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Plakat zur ARD-Themenwoche "Toleranz". Die ist ja mittlerweile auch nicht mehr das, was sie mal war.

© dpa

Politische Korrektheit: Akzeptanz der Toleranz

Jetzt darf man nicht einmal mehr Toleranz sagen, weiß Harald Martenstein. Verbale Kommunikation wird zunehmend unmöglich. Wechseln wir doch einfach zur Zeichensprache.

In der ARD haben sie eine „Woche der Toleranz“ veranstaltet. Daraufhin hat in Deutschland eine Toleranzdebatte begonnen. Manche sagen, dass Toleranz in Wirklichkeit eine schlechte Sache sei. Tolerieren bedeutet Hinnehmen, Dulden, Gewährenlassen. Das Wort, sagen die Kritiker, habe etwas Herablassendes, Gönnerhaftes. Wer eine andere Person und ihr Verhalten toleriere, der spreche von oben herab. Im Feuilleton der „Süddeutschen“ hieß es: „In Deutschland ist Toleranz auch eine Form der Demütigung.“ In anderen Ländern kann man das Wort Toleranz offenbar tolerieren, leider schreiben sie nicht, in welchen.

Als Ersatz wird einerseits das Wort „Akzeptanz“ gefordert, was sicher keine Dauerlösung darstellen würde. Wenn Kommerzienrat Knödel sagt „Ich akzeptiere Ihre Entschuldigung dafür, dass Sie zu dem Festessen aus Anlass meines 70. Geburtstages in Badeschlappen gekommen sind“, dann ist das auch von oben herab. Die andere Fraktion der Kritiker verlangt, das Wort „Toleranz“ durch das Wort „Respekt“ zu ersetzen. Knödel sollte sagen: „Dafür, dass Sie bei meinem Festessen Badeschlappen anhatten, haben Sie meinen Respekt.“

Niemand kann Menschen Gefühle vorschreiben

Ich hätte nie gedacht, dass „Toleranz“ mal ein politisch unkorrektes Wort werden könnte. Was kommt als Nächstes? Frieden? Frieden ist oft eine Form der Demütigung, zum Beispiel der Frieden, der in einem eroberten Land herrscht. Außerdem ist Frieden das, was vor und nach dem Krieg kommt – wer „Frieden“ sagt, bejaht automatisch die Idee des Krieges. „Mitleid“ ist besonders schlimm, herablassender geht es ja kaum. Auch „Lob“ klingt ziemlich gönnerhaft, oder? Sogar das in politisch korrekten Kreisen ziemlich angesagte Wort „wertschätzend“ besitzt Widerhaken. Man soll sich zu allen wertschätzend verhalten. Aber wer den Wert eines anderen schätzt, der verhält sich doch anmaßend. Meiner Ansicht nach wird verbale Kommunikation langsam unmöglich, ich rate zur Zeichensprache. Daumen hoch!

„Toleranz“ ist ein Verhalten, „Respekt“ ist ein Gefühl. Ich halte es für unmöglich, Menschen ihre Gefühle vorzuschreiben. Jeder kann verlangen, sein oder ihr Leben ohne Belästigung oder Diskriminierung führen zu dürfen. Aber das Ziel, dass wir alle einander lieben, lässt sich wohl nur durch den flächendeckenden Einsatz von bewusstseinsverändernden Drogen erreichen. Da rate ich zu einer ausgiebigen Einkaufstour im Görlitzer Park.

Wenn jemand eine bestimmte Menschensorte nicht mag, hat er das Recht dazu, aber er hat nicht das Recht, andere auf intolerante Weise zu belästigen. Ein Land, in dem sich alle gegenseitig friedlich ertragen, ist vermutlich das beste Land, das es geben kann. Die Idee, Gefühle vorzuschreiben, erinnert ein bisschen zu sehr an den Roman „1984“.

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