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Foto: Schwester Bernice Klostermann vor der Laube, die ihrem Orden als Kapelle dient.

© Oliver Bilger

Pennsylvania: Wo Nonnen gegen Pipelines kämpfen

Ein Orden will den Bau einer Gas-Pipeline durch Pennsylvania stoppen. Damit kommt er der Politik von Präsident Trump in die Quere.

Von Oliver Bilger

Selbst Gottes Beistand hat ihnen bisher nicht geholfen. Zu groß ist die Macht von Konzernen, Gerichten und Behörden. Seit mehr als drei Jahren kämpfen die Schwestern des Ordens „Anbeterinnen des Blutes Christi“ im US Bundesstaat Pennsylvania gegen den Bau einer Gas-Pipeline. Es ist ein Kampf wie David gegen Goliath. Doch gerade sieht es nicht gut aus für die Schwächeren, es hilft wohl nur noch ein Wunder. Aber der Reihe nach.

Der Orden besitzt gut 30 Hektar Land in Lancaster County, durch das künftig unterirdisch Gas zu einem Export-Terminal im benachbarten Maryland strömen soll, wo es als verflüssigtes Erdgas in alle Welt verschifft werden kann. Die 30 Nonnen sehen durch den Bau der Gasleitung ihre „tief verwurzelten religiösen Überzeugungen über die Heiligkeit der Erde“ verletzt. „Gottes Kreation gilt es zu respektieren“, sagt Schwester Bernice Klostermann. Klostermann, kurze Haare, Brille, gestreifte Bluse statt Ordenstracht, ist 78 Jahre alt und katholische Nonne, seit sie 20 war. Ihr Orden will die Umwelt für die nächsten Generationen bewahren und verhindern, dass Konzerne sie zerstören, um Geld zu machen.

Angst vor Folgen für die Umwelt

Eine kleine Kapelle ist zum Symbol des Protests geworden, wobei Kapelle ein zu großes Wort ist für die Laube, die seit vergangenem Jahr auf einem Maisfeld nahe der Gemeinde Columbia steht: wenige Holzbalken, ein kleiner Altar aus einem Baumstumpf, auf dem Dach ein blutendes Herz mit einem Kreuz, das Zeichen des Ordens. Doch der Verschlag erfüllte seinen Zweck: für das Morgen- und Abendgebet dreimal pro Woche plus Messe am Sonntagabend – und als Schutz des für sie heiligen Landes.

„Die Pipeline läuft durch Gewässer und Wälder, sie zerstört den Lebensraum von Tieren, ruiniert die Farmen von Menschen“, sagt Klostermann. Sie fürchtet Verschmutzungen der Natur und Verunreinigung des Trinkwassers bis hin zu Explosionen. Ein Leck in einer Röhre mit einem knappen Meter Durchmesser, die unter vollem Druck steht, könne verheerende Folgen haben“, sagt sie. „Das ist so gefährlich.“

Der Landkreis Lancaster County besticht durch dünn besiedelte, wunderschöne Landschaft. Am auffälligsten sind Farmen, Felder und Weiden, die sich meilenweit ziehen. Tourismus und Landwirtschaft sind die wichtigsten Wirtschaftszweige. Pennsylvania ist zugleich aber auch einer der Staaten, in denen das meiste Erdgas gefördert wird.

„Unser Präsident scheint nicht zu begreifen, was der Klimawandel für unseren Planeten bedeutet“, sagt Klostermann. „Er ist so fokussiert auf Macht und Konzerne, dass ich mich frage, ob er die einfachen Menschen überhaupt versteht. Jene, die die Folgen zu spüren bekommen.“

Vom Gasimporteur zum Verkäufer

Im vergangenen Jahrzehnt haben sich die USA vom Gasimporteur zum großen Verkäufer gewandelt. Trump möchte, dass sein Land zu den größten Exporteuren von Flüssiggas aufsteigt. Sein Ziel lautet: „Wir werden amerikanische Energie überall auf dem Globus exportieren.“

Im vergangenen Jahr legten erstmals mit amerikanischem Flüssiggas beladene Tanker in Polen und Litauen an. Erst vor einigen Wochen sprachen sich Trump und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker für höhere Gasexporte nach Europa aus. Vergangene Woche warben Richard Grenell, US-Botschafter in Deutschland, und Vize-Energieminister Dan Brouillette im „Handelsblatt“ für mehr Gaslieferungen aus Amerika nach Europa. „Die USA sind in der Lage zu liefern, und die Deutschen und Europäer würden davon profitieren.“

Anna Mikulska sieht das anders. „Ich glaube nicht, dass es in Europa einen großen Markt für Flüssiggas aus den USA gibt“, sagt die Energieexpertin der renommierten University of Pennsylvania in Philadelphia. Gas aus Amerika sei teurer als Flüssiggas anderer Anbieter, etwa Katar. Mit russischen Pipelines könnten die USA gar nicht konkurrieren. „Für Osteuropa sind die Lieferungen in erster Linie symbolische Gesten.“ Amerikanische Firmen würden vielmehr „nach Asien drängen, weil dort die Margen höher sind“.

Die Exporte könnten helfen, Handelsdefizite, etwa mit China, auszugleichen, sagt auch Charlie Riedl, Direktor des Center for Liquefied Natural Gas, einer Lobbyorganisation in Washington. Das Weiße Haus betrachte die Entwicklungen in Sachen Flüssiggas als positiv, weil neue Jobs in den USA entstünden. Hinzu kämen „signifikante Steuereinnahmen“, die jährlich Milliarden in den Haushalt spülen sollen.

Misstrauen gegen Industrie sitzt tief

Präsident Barack Obama habe sich zu stark auf erneuerbare Energien konzentriert, sagt Riedl, Trump habe alle Industriezweige im Blick. Der Wandel von den schwindenden Ressourcen hin zu nachhaltiger Energie müsse so „effizient und sicher wie möglich“ vonstattengehen, sagt Riedl. Alle Unternehmen hätten zum Ziel, „so sicher und verantwortungsvoll wie möglich“ gegenüber den Landbesitzern und der Umwelt zu arbeiten, ist Riedl überzeugt.

In Lancaster County ist das Misstrauen zwischen Gasindustrie und ihren Gegnern jedoch tiefer als jedes Bohrloch. Weil die Gegenseite stark ist, haben sich die Nonnen Unterstützung geholt von einer Gruppe Aktivisten mit dem Namen Lancaster against Pipelines.

Vor einem Jahr übten sie für den Ernstfall: den Baubeginn der Pipeline Atlantic Sunrise. Auf einer Lichtung schlug das Bündnis ein Trainingslager auf, probte Sitzblockaden, Verhandlungstaktiken bei Festnahmen und wie sich eine singende Menschenkette um die Kapelle bilden lässt.

"Wir wollen nicht in Industriepark leben"

Ihr Kampf richte sich nicht bloß gegen eine Pipeline, erklärte Tim Spiese, der Anführer des Bündnisses, „er richtet sich gegen alles, was falsch ist mit unserem Regierungssystem, die Verstrickung von Geld und Politik“. Die Pipeline sei nur „ein Symptom für dieses verdorbene System“. Er könne nicht verstehen, dass ausgerechnet Republikaner – die Konservativen – „nicht konservieren wollen, was wir hier haben“.

Spiese, ein sportlicher 60-Jähriger mit zersausten grauen Haaren, fürchtet, dass sich die Wirtschaft „unter Trump ermutigt fühlt“, weiter zu arbeiten wie bisher. Die Unternehmen könnten die Unterstützung der Politik schließlich spüren, sagt er und warnt vor Auswirkungen auf Natur und Menschen. „Wenn es keine Farmen mehr gibt, wieso sollten dann Touristen kommen?“, fragt Spiese. „Wir wollen nicht in einem Industriepark leben!“

Umweltaktivist Tim Spiese.
Umweltaktivist Tim Spiese.

© Oliver Bilger

Die Schwestern hatten sich auf einen langen Kampf eingestellt. „Die Kraft kommt von oben“, sagte Klostermann. In den folgenden Monaten rückten Bauarbeiter an, rissen die Erde auf. Bei Protestaktionen nahm die Polizei 50 Aktivisten fest. Widerstand gegen die fast 300 Kilometer lange Leitung gab es auch anderswo, aber nirgendwo war er so stark wie in Lancaster County. Trotzdem liegen hinter der Kapelle, wo zuvor der Mais in den Himmel spross, jetzt schwere Röhren betriebsbereit unter der Erde. Das Energieunternehmen Williams stützte sich dabei auf ein Gesetz, das ihm nach Zustimmung der Regulierungsbehörde das Recht gibt, Pipelines über fremdes Privatland zu verlegen.

Im Juli wies ein Bundesberufungsgericht eine Klage des Ordens ab. Bestätigt wurde die Entscheidung der unteren Instanz, die in dem Fall keine Verletzung der Religionsfreiheit sah. Ist der Kampf damit beendet? Nicht ganz. Die Nonnen wollen versuchen, das Verfahren vor den Obersten Gerichtshof zu bringen. Klostermann weiß, dass weniger als fünf Prozent der Anträge überhaupt zugelassen werden, dennoch ist sie „voller Hoffnung“. Gleichzeitig planen die Nonnen einen Solarpark auf ihrem Grundstück, entlang der Pipeline, als Zeichen, „dass wir saubere und nachhaltige Energiequellen wollen“.

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