zum Hauptinhalt
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Auftakt der Gesprächsreihe „Geteilte Geschichte(n)“.

© Wolfgang Kumm/dpa

„Perfide Verdrehung der Geschichte“: Steinmeier wirft AfD Instrumentalisierung der Wende vor

Der Bundespräsident kritisiert die Kampagne der AfD zu den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Damals habe die Freiheit gesiegt, nicht die Abschottung.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat der AfD vorgeworfen, die friedliche Revolution in der DDR vor 30 Jahren für Wahlkampfzwecke zu instrumentalisieren. "Wenn politische Gruppierungen versuchten, das Erbe von '89 für ihre Angstparolen zu stehlen, dann ist das eine perfide Verdrehung der Geschichte", sagte Steinmeier zum Auftakt einer Gesprächsreihe zum 30. Jahrestag der DDR-Wende am Dienstag laut Redetext.

"Die friedlichen Revolutionäre suchten den Weg nach vorn, in ein offenes Europa, heraus aus der Erstarrung, aus der Isolation durch schwer bewachte Grenzen", sagte Steinmeier weiter. "Demokratie und Freiheit haben damals gesiegt - nicht Nationalismus und Abschottung." Das sei das "historische Glück" der Deutschen gewesen. "Dafür dürfen wir dankbar sein, aber vor allem: Dafür kämpfen wir auch in Zukunft."

Die AfD versucht im derzeitigen Wahlkampf im Osten mit Slogans wie "Wir sind das Volk" oder "Vollende die Wende" an die Tradition der Bürgerbewegung anzuknüpfen. Das stieß bei früheren DDR-Bürgerrechtlern ebenso wie Politikern quer durch die Parteien auf Kritik. In Brandenburg und Sachsen finden am 1. September Landtagswahlen statt, in Thüringen am 28. Oktober.

Anlässlich des 58. Jahrestages des Mauerbaus in Berlin mahnte Steinmeier, gesellschaftliche Freiheiten nicht aufs Spiel zu setzen. Für Demokratie und Freiheit müsse auch in Zukunft gekämpft werden, sagte er.

Steinmeier: Gesellschaftliche Freiheiten nicht aufs Spiel setzen

Mit Blick auf den Mauerbau sagte Steinmeier, der 13. August 1961 sei der Tag gewesen, an dem das SED-Regime die Teilung Deutschlands "brutal vollzogen und im wahrsten Sinne des Wortes zementiert hat". Als die Mauer dann am 9. November fiel, sei dies "nicht einfach" geschehen. "Nein, die Bürgerinnen und Bürger der DDR brachten sie zum Einsturz und die SED-Diktatur gleich mit dazu, und das friedlich und ohne Gewalt", sagte der Bundespräsident.

Die Mauer erinnere daran, dass offene Gesellschaften keine Selbstverständlichkeit seien, sagte der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU). Nach dem Ende des Kalten Kriegs seien in jüngster Zeit in einigen Teilen der Welt wieder Mauern gebaut worden.

"Diese Tendenz zu Isolationismus und Abschottung beobachte ich mit Sorge." Der Tag des Mauerbaus sei "ein schwarzer Tag in der Geschichte Deutschlands" gewesen, erklärte der Ostbeauftragte weiter. "Die Mauer hat Familien auseinander gerissen und getrennt, was zusammen gehörte." Inzwischen sei Deutschland länger wiedervereint, als es durch die Mauer getrennt gewesen sei.

Müller: Freiheit kann verloren gehen

In Berlin wurde mit einer Andacht in der Kapelle der Versöhnung an der Gedenkstätte Berliner Mauer an die Opfer von Mauer und Teilung erinnert. An der Veranstaltung auf dem ehemaligen Todesstreifen an der Bernauer Straße nahmen mehr als 150 Menschen teil, darunter Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), zahlreiche Senatoren, der evangelische Berliner Bischof Markus Dröge sowie weitere Landes- und Bundespolitiker. Auch Vertreter von Opferverbänden, Maueropfern und Zeitzeugen waren gekommen.

Dabei wurden auch Kränze niedergelegt. Um die Freiheit müssten die Menschen immer wieder kämpfen, erklärte Müller. "Der 13. August mahnt uns, dass Freiheit verloren gehen kann, und zwar für unabsehbare Zeit."

Pfarrer Thomas Jeutner von der evangelischen Versöhnungsgemeinde rief in der Andacht dazu auf, die Teilung der Stadt durch die Mauer nicht zu vergessen: „Sie schnitt in das Herz der Stadt; sie trennte Straßen und Stadtteile, Familien und Freunde.“ Mit Blick auf die 1985 gesprengte Versöhnungskirche auf dem ehemaligen Todesstreifen an der Stelle der heutigen Kapelle der Versöhnung sagte Jeutner, sie stehe „zeichenhaft für den Versuch der DDR-Regierung, sich der religiösen und spirituellen Symbolkraft kirchlicher Orte und Gebäude zu entledigen“.

Der Publizist, Mitbegründer des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) und ehemalige Bewohner der Bernauer Straße, Jörg Hildebrandt, erinnerte in der Gedenkstunde an die ersten Tage nach dem Mauerbau und die mindestens 140 Toten an der Berliner Mauer. Der Ehemann der 2001 gestorbenen Brandenburger Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) war bis 1961 Uhrenwart der Turmuhr der später gesprengten Versöhnungskirche.

Sonderausstellung „No More Walls“

Die 1894 erbaute Kirche stand nach dem Mauerbau 1961 auf dem Todesstreifen zwischen Ost- und Westberlin. DDR-Grenztruppen nutzten den Kirchturm zunächst als Geschützstand. Hildebrandt hatte aus Protest gegen den Mauerbau die Zeiger der Turmuhr der Versöhnungskirche 1961 auf „Fünf vor Zwölf“ gestellt und sie damit außer Betrieb gesetzt. Ende August ist das 125. Gründungsjubiläum von Kirche und Gemeinde.

Veranstaltungen waren am Dienstag auch in anderen Stadtteilen geplant, unter anderem an der Peter-Fechter-Gedenkstele in der Zimmerstraße nahe dem Checkpoint Charlie. Peter Fechter war am 17. August 1962 von DDR-Grenzsoldaten bei einem Fluchtversuch über die Mauer angeschossen worden und verblutete.

Die Stiftung Berliner Mauer zeigt im Besucherzentrum der Gedenkstätte seit Dienstag die Sonderausstellung „No More Walls! Gedanken und Botschaften zum Mauerfall“. Zu sehen sind ausgewählte Zeichnungen und schriftliche Statements von Gedenkstätten-Besuchern.

Am 13. August 1961 war in Berlin mit dem Bau der Mauer begonnen worden. Mit dem Bau der Mauer wurde Berlin für 28 Jahre in zwei Teile geteilt. Die Teilung endete mit der Öffnung der Grenzen im Jahr 1989. (AFP, epd)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false