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Da war noch kein Abstandhalten nötig: Delegierte halten beim Landesparteitag der AfD in Nordrhein-Westfalen ihre Stimmkarten hoch.

© dpa

Parteitag mit 600 Delegierten: Eine zerstrittene AfD sucht im „Wunderland“ ihren Kurs

Die AfD lädt zum Bundesparteitag in einen Freizeitpark in Kalkar – mit mehreren Hundert Teilnehmern und strengen Corona-Auflagen. Kann das gut gehen?

Im Freizeitpark „Wunderland“ im nordrhein-westfälischen Kalkar gibt man sich im Dezember Mühe, trotz Corona weihnachtliche Stimmung zu verbreiten. In einem Drive-in-Weihnachtsmarkt sollen die Besucher vorbeifahren an Würstchenbude, Nikolaus und Krippe. Von oben rieselt auf einem Teil der Strecke sogar Kunst-Schnee.

Doch bevor das Spektakel beginnt, wird hier noch eine ganz andere Besuchergruppe erwartet. Im Kongresszentrum auf dem Gelände hält an diesem Wochenende die AfD mit 600 Delegierten ihren Bundesparteitag ab. Und bei dieser Veranstaltung dürfte die Stimmung alles andere als weihnachtlich werden.

Die AfD trifft sich nicht nur mitten in der Pandemie, sondern auch in einer der schwierigsten Lagen ihrer noch jungen Geschichte. Die Umfragewerte sind zwar einigermaßen stabil bei um die zehn Prozent. Doch mit Blick auf das kommende Jahr sieht es für die AfD düster aus: Funktionäre klagen darüber, dass es bislang keinerlei Strategie für die Wählermobilisierung gibt. Der AfD droht die Gesamtbeobachtung durch den Verfassungsschutz. Und die Partei ist nach wie vor tief zerstritten.

Die Spannbreite: Meuthen bis Höcke

An diesem Wochenende nun wollen die radikalen Rechten wenigstens eine ihrer größten programmatischen Lücken füllen und endlich ein sozialpolitisches Programm beschließen.

Die Spannbreite, die die AfD in der Sozialpolitik abdeckt, ließ sich früh am Streit um das richtige Rentenkonzept ablesen: Auf der einen Seite des Spektrums stand der in Wirtschaftsfragen radikal liberale Parteichef Jörg Meuthen, der für eine Abschaffung des Umlagesystems und eine steuerfinanzierte Grundrente plädierte. Auf der anderen Seite das Thüringer Modell von Björn Höcke, der einen nationalsozialen Kurs fährt und das Umlagesystem noch ausbauen will, inklusive Staatsbürgeraufschlag in bestimmten Fällen. Zwischen diesen beiden Polen ordneten sich die zahlreichen anderen Konzepte ein, die in der Partei über die Jahre kursierten.

[Lesen Sie hier bei Tagesspiegel Plus: „Allianz mit dem radikalen Protest: Wie sich die AfD dem Querdenker-Milieu andient“.]

 Blick auf den Freizeitpark Wunderland und den darin befindlichen Kühlturm des ehemaligen Kernkraftwerks Kalkar.
Blick auf den Freizeitpark Wunderland und den darin befindlichen Kühlturm des ehemaligen Kernkraftwerks Kalkar.

© dpa

Schon auf dem Parteitag 2018 in Augsburg setzte sich Höcke mit der Forderung durch, einen Sozialparteitag abzuhalten, auf dem die Frage endgültig geklärt werden sollte. Immer wieder wurde dieser verschoben, nun ist es soweit. Der 21-seitige Leitantrag des Bundesvorstands, über den in Kalkar abgestimmt werden soll, ist ein Kompromiss, hat aber mit den Vorstellungen von Parteichef Meuthen wenig gemein. Darin ist unter anderem von einer Abschaffung der Politikerpensionen die Rede. Die AfD fordert, dass ein Großteil der künftigen Staatsbediensteten in die gesetzliche Rentenversicherung aufgenommen werden sollen, genauso wie Selbstständige. Und im Abschnitt „Private Vorsorge stärken“ heißt es: „Pro geborenem Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit und Lebensmittelpunkt in Deutschland soll der Staat eine zusätzliche Einzahlung in Höhe von 100 Euro pro Monat bis zum 18. Lebensjahr in die Spardepots der jeweiligen Kinder tätigen.“

Bekommt Meuthen den Unmut gegen ihn zu spüren?

Auch wenn Meuthen den Leitantrag mitträgt, ist das unbefriedigend für ihn. In der Bundesprogrammkommission hatte er sich heftige Auseinandersetzungen mit dem Leiter der Kommission Albrecht Glaser geliefert, es wurde laut. Am Ende konnte sich Meuthen nicht durchsetzen. Der Bundesfachausschuss für Rente und Soziales, in dem Meuthen Mitglied ist, bringt nun noch einmal einen Alternativvorschlag als Änderungsantrag ein, in dem auf eine „grundlegende Reform der Alterssicherungssysteme“ gedrungen wird. Große Aussichten auf Erfolg hat der Antrag aber nicht.

Es ist auch der erste Parteitag, seitdem Parteichef Jörg Meuthen die formelle Auflösung des „Flügels“ von Höcke durchgesetzt und den Brandenburgischen Landeschef Andreas Kalbitz aus der Partei geworfen hat. So tief zerstritten wie derzeit war die Partei zuletzt zu Zeiten von Parteigründer Bernd Lucke. Meuthen könnte den Unmut bei seiner Rede zu spüren bekommen. Der Baden-Württemberger Dubravko Mandic, der einem Parteiausschluss nur knapp entkam, hat einen Antrag eingereicht, mit dem das „spalterische Gebaren“ von Meuthen verurteilt werden soll.

Den Verfassungsschutz dürfte auf dem Parteitag besonders interessieren, wie derzeit die Mehrheitsverhältnisse in der AfD verteilt sind. Das wird sich etwa bei der Nachwahl der beiden freigewordenen Posten im Bundesvorstand zeigen. Es tritt unter anderem der sächsische Europaabgeordnete Maximilian Krah an, der seit seinem Eintritt in die AfD 2016 schnell Karriere gemacht hat. Dieser präsentiert sich zwar als Kandidat, der allen Lagern nahe steht und wirkt im Gespräch moderat. Er kann aber scharfe Reden halten und gilt nicht als erste Wahl von Parteichef Meuthen.

„Wo ist unsere alte Stärke hingekommen?“

In einem Bewerbungsvideo spricht Krah zudem etwas an, das viele seiner Parteikollegen derzeit umtreibt: Warum profitiert die AfD nicht von der Corona-Krise? In einem Teil der Bevölkerung wird die Corona-Politik der Bundesregierung kritisch bis ablehnend gesehen. Krah moniert, dass es der AfD nicht gelänge „in signifikanten Teilen diese Menschen zu überzeugen, sich uns anzuschließen und uns zu wählen“. Er fragt: „Wo ist unsere alte Stärke, wo ist unsere alte Fähigkeit, die Themen der politischen Debatte zu bestimmen, hingekommen?“

Die AfD macht derzeit den Eindruck einer verunsicherten Partei. Vorbei ist die Zeit, in der sie sich wegen des Migrationsthemas der dauernden Aufmerksamkeit sicher sein konnte. Beim Thema Corona herrscht Uneinigkeit und Planlosigkeit in der AfD. Die einen suchen den Schulterschluss mit den selbsternannten „Querdenkern“ auf der Straße und sprechen von einer „Corona-Dikatur“, die anderen mahnen Zurückhaltung an.

Der Konflikt könnte in Kalkar auch ganz handfeste Folgen haben: Die AfD hatte dagegen geklagt, dass die Delegierten auf dem Parteitag auch am Sitzplatz Maske tragen müssen – vergeblich. Falls die Parteiführung es jetzt nicht schafft, die Auflage durchzusetzen, könnte die Veranstaltung früh zu Ende sein.

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