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Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

© Reuters/ Kai Pfaffenbach

Pläne zur Psychotherapie: "Spahns Vorstoß ist eine Zumutung für psychisch Kranke"

Der Gesundheitsminister will eine zusätzliche Voruntersuchung vor Bewilligung von Therapien. Die Vereinigung der Psychotherapeuten übt Kritik. Ein Interview.

Frau Lubisch, nach den Vorstellungen von Gesundheitsminister Jens Spahn sollen sich Patienten vor Bewilligung einer Therapie von Experten voruntersuchen lassen. Erst danach würden sie an die eigentlichen Therapeuten weitergeleitet werden. Was bedeutet das für psychisch kranke Menschen?

Der Vorstoß von Jens Spahn ist eine Zumutung für psychisch kranke Menschen. Es entstehen zusätzliche Hürden auf dem Weg zu einem Therapieplatz - und zusätzliche Anstrengungen. Für Patienten mit psychischen Leiden ist es oft ohnehin schwer genug, sich einem Therapeuten zu öffnen. Nun sollen sich diese Menschen einer weiteren Person anvertrauen, die dazu keine Therapie übernehmen wird. Die Zwischeninstanz sorgt für zusätzliche Unsicherheit auf dem Weg zu einem Therapieplatz. Sich als besonders krank darstellen zu müssen, um einen Therapieplatz zu bekommen, schafft eine besonders schwierige Situation. Der Vorschlag des Gesundheitsministers ist schlicht befremdlich. 

Erst im vergangen Jahr wurde das System zur Vergabe reformiert. Seit April 2017 muss jeder Psychotherapeut Akutsprechstunden anbieten. So sollen Patienten rasch ein erstes Gespräch führen können.

Es sollte erst die Effektivität dieses Gesetzes geprüft und abgewartet werden. Immerhin besteht erst seit April 2018 die Pflicht für Patienten, vor Beginn einer Therapie psychotherapeutische Sprechstunden aufzusuchen. Es gibt also bereits eine Vorsichtung. Das ist sinnvoll. Denn so kann kurzfristig eine Diagnose gestellt werden. Viele Therapeuten und Patienten bemühen sich um eine anschließende Behandlung. Auch erste Erfolge werden sichtbar: Es zeichnet sich ab, dass sich die Wartezeiten auf das erste Gespräch bereits verringert haben. Dazu suchen gerade chronisch erkrankte Menschen die Sprechstunden auf. Die Hemmschwelle zum Besuch eines Therapeuten ist gesunken. Diese Erfolge werden vom Gesundheitsminister scheinbar nicht berücksichtigt.

Bedarf es denn weiterer Justierungen, um die Versorgung mit Therapieplätzen sicherzustellen und die langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz zu verringern?

Natürlich fehlen in Deutschland seit Jahren Psychotherapieplätze. Seit Jahren ist vorgesehen, eine Reform der Bedarfsplanung für diese vorzunehmen. Darauf warten wir noch immer und diese fordern wir. Hier ist die Politik gefordert.

Würde sich Spahns Vorhaben auf die Wartezeiten für einen Therapieplatz auswirken?

Es ist bislang unklar, in welchem Umfang diese Instanz umgesetzt wird, etwa nur in Großstädten oder auch im ländlichen Raum. Fest steht: Sie würde zusätzliche Kapazitäten abziehen. Es würden Therapieplätze wegfallen. Das hat auch negative Auswirkungen auf die Wartezeiten. Die Umsetzung des Vorschlags von Jens Spahn wäre das Gegenteil von dem, was man erreichen möchte.

Mit Blick auf das europäische Ausland: Welche Anpassungen müsste man vornehmen, um den Zugang zu Therapieplätzen zu erleichtern?

Der Vergleich mit dem Ausland ist nicht leicht. Doch die Versorgung mit Therapieplätzen und einer qualitätsvollen Behandlung ist in Deutschland gut geregelt. Das Psychotherapeutengesetz von 1999 ist eine Errungenschaft. Es gewährleistet die Qualifikation der Therapeuten. Es regelt den Zugang zur Psychotherapie als Leistung der Krankenkassen. Der Vorschlag des Gesundheitsministers ist ein Rückschritt, zurück zu Verordnungen vergangener Zeiten.

Barbara Lubisch ist psychologische Psychotherapeutin und Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung.

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