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Szene von Verwahrlosung in Detroit 2014.

© dpa

Zustand der amerikanischen Demokratie: Das Land ist am Ende

Josef Braml zeichnet in seinem Buch ein düsteres Bild vom Zustand der Vereinigten Staaten. Eine Rezension.

Wir haben die beste Demokratie, die man sich für Geld kaufen kann“, so lautet ein zynisches Bonmot in den USA. Es könnte auch als Leitmotiv für Josef Bramls erstklassig recherchierte Bestandsaufnahme der amerikanischen Demokratie gelten. Seine These: Dort regiert (fast) nur noch das Geld, während die finanziellen Nöte der Bevölkerung immer weniger die Herrschenden interessieren. Folglich scheint für immer mehr Amerikaner der amerikanische Traum von Freiheit, Gleichheit und Streben nach Glück ausgeträumt; immer mehr Amerikaner können sich immer weniger leisten.

Oligarchische Charakter des politischen Systems

Auch der Staat lebt zusehends auf Pump. Allein von 2011 bis 2014 stützte das Ausland den Staatshaushalt mit 2,5 Billionen Dollar, heute steht er schon mit 6,2 Billionen Dollar in der Kreide. Das verschärft die Dramatik der Situation, denn Staat und Gesellschaft leben seit Jahren über ihre Verhältnisse. Dazu droht die Musterdemokratie zur Plutokratie zu verkommen. „Es gibt in den USA eine besorgniserregende Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht in den Medien, der Informationstechnologie, Finanzdienstleistungen, Öl- und Rüstungsindustrie. Diese Unternehmen bestimmen, ob und wie der Staat handelt. Sie beeinflussen die Spielregeln und die Entscheidungen zu ihren Gunsten“, schreibt der USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Der zunehmend oligarchische Charakter des politischen Systems passt in dieses Bild vom Ausverkauf der US-Demokratie – auch weil die beiden großen Parteien durch ihre Kompromissunfähigkeit das politische System weitgehend lähmen: Reformen scheitern, das System der „Checks and balances“, das auf der Notwendigkeit von Kompromiss und gegenseitiger Achtung beruht, scheint zusammenzubrechen: „Die gravierenden sozialen Probleme und die wirtschaftliche Schwäche vertiefen die ideologischen Gräben zwischen Demokraten und Republikanern. Das verstärkt die Dysfunktionalität und untergräbt die Legitimation des Regierungssystems und die Handlungsfähigkeit der Regierung.“

Rhetorisches Valium

In dieses Bild passt, schreibt Braml, dass die meisten Abgeordneten und Senatoren immer weniger die Interessen des Volkes repräsentieren, sondern den Finanz- und Wirtschaftsinteressen dienen: „Wenn man die ,negativen Steuern‘, sprich Subventionen betrachtet, mit denen der Staat strategisch wichtige Industrien unterstützt, dann wird umso verständlicher, warum die in den USA schwach regulierten Medien-, Informationstechnologie-, Finanz-, Energie- und Militärunternehmen – auch im weltweiten Maßstab – so groß und dominant geworden sind.“

Kein Wunder, dass sich die Bürger politisch entmündigt und wirtschaftlich abgehängt fühlen und den Wohlfühlparolen des Establishments, die lange wie rhetorisches Valium wirkten, nicht mehr vertrauen. Das Wiederauftauchen von Rassismus und Fremdenhass resultiert also auch aus Angst vor Überfremdung, Arbeitslosigkeit und Identitätsverlust. Hinzu kommt, dass der mittlerweile 15 Jahre andauernde Krieg gegen den Terror Umrisse eines Überwachungsstaates hervorgebracht hat, der der amerikanischen Psyche fremd ist.

Braml verweist auch darauf, dass das Versprechen auf Wandel und Verbesserung von Präsident Barack Obama nicht erfüllt worden ist. Vielmehr zeigt sich eine dramatische Kontinuität von militanter Illiberalität: Obama hat die weitere Einschränkung individueller Freiheitsrechte gegenüber der Macht der Geheimdienste nicht verhindert, dazu hat er den Krieg gegen den Terror weiter ausgedehnt (und kaum nennenswerte Erfolge erzielt) und die Rolle des Militärs weiter gestärkt. Kein Wunder, dass das Vertrauen vieler Amerikaner in die Demokraten und in die Demokratie weiter sinkt.

„Liberale und Konservative leben in unterschiedlichen Welten“

Eine neue – bisher ungeahnte – Dimension der Konfrontation zwischen den politischen Lagern tut in den Medien und im Internet ein Übriges, dass die alte liberale politische Kultur von Fairness und Kompromiss zu versinken droht: „Liberale und Konservative leben in unterschiedlichen Welten. Es gibt fast keine überlappenden Nachrichtenquellen mehr, an die sich beide Seiten wenden und denen sie vertrauen.“ Hass und Verleumdung sind mittlerweile zum Kennzeichen einer politischen Un-Kultur geworden.

Es ist ein düsteres Bild, das der Verfasser in diesem lesenswerten Buch zeichnet. Gerade überzeugte Transatlantiker wie der Rezensent würden Braml gern widerlegen. Aber dessen Argumentation und seine Beweisführung sind von bedrückender Überzeugungskraft: Die USA befinden sich in einer gesellschaftspolitischen Existenzkrise.

Braml spricht zwar nicht vom aktuellen Wahlkampf, aber dieses Buch bietet dafür bestes Hintergrundwissen. Denn er macht die Wut vieler Amerikaner nachvollziehbar: Angst geht um in Amerika, das ist die Quintessenz aus Bramls Buch. Wie immer die Wahl im November ausgehen wird, der Ausverkauf der amerikanischen Demokratie wird nicht so schnell zu stoppen sein.

Josef Braml: Auf Kosten der Freiheit. Der Ausverkauf der amerikanischen Demokratie und die Folgen für Europa. Quadriga Verlag, München 2016. 270 Seiten, 22 Euro.

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