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Gesundheitsminister Spahn hat in Beliebtheitswerten die Bundeskanzlerin und Parteikollegin Merkel erstmals überholt (Archivfoto).

© imago images/Florian Gaertner/photothek

Politischer Gewinner der Coronakrise: Jens Spahn, der Kanzlerin-Verdränger

Der Gesundheitsminister ist der Feuerwehrmann. Er wird gebraucht, er löscht. Erst wenn der Brand nur noch glimmt, wird sich zeigen, was ihm das bringt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Er ist gegenwärtig der beliebteste Politiker in Deutschland, noch vor Angela Merkel, und das will etwas heißen. Aber was?

Jens Spahn hat so viel Kritik auf sich gezogen, ist bei Weitem nicht unangreifbar, weder im Politischen noch im Privaten, und dennoch. Ein Wunder – und doch keines.

Es geht ums Große, ums Ganze, um mehr als den CDU-Vorsitz. Maskenchaos, Testchaos, Impfchaos – die Gesellschaft braucht einen, an den sie sich anlehnen kann. Das verspricht Spahn, durch Haltung und Gestus. Und wirkt dabei nicht so obrigkeitlich wie der Mann aus Bayern, der maßregeln kann wie kein Zweiter.

Spahn tut das nicht. Seine Worte sind keine Belehrungen. Der Satz vom Verzeihen begleitet ihn, und der war in jedem Fall richtig. Wer wählt seine Worte in dieser Pandemie schon immer richtig.

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Um zwei Wochen verspätet hat er in der ersten Corona-Welle anerkannt, dass das Virus Deutschland erreicht habe. Da sprach Spahn noch von Gelassenheit, wenn auch wachsamer. Da meinte er auch noch, die Behörden, überhaupt das ganze Gesundheitssystem, seien gut vorbereitet und aufgestellt.

Kritik wird laut, aber nicht zuallererst an Spahn

Aber der Bundesgesundheitsminister sagte darüber hinaus diesen Satz, der bis heute gilt: „Unser oberstes Ziel ist und bleibt, die Ausbreitung zu verlangsamen.“

Jetzt sind wir in der zweiten Welle, die so recht keiner wahrhaben wollte, obwohl es Warnungen gab, schon im März dieses Jahres. Man hätte es ahnen, womöglich wissen können. Und wie ist es heute mit Intensivbetten, Schnelltests, Beatmungsgeräten, Schutzkleidung für medizinisches Personal und in der Pflege, Masken für die Bevölkerung?

Kritik wird laut – aber nicht zuallererst an Spahn. Eben weil er wie der wirkt, der das Gesundheitssystem verkörpert: von Tag zu Tag ein wenig besser aufgestellt.

Wer alles zu wissen glaubt, kann am Ende trotzdem scheitern. Gerade deswegen. Schulen und Kitas schließen? Restaurants, Klubs, Kinos, Theater, Geschäfte? Spahn weiß es doch auch nicht, aber vieles musste und muss getan werden – lieber eine (im Nachhinein) falsche, eine übertriebene Entscheidung als gar keine. Falsche lassen sich korrigieren.

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Eine Entscheidung, die die Bundesregierung mit allen anderen Regierungen im Land getroffen hat, ist deshalb nicht allein seine; und somit ist es auch nicht Spahns Fehler allein, dass die besonders gefährdeten Gruppen, die Hochrisikopatienten und -personen, nicht so geschützt sind, wie sie bis Jahresende geschützt sein sollten.

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Viele sehr alte Menschen sterben, Alten- und Pflegeheime sind getroffen und betroffen, obwohl es eine „Nationale Teststrategie“ gibt. Nur, einer allein kann nicht alles umsetzen. Nicht bei 16 Bundesländern.

Er versucht sein Bestes und hört auf andere. Immerhin

Versuch und Irrtum ist keine angenehme Politik, kein strahlender Kurs, das stimmt. Die zweite Welle ist nicht gebrochen, Spahn hat es sich vielleicht zu sehr gewünscht, als er das sagte. Ja, auch bundespolitische Initiativen, wie der Bonus für Pflegekräfte, kamen und kommen schwer in die Gänge.

Doch Spahn zeigt sich als einer, der sein Bestes versucht. Als einer, der nicht immer alles weiß, aber mehr wissen will, sich mit wissenschaftlichem Sachverstand umgibt, und zwar mehr als einem. Er hört auch andere Einschätzungen. Immerhin.

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Hier tut einer das politisch Richtige: Er sucht immer wieder Parameter, die einer Beherrschung der Pandemie am nächsten kommen. Beständig neu passt dazu als Begriff, und das ist, was die Menschen im Land, verunsichert und angestrengt, verstehen: dass einer sich in aller Unrast als in einem beständig präsentiert – als beständig lernbereit. Dann wird ihm verziehen. Und da wird es einiges geben.

Der Gesundheitsminister ist der Feuerwehrmann. Er wird gebraucht, er löscht. Wenn der Brand dann nur noch glimmt, vielleicht im Wahlsommer, wird klarer zu besichtigen sein, wie es aussieht bei Vorsorge, Fürsorge, Zukunftschancen für die Gesellschaft. Und wie Spahn bei alledem dasteht. Gegenwärtig sehen die Deutschen in ihm ihre Chance. Das ist seine.

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