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Am Grenzübergang Frankfurt-Slubice steht ein Grenzschützer mit einem Thermometer auf der Stadtbrücke.

© Patrick Pleul/dpa

Update

Polen lockert Auflagen für Pendler: Wegfall von Quarantänepflicht sorgt für Erleichterung im Grenzgebiet

Warschau lockert Corona-Auflagen für Pendler an der Grenze. Tausenden polnischen Beschäftigten bleibt eine Quarantäne erspart – aber nicht allen.

Von Oliver Bilger

Schichtbetrieb ist Marcin Jaworski als Kardiologe im Krankenhaus gewohnt, seit zehn Jahren arbeitet der 42-Jährige aus Niederschlesien in Schwedt an der deutsch-polnischen Grenze. Die zurückliegenden Wochen aber waren auch für ihn ungewöhnlich.

Denn Polen hat im Zuge der Corona-Maßnahmen seine Grenzen geschlossen.

Seit Ende März gilt zudem für polnische Berufspendler eine strenge Quarantäne: für zwei Wochen muss sich jeder Rückkehrer aus dem Ausland in Isolation begeben. Viele Menschen standen vor der Entscheidung: in Deutschland weiterarbeiten, getrennt von der Familie. Oder nach Polen zurückkehren, aber den Jobverlust zu riskieren.

Bis zu 70.000 Berufspendler gibt es deutschlandweit. Allein in Brandenburg sind es fast 15.000. Jaworski ist einer davon. Im Asklepios Klinikum Uckermark in Schwedt ist jeder dritte Arzt aus Polen – insgesamt fast 40 Mitarbeiter.

Als Polen die Berufspendler plötzlich in Quarantäne schickte, entschied sich die Klinik für einen ungewöhnlichen Schichtbetrieb: Eine Hälfte der polnischen Belegschaft arbeitet, während die andere zu Hause bei ihren Familien ist. Nach 14 Tagen tauschten sie die Seiten. Wer Schwedt verließ, musste in Polen in Quarantäne.

Seit zehn Jahren arbeitet Kardiologe Marcin Jaworski in Schwedt an der deutsch-polnischen Grenze.
Seit zehn Jahren arbeitet Kardiologe Marcin Jaworski in Schwedt an der deutsch-polnischen Grenze.

© Oliver Bilger

„Anders ist es schwierig, den Betrieb der Klinik aufrechtzuerhalten“, erklärte Jaworski vor kurzem im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Und ohne die polnischen Ärzte, warnte er, wäre die Uckermark unterversorgt.

Das Klinikum ist nur ein Beispiel für die Folgen, die mit den strikten polnischen Bestimmungen einhergehen. Viele andere Unternehmen auf deutscher Seite haben Probleme, weil Mitarbeiter nicht mehr zur Arbeit kamen.

Quarantäne-Pflicht endet am 4. Mai

Jetzt heißt es jedoch: Warschau lockert die strengen Auflagen für Pendler. Ab dem 4. Mai müssten polnische Bürger, die in Deutschland oder anderen Ländern arbeiten oder studieren, bei einer Rückkehr nach Polen nicht mehr für zwei Wochen in Quarantäne, schrieb Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Donnerstag auf Facebook. Eine entsprechende Regelung habe man in Absprachen mit den Nachbarländern getroffen.

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Zuletzt hatte Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) um eine Lockerung gebeten. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) erklärte, er blicke mit Sorge auf die geschlossene Grenze. In mehreren Grenzstädten hatte es vergangene Woche Proteste gegen die bislang geltenden Regeln gegeben. Bereits seit Wochen fordern Initiativen in Briefen und Online-Petitionen eine Erleichterung für Pendler.

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„Region längst zusammengewachsen“

Allerdings gibt es wohl weiter Einschränkungen. Von der verkündeten Erleichterung sollen Pendler aus medizinischen Berufen zunächst ausgeschlossen sein. Das geht aus dem Entwurf der entsprechenden Regierungsverordnung hervor. Warschau fürchtet offenbar weiterhin, dass Corona-Fälle aus dem Ausland eingeschleppt werden.

Dabei hatte Jaworksi schon vor der jüngsten Erklärung Morawieckis nicht verstehen können, dass die Regierung bisher als einzige Berufsgruppe Fahrer von Warentransporten von der Quarantäne ausgenommen hatte. Denn gerade Mediziner wüssten doch, wie sie sich im Umgang mit dem Virus zu verhalten hätten. Er fühle sich deshalb von der polnischen Regierung im Stich gelassen, sagte der Kardiologe. „Warschau versteht nicht, wie das Leben hier seit vielen Jahren funktioniert.“

Allein im Team des leitenden Oberarztes wohnt die Hälfte jenseits der Grenze. Jaworski war zuletzt vor Ostern zu Hause im nahen Stettin, bei seiner Frau und den beiden Töchtern. Gemeinsam mit seinen Kollegen hatte sich der Arzt in einem Schreiben an das Gesundheitsministerium in Warschau gewandt, um für Erleichterungen einzutreten.

Denn wenn im Mai Schritt für Schritt Normalität in den deutschen Klinikalltag zurückkehren soll, wenn zuvor aufgeschobene Operationen wieder stattfinden, dann sieht er noch mehr Arbeit und weitere Probleme auf das Krankenhaus zukommen. „Dann reicht das halbe Team nicht aus.“

Auch der ärztliche Leiter des Klinikums, Rüdiger Heicappell, hatte versucht, mit einem offenen Brief Verbesserungen für die gesamte Grenzregion zu erreichen. „Deutschland und Polen sind in der Region Uckermark/Westpommern längst zusammengewachsen – durch die Beziehungen der Bürger, die sich Grenzen nicht mehr vorstellen können und wollen“, schrieb er gemeinsam mit dem Dekan der Pommerschen Medizinischen Universität in Stettin, Leszek Domanski, an den polnischen Präsidenten und die deutsche Kanzlerin. „In unserer Region leben wir, die Bürger, Europa und wir wollen es auch nicht mehr anders.“

„Bewiesen, wie gut unsere Region zusammenhält“

Marta Szuster aus dem Ort Mescherin hatte vergangenen Freitag eine Demonstration an der Grenze organisiert.
Marta Szuster aus dem Ort Mescherin hatte vergangenen Freitag eine Demonstration an der Grenze organisiert.

© Oliver Bilger

Zumindest bei vielen Grenzpendlern dürfte die Erleichterung nun aber groß sein. „Ich weiß es seit einigen Stunden, kann es aber noch nicht glauben“, kommentierte Marta Szuster am Donnerstagabend die Entscheidung Warschaus nationalkonservativer Regierung. Sie hatte in der vergangenen Woche eine Demonstration in der Uckermark organisiert. Am Grenzübergang Rosow, nördlich von Schwedt, waren am Freitag Dutzende Menschen dem Aufruf gefolgt.

„Das ist eine sehr gute Nachricht für viele Tausende Beschäftigte beiderseits der Oder und ihre Betriebe“, erklärte auch Brandenburgs Landeschef Woidke. Es sei eine gute Lösung gefunden worden in Zeiten mit schwierigen Rahmenbedingungen.

„Wir haben bewiesen, wie gut unsere Region zusammenhält“, sagte Szuster, Gemeindevertreterin aus Mescherin an der Oder, am Donnerstagabend dem Tagesspiegel. Die Zusammenarbeit vieler Menschen auf verschiedenen Ebenen in beiden Ländern habe zu diesem Erfolg geführt. Und sie ist überzeugt: „Die Grenzregion, wird dadurch noch ein Stück zusammenwachsen.“ Es müsse nun allerdings erreicht werden, sagte sie, dass die neue Regelung auch für medizinisches Personal gilt.
Die Recherche wurde mit Mitteln des WPK-Recherchefonds Covid-19 gefördert.

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