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Pjotr Wersilow, ein Mitglied der russischen Polit-Punk-Band Pussy Riot.

© Pavel Golovkin/dpa

Update

Pjotr Wersilow in der Charité: Pussy-Riot-Aktivist: Vergiftung wie durch Tollkirschen

Charité-Vorstand hält „Dynamik der Symptome“ des Aktivisten für auffällig. Immer wieder werden Polit-Aktivisten in Berlin behandelt.

Die Leitung der Berliner Charité hält eine Vergiftung des russischen Polit-Aktivisten Pjotr Wersilow für wahrscheinlich – betont aber, keine Hinweise darauf zu haben, wie es dazu gekommen sei. Anders als durch eine Vergiftung sei die „Dynamik der Symptome“ innerhalb einiger Stunden kaum zu erklären. Auch die Ärzte, die Wersilow vor einigen Tagen in Moskau behandelten, seien von einer Vergiftung ausgegangen. Das sagte der Chef der Universitätsklinik, Karl Max Einhäupl, vor Pressevertretern aus Deutschland, Russland und den USA in Berlin. Man habe gut mit den Kollegen in Russland kooperiert. Wersilow befinde sich auf dem Weg der Besserung, die Vergiftung soll dank der schon in Moskau erfolgten schnellen Hilfe nicht lebensbedrohlich gewesen sein.

Pussy-Riot-Aktivist Wersilow hat russische und kanadische Staatsbürgerschaft

Der 30 Jahre alte Wersilow gehört zur oppositionellen Aktivistengruppe Pussy Riot. Wie berichtet, war er vor einer Woche in Moskau in die Notaufnahme eines städtischen Krankenhauses gebracht und später in einer Spezialklinik versorgt worden. Am Samstag war Wersilow mit einem Sonderflug aus Moskau nach Berlin gekommen, offenbar bezahlt von der Initiative „Cinema for Peace“. Wersilow war beim Finalspiel der Fußball-WM im Juli mit weiteren Pussy-Riot-Aktivisten in Uniformen auf das Feld gerannt, um so gegen Polizeigewalt zu protestieren. Die „Flitzer“ wurden zu Arreststrafen verurteilt. Pussy Riot wurde mit Auftritten gegen die Regierung Wladimir Putins bekannt.

Aktivist Wersilow hat neben der russischen auch die kanadische Staatsbürgerschaft, offenbar gibt es auch ein Visum für den Schengen-Raum. Ein Ausfliegen aus Moskau sei also schnell möglich gewesen, sagte Einhäupl, zudem dauere der Flug nur gut zwei Stunden – nach Kanada wären es mehr als zehn Stunden gewesen. In der Charité geht man davon aus, dass Wersilows kanadische Krankenkasse die Behandlung bezahlt.

An der Charité wurden auch Timoschenko und Talabani behandelt

Die Klinik ist immer wieder Ansprechpartner für Anamnese und Behandlung bekannter Politiker und oppositioneller Aktivisten. So war die frühere ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko 2014 wegen Bandscheibenvorfällen dort. Vorstandschef Einhäupl stand damals mit der Bundesregierung in Kontakt, weil durch den deutschen Einsatz der Streit zwischen Kiew und Moskau zu eskalieren drohte. Auch Iraks Ex-Präsident Dschalal Talabani war mehrfach in der Charité behandelt worden. 2017 starb der 83-Jährige dort. Talabani war in der Charité geschützt untergebracht. Ähnliches gilt derzeit für Wersilow – und auch die Bundesregierung wird über den Verlauf informiert.

Der für die Behandlung zuständige Charité-Arzt ist Kai-Uwe Eckardt. Ihm zufolge ist unklar, mit welcher Substanz Wersilow vergiftet wurde. Die Ärzte hätten lediglich Hinweise auf eine Wirkstoffklasse. Das Mittel habe das vegetative Nervensystems massiv gestört und bei Wersilow das sogenannte anticholinerges Syndrom ausgelöst – Beeinträchtigungen, die etwa auch durch Tollkirschen hervorgerufen werden können. Das vegetative Nervensystem steuert Atmung und Herz, ist es gestört, weiten sich die Pupillen, die Betroffenen wirken verwirrt, zuweilen gelähmt. Die Chancen so lange nach einer möglichen Vergiftung nachzuweisen, welche Substanz wie eingeführt worden ist, sei äußerst gering. Vermutungen, wonach Wersilow sich durch Drogenkonsum vergiftet habe, wiesen die Charité-Experten weitgehend zurück: Darauf habe man keine Hinweise, letztgültig ausschließen könne man es jedoch auch nicht.

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