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Viele Grundschulen und Kitas haben am Montag wieder geöffnet.

© dpa/Gregor Fischer

Politische Bummelei: Die Schulen sind schon mit der Bereitstellung von Seife überfordert

Die Unvorhersehbarkeit einer Pandemie darf nicht als Entschuldigung herhalten für Planlosigkeit: Die Politik ist ignorant und überfordert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thomas Trappe

Eltern, die gelegentlich über die Grenzen Deutschlands hinausschauen oder gar von den Umständen wissen, unter denen frühkindliche und schulische Bildung in Nachbarstaaten stattfindet, ahnten es schon vor der Coronakrise: Die Interessen von Kindern haben in Deutschland nachrangige Bedeutung und würden in geradezu himmlische Sphären gehoben, gönnte man ihnen den Rang der Automobilindustrie.

Nachdem die Schulen diesen Montag in den meisten Bundesländern wieder öffneten, wird daran für viele nun erst Recht kein Zweifel mehr bestehen: Den Verantwortlichen scheint es schließlich weitgehend egal, wie es den Kindern, den Familien und schlimmstenfalls ihren Großeltern ergehen wird.

So schnell, wie bei jedem Husten des Wirtschaftssystems nach Diesel-, Abwrack- und sonstigen Prämien für VW, Mercedes & Co. gerufen wird, so vergeblich erwartete man nun, dass nach einem Jahr Pandemie die Schulen und Kitas auf einen Stand beim Corona-Schutz gebracht wurden, der eines europäischen Staates würdig ist. 

Wohlgemerkt geht es hier nicht um die Frage, ob die Schulen öffnen sollen – hierüber kann man trefflich streiten. Das psychische Wohlergehen der Kinder ist ein überaus starkes Argument für die Öffnungen und auch das Offenlassen.

Wenn aber Eltern am Montag ihre Kinder in Klassen schicken mussten, in denen bestenfalls Desinfektionsmittel und medizinische OP-Masken bereit lagen, wie in Prä-Coronazeiten aber schon die Bereitstellung von Seife das Kultus-System der viertgrößten Industrienation der Welt überfordert – dann war das leider alles andere als eine Überraschung, aber doch ein Skandal.

Schon die Bereitstellung von Seife ist eine Überforderung

Verstärkt wird der durch die erschreckende Tatenlosigkeit einer aus Perspektive von Familien kaum zu greifenden Schulbürokratie, die es nun offenbar nicht schafft, flächendeckend Klassenräume mit Luftfilteranlagen auszustatten.

Konkretes Beispiel beim eigenen Kind: Ein einziges Luftfiltergerät in einer mittelgroßen Grundschule, platziert in der Mensa. Der Königsweg ist und bleibt das Lüften. Schlimmer noch: Es mehren sich die Berichte, dass Schulen das Aufstellen von durch die Eltern gespendeten Luftfilteranlagen untersagen müssen und selbst auch keine anschaffen dürfen.

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Ganz sicher gibt es in irgendeinem Gesetz oder einer Geschäftsordnung dafür eine gut ableitbare Begründung und auch sonst viele Ursachen für die Misere, die natürlich dazu führen wird, dass Infektionen sich in Schulen besser ausbreiten können und daraus letztlich auch neue Todesopfer folgen. Es fehlt sicher das Geld in den Landeshaushalten für solche Anlagen. Sicherlich ist es auch sehr schwer, die richtigen zu finden, und vor allem gibt es sicher auch nicht genügend Vorgaben von übergeordneten Autoritäten.

Nach einem Jahr Pandemie vermissen Eltern noch immer eine klare Strategie für Schule und Kitas.
Nach einem Jahr Pandemie vermissen Eltern noch immer eine klare Strategie für Schule und Kitas.

© dpa/Sebastian Gollnow

Keinem dauerhaft zu spät zum Unterricht erscheinenden Schüler würde man diese Serie an Ausreden durchgehen lassen. Bei Schulen hingegen scheint man bereit, noch die folgenreichste Bummelei achselzuckend hinzunehmen – das gilt auch für die diesbezüglich mittlerweile völlig abgehärteten Eltern. Doch nach einem Jahr Pandemie darf das einfach nicht mehr verfangen.

Texas ist nicht fern

Bürger haben schlicht einen Anspruch darauf, dass offensichtliche, bereitstehende und grundsätzlich umsetzbare Lösungen zum Schutz von Kindern und Familien umgesetzt werden. Stattdessen schauen wir, zum Beispiel, erstaunt nach Texas, wo gerade wegen Schnee die Stromversorgung kollabierte – und bilden uns ein, unserem Staatswesen sei solches Versagen in der elementaren Grundversorgung fremd. Ist es leider nicht. Nochmal das Beispiel der Abwrackprämien: Diese wurden im Oktober 2008 vom mächtigen deutschen Automobilverband das erste Mal vorgeschlagen, exakt drei Monate später waren sie Gesetz. 2.500 Euro bekam, wer sein Auto verschrotten ließ, 1,5 Milliarden Euro kostete die Aktion, die man ganz unironisch auch noch „Umweltprämie“ taufte. Für Luftfilteranlagen will die Bundesregierung ein Drittel des Geldes in die Hand nehmen, bis 2024 soll es ausgegeben sein.

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Bis dahin ist die Coronakrise vielleicht schon Bestandteil des Geschichtsunterrichts. Natürlich ist es leicht, auf die Unfähigkeit der Politik zu schimpfen. Schmal ist der Grat, auf dem man schreitet und droht, in plumpes Politikbashing abzustürzen. Andersherum ist es aber auch nicht besser, und dieser Trend ist immer wieder ausgiebig zu beobachten: dass sich Politiker:innen darauf zurückziehen, die Entwicklung einer solchen Pandemie nicht vorhersehen zu können.

Planlosigkeit in der Pandemie

Das ist, geht es etwa um Infektionsgeschehen und Virusmutationen, zweifelsohne richtig, befreit aber eben nicht von der Erkenntnis, dass Einiges doch vorherzusehen ist.

Dass Kinder wieder in Klassenräume gehen werden und dort auch atmen, gehört dazu. Und ebenso noch etwas anderes: Dass ein Virus, das vorrangig alte Menschen umbringt, schwerpunktmäßig in Altenheimen zuschlagen wird.

Auch hier haben Bundes- und Landespolitiker:innen in einer Weise versagt, wie man es vor einem Jahr noch hätte verzeihen können, nicht mehr aber vor einem halben. Die Unvorhersehbarkeit einer Pandemie darf nicht als Entschuldigung herhalten für Planlosigkeit in der Pandemie.

Keine Impfung gegen Politikverdrossenheit

Das Versagen beim Schutz der Schulen und der Altenheime sind nur zwei, wenn auch wohl die folgenreichsten Beispiele einer weitgreifenden Politikverweigerung. Regierungen auf Bundes- wie auf Landesebene – und mit ihnen das gesamte föderale Gefüge – drohen bis zur Bundestagswahl das Vertrauen zu verspielen, wenn schon nicht gestalterisch tätig zu sein, so doch wenigstens im Maschinenraum des Staatswesens bestehen zu können.

Das zeigt sich auch bei der zu überarbeitenden Impfverordnung: Dass man (Grundschul-)Lehrer:innen und Erzieher:innen in der Impfverordnung höher priorisieren könnte, ist keine neue Idee, und sie wurde auch schon seit Wochen öffentlich kommuniziert. Warum also fällt der Beschluss exakt dann, wenn die Schulen und Kitas schon wieder offen sind, so dass auch hier wieder wertvolle Zeit verstreichen muss, in der man das Frontpersonal mit übrig gebliebenen Impfstoffen von AstraZeneca hätte impfen lassen können? Auch die sogenannte „Schnellteststrategie“, die sicher bald wirklich kommt, wäre hier noch zu nennen. 

Für den Vertrauensverlust weiter Teile der Bevölkerung sind das nur weitere Bausteine, es ist nicht zwingend der Kipppunkt. Doch ob noch viele dieser Steine gesetzt werden können, bis sich das Corona-Management der Bundesregierung zu einer tief empfundenen Repräsentationskrise großer Teile der Gesellschaft auswächst, ist mehr als fraglich. Sich hinter vermeintlicher Alternativlosigkeit zu verstecken, wo Unwillen und Mangel an Entschlossenheit gemeint ist, dürfte jedenfalls nur schwer über den Sommer tragen. Gegen Politikverdrossenheit gibt es keine Impfung.

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