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Identitätspolitik ist eine Voraussetzung für einen linken Patriotismus.

© Julian Stratenschulte/dpa

Der Stolz auf die Nation: Linker Patriotismus als Zuflucht gegen die Halunken

Heimatliebe ist nicht rechts, sondern identitätsstiftend. Ein Kommentar zum Patriotismus.

Ein Kommentar von Max Tholl

Wer sich als wahrer Amerikaner versteht, muss dieser Tage im Boykottieren erprobt sein. Gegen Nike wird zum Protest aufgerufen, weil der Sportartikelhersteller den respektlosen und antiamerikanischen Kniefallprotest von Football-Star Colin Kaepernick nicht nur gutheißt, sondern gar mit ihm wirbt. Auf Twitter wird unter #BoycottFirstMan gegen die Filmbiografie von Astronaut Neil Armstrong gewettert, weil der Film das Hissen der amerikanischen Flagge auf dem Mond auslässt und Hauptdarsteller Ryan Gosling die Mondlandung als Triumph der gesamten Menschheit bezeichnete. In beiden Fällen schaltete sich der Präsident ein, goss Öl ins Feuer und warnte vor linkem und elitärem Antiamerikanismus.

Die USA sind eine stolze Nation, Vaterlandsliebe gehört seit jeher dazu. Doch die patriotischen Befindlichkeiten sind zu Pulverfässern geworden. Von patriotischer Korrektheit als Gegenentwurf zur politischen Korrektheit ist die Rede. Es ist einfach, die Boykottaufrufe als hysterischen Nationalismus oder rechten Empörungsdrang kleinzureden, wie es viele Linke und Liberale tun. Dabei täten gerade sie gut daran, das Patriotismusmonopol der Rechten durch eine eigene, progressive Form der Heimatliebe zu brechen.

Linker Patriotismus klingt widersprüchlich, schließlich hat sich die Linke dem Kosmopolitismus und Multikulturalismus verschrieben und beurteilt Nationalstolz als reaktionär und ausgrenzend. Für sie gilt weiterhin das Sprichwort, nach dem der Patriotismus die letzte Zuflucht des Halunken ist.

Mit jedem weiteren Boykottaufruf wächst unter Linken der Verdacht, dass der Patriotismus einzig die diskriminierenden und rassistischen Vorurteile seiner Verfechter rechtfertigen soll oder die Vorstufe gefährlicher Nationalismen ist. Das trifft in vielen Fällen auch zu, ist aber als Grundhaltung wenig zielführend. Denn das Problem reicht weit tiefer als Flaggenschwenkerei.

Bereits vor 20 Jahren erkannte der amerikanische Philosoph Richard Rorty, dass es in der amerikanischen Arbeiter- und Mittelschicht ein Verlangen nach Zugehörigkeit und Anerkennung gibt, das weitgehend unerwidert blieb. In seinem vieldiskutierten Buch „Stolz auf unser Land“, kritisierte Rorty eine „Kulturlinke“, die sich nur noch für die Interessen der Minderheiten einsetzt, aber wenig dafür getan hat, ihre einstigen Wähler von sozialen Stigmata zu befreien, und mit Ablehnung auf ihren Patriotismus reagiert. Rortys mahnende Worte, ein „starker Mann“ werde die Frustration dieser Bürger für seine Ziele instrumentalisieren, sind längst Realität geworden.

Patriotismus muss nicht reaktionär sein

Die Linke muss begreifen, dass hinter Patriotismus eben nicht zwingend eine reaktionäre oder fremdenfeindliche Sehnsucht nach Identität steckt. Dass der Patriotismus heute zunehmend als Deckmantel für rechtes Gedankengut dient, liegt nicht zuletzt am Versagen der Linken, eine progressive und offene Form der Vaterlandsliebe zu propagieren. Das gilt auch für Deutschland, wo bei Demonstrationen wie #unteilbar die Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold unerwünscht sind.

Um diesen Fehler zu korrigieren und den Rechtspopulismus zu bremsen, fordern derzeit Autoren wie Francis Fukuyama und Mark Lilla eine Abkehr von der linken Identitätspolitik und eine Rückkehr zu großen nationalen Narrativen, die ein Land einen können, anstatt es zu teilen.

So richtig diese Forderungen nach Einigkeit sind, so falsch ist die Analyse, dass der Fokus auf Identitätspolitik und Minderheitenrechte die Linke geschwächt und für selbst erklärte Patrioten unwählbar gemacht habe. Identitätspolitik ist vielmehr eine Voraussetzung für einen linken Patriotismus, der Nationalstolz für das fördert, was ein Land sein kann, anstatt für das, was es einmal war.

Bei der Identitätspolitik geht es wie beim Patriotismus um Zugehörigkeit. Sie entsteht, wie bei Kaepernick, wenn das vorherrschende Nationalgefühl die Rechte und Würde des Einzelnen verletzt. Als der demokratische Senatskandidat Beto O'Rourke kürzlich von einem echauffierten Bürger zum Kniefallprotest in der NFL befragt wurde, antwortete er, dass es nichts Amerikanischeres gebe als friedvollen Protest gegen gesellschaftliche Missstände.

Ein linker Patriotismus ist ein Eingeständnis, dass die Nation fehlbar und ungerecht ist. Er hinterfragt, anstatt zu glorifizieren. Aber, und das ist der Knackpunkt, er akzeptiert das Verlangen, sich über Nationalität zu identifizieren oder bei der Nationalhymne ein Wir-Gefühl zu verspüren. Will die Linke zu alter Stärke zurückfinden, sollte sie anfangen, Flagge zu zeigen.

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