-Kolumne ‚All cops are berufsunfähig‘ zu fertigen“. Der Textentwurf wurde einen Tag später „der Hausleitung vorgelegt“.

Am 22. Juni kündigte Seehofer dann in der „Bild“-Zeitung an, er werde „morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels stellen“. Davon sah er jedoch wenig später nach Diskussionen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ab.

Die Beamten des zuständigen Referats „Polizei und Strafverfolgung“ der Abteilung „Öffentliche Sicherheit“ im Ministerium haben den Fall folglich nicht ergebnisoffen untersucht, etwa in einem Gutachten, sondern lediglich Seehofers persönliche Ansicht umgesetzt, wonach sich die Journalistin Hengameh Yaghoobifarah strafbar gemacht haben soll.

Dass der Minister, der sich selbst als „Erfahrungsjurist“ bezeichnet, mit seiner Einschätzung daneben liegt, wird ihm demnächst von der Berliner Staatsanwaltschaft bestätigt. Wie berichtet, sieht man dort nicht einmal einen Anfangsverdacht wegen Beleidigung oder Volksverhetzung. Entsprechend soll auch kein Ermittlungsverfahren mehr gegen Yaghoobifarah eingeleitet werden. Eine abschließende Erklärung dazu bereitet die Staatsanwaltschaft derzeit vor.

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Trotzdem hält Seehofer ausweislich einer Pressemitteilung daran fest, die Kolumnistin habe „durch die menschenverachtende Wortwahl auch Straftatbestände erfüllt“.

Welche das sein sollen und wie dies begründet wird, bleibt weiterhin Seehofers Geheimnis. Einzelheiten aus dem Anzeige-Entwurf seines Hauses sollen nach seinem Willen der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden. Im Rechtsstreit mit dem Tagesspiegel erklärte das Ministerium, Fragen der Presse zu den näheren Umständen von Seehofers Vorgehen in dieser Sache griffen „unzulässig ins Privatleben des Ministers ein“. Dennoch wurden manche der verlangten Auskünfte erteilt. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die übrigen Informationsbegehren steht noch aus.

Die ausgebliebene juristische Prüfung könnte auch für die Frage eine Rolle spielen, ob Seehofer an seinem Straftaten-Vorwurf gegen die Autorin festhalten darf. Wie berichtet, hat Yaghoobifarah über ihren Anwalt die Unterlassung entsprechender Aussagen verlangt, weil sie dadurch vorverurteilt werde. Dennoch finden sich diese weiterhin auf den Webseiten des Ministeriums. Ob die Autorin noch gerichtlich gegen den Innenminister vorgehen wird, ist offen.

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