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Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister, spricht zur Eröffnung des Deutschen Pflegetages.

© Foto: Soeren Stache/dpa

Pflegenotstand: Es lohnt, sich zu empören

Der Streik an der Berliner Charité vor drei Jahren macht jetzt Bundespolitik. Über den Wert der Empörung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Heine

Dass die Gesundheitsminister der Länder die Bundesregierung auffordern, verbindliche Personalschlüssel für die fast 2000 deutschen Krankenhäuser festlegen zu lassen, ist angesichts der Personalnot auf den Stationen zur Notwendigkeit geworden. Historikern wird dieser Schritt rückblickend als unausweichlich erscheinen: Aus kaum einem Job wechseln Fachkräfte schneller in andere Berufe als aus der Pflege. Weil es gerade in den Großstädten noch dazu immer mehr Patienten gibt, die im Schnitt immer älter werden, müssen weniger Schwestern und Pfleger stetig mehr Kranke betreuen.

Fortschritt für die Pflege: Die Kliniken und Krankenkassen sollen verpflichtet werden, verbindliche Personalschlüssel vorzulegen

Nun also soll Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die zuständigen Kliniken und Krankenkassen ultimativ dazu verpflichten, verbindliche Personaluntergrenzen einzuführen. Es war die Not, die diesen Schritt erzwungen hat. Letztlich aber verdankt ihn das Land einer Handvoll Frauen und Männer, an die sich nur noch wenige erinnern dürften.

Vor fünf Jahren hatten ein paar Pflegekräfte auf den Fluren der Charité genug vom Mangel. Nachts betreute damals eine Schwester oft 25, 30, manchmal 35 Patienten allein. Und so beschlossen die Beschäftigten, nicht für mehr Lohn zu kämpfen, der übrigens auch nicht üppig ist, sondern für mehr Kollegen – also letztlich für weniger Stress, weniger Überstunden, weniger Behandlungsfehler.

Die Charité-Leitung weigerte sich zunächst, da diese Forderung einer Einmischung in die Personalpolitik des Arbeitgebers gleichkam. Sogar die Gewerkschaftsführung war erst dagegen. Doch mit der richtigen Tarifforderung im falschen Pflegesystem begeisterten die Vorreiter auf den Charité-Stationen ihre Kollegen. Vor drei Jahren streikten sie dann – ein Ausstand, über den sich damals nicht nur der Berliner Senat, sondern auch die Bundesregierung informieren ließ.

Der Aufstand gegen den Personalnotstand in der Pflege begann in der Berliner Charité

Nach monatelangen Verhandlungen wurden an der Charité jene verbindlichen Personalschlüssel festgelegt, an denen sich nun der Bundesrat orientiert hat. Aus den Träumen einiger Pflegekräfte – in ihren viel zu kurzen Kaffeepausen – könnte nun eine Art Bundesgesetz werden. Dass sich Engagement lohnt, zeigt sich auch daran, dass selbst beim Streik nur jede zehnte Charité-Pflegekraft beteiligt war. Wenige Entschlossene, können zur richtigen Zeit viele Unentschlossene mitreißen.

Für den Charité-Vorstand bedeutete das, mehr Personal einzustellen. Weil diese neuen Mitarbeiter von niemandem, außer durch diesen einmaligen Tarifvertrag vorgeschrieben wurden, bekam die Klinik auch keinen Extra-Cent von den zuständigen Krankenkassen. Dass die Charité-Spitze trotzdem „in Vorkasse ging“, wie es der Vorstandschef ausdrückte, zahlt sich nun aus. Die Universitätsklinik kann sich jetzt schon auf die Lage einstellen. Alle anderen Krankenhäuser wird das erst noch beschäftigen, wenn die Personalschlüssel bundesweit vorgeschrieben werden.

Es brauchte die Tatendurstigen, die sich eben keinen neuen Job suchen, sondern den Kampf um ein neues Kliniksystem aufnehmen. Sie haben erst die eigenen Kollegen, dann ihre Chefs, schließlich die Politik zum Fortschritt gezwungen. Setzen sich in der Bundesregierung diejenigen durch, die den nicht gerade klammen Krankenkassen diktieren, ausreichend Personal für ihre Versicherten zu bezahlen, dürften einige Empörte das Leben hunderttausender Pflegekräfte verbessert haben.

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