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Andrea Ypsilanti

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"Politikwechsel in weiter Ferne": Ypsilanti: Die SPD wirkt unsortiert und ist es auch

Nach den Entscheidungen für eine große Koalition im Bund und für Schwarz-Grün in Hessen ist die frühere hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti ernüchtert. Sie wünscht: Sozialdemokraten und Grünen müsste es gelingen, trotz ihrer Loyalität in einer konservativen Regierung ein linkes Projekt innerhalb der Partei aufzulegen.

Von Matthias Meisner

Hessens frühere SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti bedauert, dass SPD, Grüne und Linke sich sowohl im Bund als auch in Hessen die Chance auf ein gemeinsames Regieren haben entgehen lassen. In einem Beitrag für die Wochenzeitung "Freitag" rügt Ypsilanti die Ausgrenzung der Linkspartei und die "teilweise sinnentleerte Abgrenzung aller drei Parteien voneinander". Ihrer eigenen Partei wirft die hessische Landtagsabgeordnete vor, seit Jahren mit doppelten Botschaften unterwegs zu sein, sie "wirkt unsortiert und ist es auch". Die "eigentliche Malaise" der vergangenen Wahlen sei, dass SPD, Grüne und Linke sich der Herausforderung eines sozial-ökologischen Umbaus nicht gemeinsam gestellt, "ihre parlamentarische Mehrheit im Bund nicht antizipiert und vorbereitet haben".

Ypsilanti geht davon aus, dass sie SPD-Basis im Mitgliederentscheid dem Koalitionsvertrag im Bund mehrheitlich zustimmt. Einerseits seien mit dem Mindestlohn, der doppelten Staatsbürgerschaft und der Rente nach 45 Beitragsjahren "durchaus sozialdemokratische Herzensthemen aufgenommen" worden. Die Politikerin weist aber auch darauf hin, dass die SPD-Führung mit einer vermeintlichen Alternativlosigkeit argumentiere. "Heraufbeschworen wird ein Szenario, in dem eine Ablehnung unvermeidlich eine Kettenreaktion auslösen würde: Neuwahlen, schlechtes SPD-Ergebnis, wieder Opposition, finanzieller und organisatorischer Niedergang der Partei."

"Grüne verhandeln mit der Stahlhelm-CDU"

Äußerst kritisch bewertet Ypsilanti die Entscheidung der hessischen Grünen, sich auf Koalitionsverhandlungen mit der von Volker Bouffier geführten CDU einzulassen, konkret jener CDU "der ausländerfeindlichen Anti-Doppelpass-Kampagne, der Schwarzgeldaffäre und vermeintlichen jüdischen Vermächtnisse". Sie schreibt: "Sprich, es handelt sich um die Stahlhelm-CDU".

Andrea Ypsilanti und Sahra Wagenknecht
Keine Berührungsängste. 2010 diskutierte Andrea Ypsilanti mit der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht

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Ypsilanti war vor fünf Jahren mit dem Versuch gescheitert, sich mit Unterstützung der Linken zur Ministerpräsidentin einer rot-grünen Minderheitsregierung in Hessen wählen zu lassen - vier Landtagsabgeordnete ihrer Partei machten damals nicht mit. Jetzt appelliert die Politikerin an die Sozialdemokraten und die Grünen, es müsse ihnen gelingen, "trotz ihrer Loyalität in einer konservativen Regierung ein linkes Projekt innerhalb der Partei aufzulegen". Dieses solle "wirkliche politische Alternativen zum Neoliberalismus" aufzeigen.

"Bittere Erkenntnis für die gesellschaftliche Linke"

Die SPD-Politikerin aus Frankfurt am Main zweifelt zugleich daran, dass ihre Partei und die Grünen "dafür die Kraft aufbringen". Sie schreibt: "Ob es die Chance auf einen Politikwechsel, der auch von den Parlamenten unterstützt wird, überhaupt noch gibt, wird auch davon abhängen, ob die Bewegungen zu einem Austausch und Dialog überhaupt bereit sind und ob die Parteien den Mut aufbringen, in diesen Diskurs einzusteigen und sich zu bewegen." Insgesamt gelte derzeit, dass "die Diskrepanz zwischen dem, was gesellschaftspolitisch dringend notwendig wäre, und dem, was uns realpolitisch in den nächsten vier Jahren erwartet", immer größer werde: "Mit dieser bitteren Erkenntnis muss sich die gesellschaftliche Linke konfrontieren." Es werde "denkbar schwer", die Versäumnisse aufzuholen.

Schon kurz nach dem 22. September hatte Ypsilanti in einem Tagesspiegel-Interview erklärt, es sei ein "Dilemma", dass SPD und Grüne nur in Abgrenzungsstrategien gegenüber der Linkspartei denken würden.

Im Bund haben sich CDU, CSU und SPD im November auf eine große Koalition verständigt, das Ergebnis der Mitgliederbefragung dazu soll Mitte Dezember feststehen. In Hessen verhandeln CDU und Grüne seit Ende November über ein Regierungsbündnis. Dort hatte die von Thorsten Schäfer-Gümbel geführte SPD auch mit der CDU die Möglichkeit einer großen Koalition sondiert, außerdem mit Grünen und Linken in vier Gesprächsrunden die Chancen für eine gemeinsame Landesregierung ausgelotet. In seinem Bericht über die Sondierungsgespräche begründete Schäfer-Gümbel die Absage an Rot-Grün-Rot mit dem Hinweis, die von der Linkspartei vorgetragene Position, gleichzeitig als Regierungs- und Protestpartei agieren zu wollen, sei problematisch für die Stabilität einer Regierung. "Erhebliches Konfliktpotenzial erscheint hier wahrscheinlich."

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