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Einflussnahme? Niedersachsen Ministerpräsident Weil weist alle Vorwürfe zurück.

© Philipp von Ditfurth/dpa

Politik und Autoindustrie: Schwierige Doppelrolle

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ist Regierungschef und gleichzeitig Aufsichtsrats bei VW. Was er in dieser Position darf - und was nicht.

Ministerpräsident Stephan Weil hat dem VW-Konzern vorab den Text einer Regierungserklärung vorgelegt. Kritiker halten dies für eine unangebrachte Demutsgeste gegenüber dem Unternehmen, die SPD spricht von einem normalen Vorgang.

Was macht die Politik bei VW?

VW wurde als Staatsunternehmen von den Nazis gegründet, nach dem Krieg von der britischen Militärregierung verwaltet und dann in die Hände des Landes Niedersachsen und des Bundes gegeben. 1960 wurde das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und 60 Prozent der Anteile gewissermaßen privatisiert; Niedersachsen und der Bund behielten jeweils 20 Prozent, der Bund verkaufte 1988 seine Beteiligung. Niedersachsen dagegen blieb Großaktionär und hat aufgrund des VW-Gesetzes eine Sperrminorität.

Zum Beispiel können VW-Fabriken nicht gegen den Willen der Arbeitnehmer und des Landes Niedersachsen geschlossen oder verlagert werden. Auch Kapitalerhöhungen und Satzungsänderungen sind nicht gegen das Land möglich. Aufgrund der herausragenden Bedeutung – in Niedersachsen arbeiten in den VW-Fabriken in Wolfsburg, Hannover, Emden, Salzgitter und Braunschweig mehr als 100000 Personen – entsendet der Aktionär Niedersachsen traditionell den Ministerpräsidenten und den Wirtschaftsminister in den Aufsichtsrat.

Die Trennung von Staat und Wirtschaft ist genau so notwendig, wie die zwischen Kirche und Staat.

schreibt NutzerIn ralf.schrader

Ist das VW-Gesetz noch zeitgemäß?

Um die Risiken der Privatisierung zu reduzieren, verständigten sich Bund und Land 1960 auf das VW-Gesetz. Ordnungspolitiker rufen bei jeder Gelegenheit nach der Abschaffung des Gesetzes, weil „der Staat sich raushalten soll“, wie jetzt CDU-Fraktionsvize Michael Fuchs meint. Als Porsche-Chef Wendelin Wiedeking zwischen 2005 und 2009 VW zu kaufen versuchte, gehörte zur Strategie auch eine Attacke auf das VW-Gesetz, um den Aktionär Niedersachsen zu schwächen. Alles in allem hat das Gesetz der Entwicklung des Konzerns in den vergangenen Jahrzehnten nicht geschadet, aber die Sicherheit der Arbeitsplätze in den Niedersachsen erhöht.

Welche Befugnisse hat ein Aufsichtsrat?

Generell gilt nach Aktiengesetz Paragraf 116 eine Verschwiegenheitspflicht für vertrauliche Berichte und vertrauliche Beratungen. Über alle Vorgänge im Unternehmen haben sie striktes Stillschweigen zu bewahren, betont Christiane Hölz, Expertin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Die Mitteilungspflicht über wichtige Ereignisse obliege dem Konzern und damit ausschließlich dem Vorstand. „Der Aufsichtsrat ist nicht für die Offenlegung zuständig.“

Die Treue- und Loyalitätspflicht gegenüber dem Konzern, der kontrolliert wird, verbietet es dem Aufsichtsrat, vertrauliche Informationen zu verbreiten oder sich über den aktuellen Geschäftsverlauf zu äußern. Das meint womöglich Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), der als niedersächsischer Ministerpräsident auch im VW-Aufsichtsrat saß und die Abstimmung der Regierungserklärung von Weil zum Dieselskandal mit dem Konzern für völlig normal hält. Auch Juristen weisen darauf hin, dass die Bestimmung einer gemeinsamen Sprachregelung allein dem Vorstand zukommt.

Was sollte ein Aufsichtsrat tun?

Als Teil seiner Überwachungsfunktion hat der Aufsichtsrat die Aufgabe, den Vorstand in kritischen Fällen auf die Veröffentlichungspflicht hinzuweisen. Eigenmächtig tätig werden können Aufsichtsratsmitglieder jedoch nicht. Generell kann der Aufsichtsrat – auch jedes einzelne Mitglied – laut Aktiengesetz vom Vorstand einen Bericht über Angelegenheiten der Gesellschaft verlangen.

Politiker in Aufsichtsräten sitzen dort, weil das Land, der Bund oder auch eine Kommune beteiligt ist und sie diesen Anteilseigner vertreten. Das kann zu Interessenkonflikten führen, weil sie eigentlich auch die öffentliche Hand informieren müssten, wenn etwas schiefläuft.

Das sei in der Tat eine „extreme Zwickmühle“, sagt ein Experte mit Blick auf Unternehmen wie VW, die Commerzbank, die Post, die Telekom oder den Flughafenbetreiber Fraport, bei denen der Staat Anteile hält. Andererseits sei ein Aufsichtsratsposten ein „personengebundenes“ Mandat. Bei Insiderinformation sind Aufseher zu Stillschweigen verpflichtet – gegenüber allen Seiten.

Wie verhält es sich mit der Vergütung?

Was die „staatlichen“ Aufsichtsräte mit der Aufsichtsratsvergütung anstellen, ist Sache des Bundes, der jeweiligen Länder oder Kommunen. Die heutige Bundeswirtschaftsministerin und frühere Staatssekretärin Brigitte Zypries (SPD) etwa hat 2016 auf ihre Bezüge als Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG verzichtet. „Man muss den Einzelfall betrachten“, sagen Vergütungsexperten.

Aber es wäre nur logisch, wenn die Arbeit eines Ministers oder Staatssekretärs in einem Aufsichtsrat mit dem Minister- oder Staatssekretärs-Gehalt abgegolten wäre. Schließlich ist das Aufsichtsratsmandat Teil ihrer öffentlichen Aufgabe. Für Gewerkschaftsvertreter in den Kontrollgremien dagegen gibt es eine klare Vorgabe: Sie sind verpflichtet, rund 90 Prozent ihrer Vergütung aus Aufsichtsratsmandaten an die gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung abzuführen, deren Arbeit ganz wesentlich mithilfe der Aufsichtsratsvergütungen finanziert wird.

Neuwahlen und die Sache mit VW. SPD-Mann Weil ist in Bedrängnis.
Neuwahlen und die Sache mit VW. SPD-Mann Weil ist in Bedrängnis.

© Holger Hollemann/dpa

Was macht Weil mit dem Geld?

Formal hätten sowohl dem Ministerpräsidenten als auch Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) für ihre Aufsichtsratstätigkeiten bei VW 2016 eine Vergütung von jeweils 250.250 Euro zugestanden; die Höhe hängt maßgeblich vom Unternehmensgewinn ab. Allerdings haben alle 20 Mitglieder des Gremiums gegenüber dem Vorstand erklärt, dass sie für 2016 auf ihre Ansprüche komplett verzichten.

Hintergrund sind die Folgen des Dieselbetrugs. Die beiden SPD-Politiker hätten ohnehin keinen Cent erhalten. Denn das niedersächsische Ministergesetz verpflichtet Regierungsmitglieder, Zahlungen für ihre Tätigkeit in einem Aufsichtsrat komplett an das Land abzuführen, sobald sie 6200 Euro pro Jahr übersteigen.

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