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Künstliche Befruchtung. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

PID-Urteil: Die Schöpfung der Natur – und des Menschen Beitrag

Nach dem PID-Urteil des Bundesgerichtshofs warnen viele vor einem Klima der Selektion – umstritten ist auch die Pränataldiagnostik.

Berlin - Gott spielen, Selektion, Eugenik – Ethiker, Kirchen und Vertreter von Menschen mit Behinderungen fürchten das Schlimmste, nachdem der Bundesgerichtshof jüngst festgestellt hat, dass die Präimplantationsdiagnostik (PID) nicht verboten ist. Ein verwandtes Thema gerät nun mehr und mehr in die Debatte um den Umgang mit ungeborenem Leben: die Pränataldiagnostik, die Untersuchung des Embryos im Mutterleib. „Reden wir über die PID, müssen wir auch über PND sprechen“, sagt der Bundesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen Hubert Hüppe.

Die Pränataldiagnostik (PND) hat unter Umständen wesentlich dramatischere Folgen für Schwangere und ungeborene Kinder. Trotzdem ist sie seit 1976 sogar Kassenleistung. „Das liegt daran, dass bei der PID offensichtlich nicht perfektes Leben selektiert wird. Bei der PND wird die Selektionsabsicht durch Argumente ins Dunkel gedrängt und der kaum vorhandene therapeutische Nutzen in den Vordergrund gestellt“, sagt Hüppe.

„Bei der PID werden die befruchteten Eizellen wegen Behinderungen aussortiert“, sagt die Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Caren Marks: „Bei einer Spätabtreibung, die nach einem Befund durch Pränataldiagnostik erfolgt, darf jedoch die Behinderung des Fötus nicht der Grund für die Abtreibung sein.“

Das Gesetz erlaubt eine Spätabtreibung nur, wenn das Leben der Mutter durch das Austragen des Kindes gesundheitlich oder seelisch in Gefahr ist. Für eine Spätabtreibung wird, über den Willen der Mutter hinaus, eine medizinische Indikation durch einen Pränataldiagnostiker benötigt. „Eine solche Entscheidung wird nie leichtfertig getroffen“, so Marks, „weder von Arzt noch Mutter.“

Durch PID und PND können Gendefekte, Behinderungen und Krankheiten festgestellt werden. Wird eine Diagnose erst gestellt, wenn die Schwangerschaft bereits über die zwölfte Woche hinaus fortgeschritten ist, gibt es die Möglichkeit einer Spätabtreibung. Ab der 20. Schwangerschaftswoche könnte ein Fötus lebend geboren werden. Soll das nicht passieren, kann ein Fetozid eingeleitet werden: Der Arzt spritzt eine Kaliumchloridlösung in das Herz des Fötus. Anschließend wird die Geburt des toten Kindes eingeleitet.

Im Jahr 2009 erfasste das statistische Bundesamt 110 694 Abtreibungen in Deutschland. Davon waren 2446 Abtreibungen nach der zwölften Schwangerschaftswoche und 3200 mit medizinischer Indikation. Die Praxis zeigt, dass Embryos sehr wohl aufgrund ihrer Behinderungen abgetrieben werden. Werdende Eltern entscheiden sich zu einer feindiagnostischen Untersuchung, weil sie kein behindertes Kind bekommen möchten. „Das Problem dabei ist, dass die medizinische Indikation immer Auslegungssache des Arztes ist“, sagt der Chefarzt und Gynäkologe des Achenbachkrankenhauses in Königs Wusterhausen, Rüdiger Müller. Er wünscht sich klarere Richtlinien. „Wir Ärzte können nicht das Gewissen der Nation sein.“ Dass es die Möglichkeit einer Abtreibung gibt, hält Müller für wichtig: „Denken Sie an die Zeiten, als die Frauen zu Kurpfuschern rannten und starben wie die Fliegen.“

„Als evangelische Kirche werben wir dafür, sich für das Kind auch dann zu entscheiden, wenn es absehbar behindert sein wird“, sagt Hermann Barth, Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die evangelische Kirche ist gegen die PID und gegen einen späten Schwangerschaftsabbruch. „Die Schlüsselfrage an die PID lautet: Dürfen wir so mit menschlichen Embryonen umgehen? Und die Antwort ist immer Nein“, sagt Barth. „Die Pränataldiagnostik hat demgegenüber Vorteile“, so Barth. „Sie wird auch von Menschen angenommen, die das Leben des ungeborenen Kindes schützen wollen.“ Die PND erkennt behebbare Komplikationen, kann Eltern Ängste nehmen oder etwa durch Ultraschallfotos die Vorfreude auf das neue Leben steigern.

„Leider entscheiden sich immer noch viele Paare nach der Diagnose ‚behindert’ oder ‚krank’ für eine Abtreibung“, so Barth. Sei das Kind zu diesem Zeitpunkt bereits außerhalb des Mutterleibs lebensfähig, tue sich ein riesiges Dilemma auf. „Eine erlaubte Spätabtreibung steht in eklatantem Widerspruch zum Gebot ‚Du sollst nicht töten’.“ Barth sieht die Gesellschaft in zwei Lager gespalten. „Es gibt keine überzeugende Lösung. Das Einzige, was wir tun können, ist unser Gewissen zu schärfen.“ Man könne ein ungeborenes Kind nicht gegen die Mutter, sondern nur mit der Mutter schützen: „Eine Schwangere kann nicht zur Austragung ihres Kindes gezwungen werden“, sagt Barth. Müller sagt dazu: „Egal, wie viel Beratung sie hinzuziehen, einer muss am Ende die Entscheidung treffen. Das Wichtigste hierbei ist, dass es die richtige Entscheidung für die Familie ist, denn sie muss damit leben. Man darf nicht die eigenen Vorstellungen von Ethik anderen auferlegen.“

Christina Franzisket

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