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„Ein Revolutionär sollte niemals heiraten“, sagte Tito nach einem Streit mit seiner dritten Ehefrau Jovanka (im Bild: die Eheleute Broz 1956 auf der Adria-Insel Vanga). 1977 trennten sich die beiden und Jovanka verschwand aus der Öffentlichkeit. 2013 starb Titos Witwe verarmt in Belgrad.

© mauritius images

Tito-Biografie: Geschichte und Gerüchte

Zwischen Stalin und dem Westen: Titos Stärke war seine Unabhängigkeit, schreibt Joze Pirjevec in seiner Tito-Biografie. Eine Rezension.

Es war kein Zufall, dass Ernst Reuter, Ex-Kommunist und Regierender Bürgermeister in West-Berlin, 1953 um ein Vorwort zur deutschen Ausgabe der ersten Biografie Titos gebeten wurde. Der kommunistische Staatspräsident und Diktator Jugoslawiens war ein alter Bekannter aus gemeinsamen Moskauer Jahren nach dem Ersten Weltkrieg; er war, wie Reuter, nach dem Zweiten bei Stalin in Ungnade gefallen. Da war Reuter allerdings schon Sozialdemokrat und Tito der erste kommunistische Staatschef, der sich von Stalin lossagte.

Obwohl Reuter das Vorwort mit einer „inneren Beklemmung, den Sprung über die Hürde zu machen“ bis zu seinem überraschenden Tod im Herbst 1953 vor sich herschob, hatte er noch mit Interesse erfahren, dass Tito mit ihm über die Chancen einer neuen Politik im Kreml nach Stalins Tod gleicher Meinung war. So kann man es nachlesen in Willy Brandts und Richard Löwenthals Reuter-Biografie. Vielleicht hat auch der Stil des Buches, von Titos Weggefährte Vladimir Dedijer im Stil des Personenkults verfasst, zu Reuters Beklemmung beigetragen, der Tito bei allem Respekt sicher für keinen lupenreinen Demokraten gehalten hat.

„Hör auf damit, all diese Attentäter auf mich zu hetzen“

Joze Pirjevec, der jüngste Tito-Biograf, schildert ihn zwar durchaus in Lebensgröße als historischen Staatsmann, Befreier Jugoslawiens von deutscher Besatzung und Gründer der Bewegung blockfreier Staaten, aber auch als Diktator auf Lebenszeit, der seine politischen Gegner rücksichtslos aus dem Weg räumte und dem Personenkult nicht abgeneigt war. Pirjevec, Professor für Geschichte an der Universität von Koper in Slowenien, illustriert Titos Selbstbewusstsein mit einer – nicht zweifelsfrei belegten – Anekdote, wonach sich auf Stalins Nachttisch nach seinem Tod ein „Zettel“ (an anderer Stelle ist von einem Brief die Rede) mit einer Botschaft Titos gefunden haben soll: „Hör auf damit, all diese Attentäter auf mich zu hetzen. Wir haben bereits fünf von ihnen erwischt, einen mit einer Bombe, einen anderen mit einem Gewehr. Wenn du nicht damit aufhörst, werde ich dir einen nach Moskau schicken müssen, und ein zweiter wird nicht nötig sein.“ Ob diese Drohung Stalins Gehirnschlag ausgelöst habe, lässt Pirjevec offen. Er verschweigt auch nicht, dass Titos Respekt vor dem Mann im Kreml einmal größer gewesen war: Als ihm im Partisanenkampf 1943 der bis dahin nur in der Sowjetarmee gebräuchliche Marschallstitel verliehen wurde, sei er errötet und habe gefragt: „Geht das nicht zu weit? Und was werden die Russen sagen?“

Widerstehen konnte der Liebhaber prächtiger Uniformen aber schon damals nicht, und wohlverdient war der Titel für seine „geniale Leitung der Operationen der Volksbefreiungsarmee“ durchaus, auch wenn Pirjevec von peinlichen Situationen berichtet, in denen Tito – von seinen deutschen Verfolgern gejagt – der Mut verließ. Bei seiner Rettung in letzter Minute musste er sogar seine Uniform zurücklassen, die daraufhin von den Deutschen als Trophäe zur Schau gestellt wurde. Hitler allerdings bekam einen Wutanfall, dass auch der dritte von drei Versuchen, Titos habhaft zu werden („Operation Schwarz“, „Operation Weiß“, „Operation Rösselsprung“) gescheitert war. Und Heinrich Himmler konnte nicht umhin einzuräumen, Tito habe „den Titel eines Marschalls verdient. Ich wünschte, daß wir ein Dutzend solcher Titos in Deutschland hätten“. Er hielt Tito – mit Recht – für einen „Mann von starkem Charakter“.

In späteren Jahren war Tito allerdings gnädiger mit seinen Gegnern und Opponenten

Den bekam auch Stalin zu spüren, wenn Tito darauf bestand, dass die Rote Armee bei der Befreiung Serbiens nur mit seiner Genehmigung und an der Seite seiner Partisanen in Belgrad einziehen durfte. Es war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass Tito die eigene Souveränität auch gegen die Sowjets behauptete, die Jugoslawien ihrer Blockpolitik unterwerfen wollten und dort Marinestützpunkte in eigener Jurisdiktion verlangten. Sogar auf eine selbstständige Außenpolitik sollte das Land verzichten, um sich der als „Kominform“ wiedererstandenen Kommunistischen Internationalen zu unterstellen. Titos Weigerung sich vor deren Schranken zitieren zu lassen, beantwortete das Kominform mit seinem Ausschluss als „Renegat“, der ein „tückisches Terrorsystem“ führe. Davon war immerhin so viel richtig, dass Tito mit aller Härte gegen Stalins Gefolgsleute in Jugoslawien vorging. „Wenn wir es nicht tun“, erwartete Titos Weggefährte Edvard Kardelyj, „wird Stalin Jugoslawien in ein schreckliches Konzentrationslager verwandeln.“

Bei anderer Gelegenheit hatte Stalin Titos Terror – sein Vorgehen gegen serbische Tschetniks und die kroatische Ustascha, für die er ein berüchtigtes KZ errichtete – die Anerkennung nicht versagt: Tito sei „ein ganzer Kerl. Er hat alle seine Gegner beseitigt“. In späteren Jahren seiner langen Herrschaft war Tito allerdings gnädiger mit seinen Gegnern und Opponenten, zumal in den eigenen Reihen. Seine Weggefährten Dedijer, Milovan Djilas und Aleksandar Rankovic wurden zwar als Abweichler aus ihren Ämtern entfernt – Djilas sogar zweimal zu Gefängnis verurteilt –, aber weder „beseitigt“ noch ausgewiesen. Rankovic, der als Innenminister und Geheimdienstchef Tito abhören ließ, blieb auf dessen Geheiß straffrei. Djilas konnte nach seiner ersten Haft wie Dedijer in den Westen reisen, nach der zweiten Haft und einem Ausreiseverbot unbehelligt in Belgrad, im Exil im eigenen Land, Tito überleben.

Seine Stärke war sein festes Beharren auf Blockfreiheit

Titos Schwäche waren die Frauen, denen Pirjevic einen längeren Exkurs widmet. Er war ein Mensch, schreibt Pirjevec, „von großen Leidenschaften, in seinen persönlichen Wünschen und seinem Hunger auf alles, beim Essen und Trinken, in Liebe und Feindschaft“. Seine Stärke war sein festes Beharren auf Unabhängigkeit und Blockfreiheit und seine Unersetzlichkeit als Integrationsgestalt für die sechs auseinanderstrebenden Nationen unter dem Dach Jugoslawiens. Bei den Zielen galt sein stetes Streben und Taktieren der Außen- und Innenpolitik, während als Vordenker der jugoslawischen Verfassung und Architekt des jugoslawischen – für orthodoxe Kommunisten „dritten“ – Weges der Selbstverwaltung Kardelj gelten muss. Er diente Tito bis zu seinem frühen Tod als zeitweiliger Außenminister, Parlamentspräsident und Vordenker für Wirtschafts- und Gesellschaftreformen. Bis er – ein Jahr vor Tito – 1979 starb, galt er als dessen Nachfolger. Aber „Diktatoren schaffen sich niemals einen Nachfolger“, wie sein Biograf anmerkt.

Der 76-jährige Pirjevec leuchtet in seiner Biografie – die der Verlag etwas vollmundig als die Biografie bezeichnet – alle Windungen und Wendungen in Leben und Wirken und Titos aus. Auch seine ambivalente Aussöhnung mit Nikita Chruschtschow und Leonid Breschnew, zu der er ebenfalls eine passende Anekdote beisteuert: Bei Titos Empfang und Rehabilitierung in Moskau 1956 habe ihn ein Transparent begrüßt „Hoch lebe der teure Genosse Tito und seine Clique!“ Das war noch Originalton Stalin, der nur automatisch wiederholt wurde. Oder doch mit Hintersinn? Wie gut es Chruschtschow wirklich mit Tito gemeint hat, ist zweifelhaft, denn er „soll“ im selben Jahr bei einem Besuch in Bulgarien erklärt haben, dass man Tito ins sozialistische Lager zurücklocken müsse, „um ihm dann den Hals umzudrehen“. Wie so manche Pointe in seinem Buch lässt Pirjevec auch dieses Zitat im Raum stehen. Also doch Raum genug für weitere Biografien.

– Joze Pirjevec: Tito. Die Biografie. Übersetzt von Klaus Detlef Olof. Verlag Antje Kunstmann, München 2016. 600 Seiten, 39,95 Euro.

Hannes Schwenger

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