zum Hauptinhalt
Mit Musik und Glitzerkugel wurde Open Air in Berliner Parks wie der Hasenheide gefeiert, bis die Polizei kam - und die Infektionszahlen stiegen.

© Christoph Soeder/dpa

Party-Jugend als Corona-Sündenbock?: Warum es jetzt kein Alt gegen Jung geben darf

Die feierwütige Jugend steht im Fokus der Kritik. Ihr fehle gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Solche Vorhaltungen sind fehl am Platz. Eine Kolumne.

Wegen der Pandemie mussten junge Leute in den vergangenen Monaten auf vieles verzichten und nun müssen sie sich trotzdem den Vorwurf anhören, sie seien rücksichtslose Hedonisten, weil sie sich nach Monaten der Isolation die lauwarmen Spätsommernächte durchgefeiert haben – und damit das Infektionsgeschehen verschlimmerten.

Sie hörten, dass die steigenden Coronazahlen Resultat ihres gefährlichen Leichtsinns sind, für den jetzt alle einen hohen Preis zahlen müssen. Denn die Politik reagierte mit Sperrstunden und Alkoholverboten auf die Ausschweifungen. Und die Gesellschaft mehrheitlich mit Unverständnis und mit Vorwürfen.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Am Montag versuchte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, im Generationenkonflikt zu schlichten und warnte davor, junge Menschen pauschal wegen des rasanten Anstiegs der Corona-Infektionen zu verurteilen. "Die Grenze geht nicht zwischen alt und jung, sondern zwischen vernünftig und unvernünftig", hielt Giffey fest, man dürfe nicht Alt gegen Jung ausspielen.

Die Heranwachsenden wünschen sich heute mehr Teilhabe

Jugendliche sollen also nicht das Gefühl bekommen, Sündenbock zu sein. Sie haben zwar kein zwingendes Recht auf Party, aber ein Recht auf mehr Verständnis und Einbindung. Isolation und Zurückhaltung nerven alle, aber die Jungen sind die Altersgruppe, für die das Ausreizen der persönlichen Freiheiten zum Selbstverständnis gehört. Es ist regelrecht ein Teil der Persönlichkeitsbildung. Für sie kann es also geradezu entwicklungsbehindernd sein, wenn überall Riegel vorgeschoben werden.

Das wird bei der „Schuldfrage“ außer Acht gelassen. Mit Pauschalkritik, Hedonismusvorwürfen und dem uralten Lamento über den Sittenverfall der Jugend, wird man in dieser Frage keinen Sinneswandel herbeiführen. Eher noch könnte es das Gefühl der Jungen verstärken, nicht gehört und mit den eigenen Ängsten und Bedürfnissen allein gelassen zu werden.

Jugendstudien belegen seit Jahren, dass sich die Heranwachsenden von heute mehr politische und gesellschaftliche Teilhabe wünschen. Es zeigt sich da also eine Generation, die ein soziales Pflichtbewusstsein hat und diesem entsprechend auch handelt. Beispiel Klimabewegung, die letztlich auch nur deshalb nötig wurde, weil die Älteren sich den Jüngeren gegenüber unsolidarisch verhalten haben.

Und nun wird von den Jungen eben jene generationenübergreifende Verantwortung verlangt, die von den Erwachsenen selbst nicht vorgelebt wird?

Mehr Verständnis für Fehlverhalten zeigen

Erinnert sei etwa daran, dass in der Hochphase der Pandemie trotz Bedenken Gottesdienste und Baumärkte zur Priorität erklärt wurden, während Jugendangebote auf der Strecke blieben. Auch Demonstrationen fanden statt, auf denen Erwachsene ohne Masken dicht an dicht unterwegs waren.

Das eine rechtfertig natürlich das andere nicht, und Infektionsgeschehen lassen sich jetzt den Partys besser zuordnen als davor den Demonstrationen. Aber ebenso gilt, dass der Corona-Konflikt nicht zu einem Nullsummenspiel der Generationen werden darf – Motto: Ihr kümmert euch nicht um unsere Zukunft und uns nicht um eure Gesundheit.

An einem Strang ziehen heißt hier auch: mehr Verständnis für Fehlverhalten zeigen und nach Alternativen suchen, statt sich gegenseitig Vorhaltungen zu machen. Es reicht, dass sich die Jugend um ihre Zukunft sorgt. Ihre Gegenwart sollte möglichst sorgenfrei bleiben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false