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Auf ihn haben alle gewartet: Bill Clinton. Ex-Präsident, Ehemann.

© Drew Angerer/Getty Images/AFP

Parteitag der US-Demokraten: Bill macht Hillary Clinton zur Kandidatin

Die US-Demokraten haben Hillary Clinton einstimmig als Bewerberin fürs Präsidentenamt ausgerufen - auf Bernie Sanders' Antrag. Ihr bester Mann: Bill Clinton. Er versetzt die Convention in Begeisterung.

Er kann es noch immer: eine ganze Arena in Hochstimmung bringen. Bill Clinton verführt sein Publikum. So hat er viele Wahlen gewonnen, darunter zwei Mal die Präsidentschaft. Doch in dieser Nacht wirbt er nicht für sich. Er hält ein Plädoyer für seine Frau. Der Einstieg in seine Rede ist schlicht. Und zugleich literaturpreisverdächtig. "Im Frühjahr 1971 traf ich ein Mädchen. Ein Mädchen mit dichtem blondem Haar, einem breitem Lachen und großem Selbstbewusstsein."

Eigentlich erzählt Bill Clinton einfach nur aus 45 Jahren seines Lebens. Ihres Lebens. Des gemeinsamen Lebens. Aber wie er das tut, weckt Empathie. Und setzt einen eindrücklichen Kontrast zu den Allgemeinplätzen, mit denen Donald Trumps Kinder eine Woche zuvor den Kandidaten der Republikaner als Familienmenschen zu beschreiben versuchten und ungewollt Zweifel weckten, ob es den überhaupt gibt.

Hillary ist in Bills Schilderung nicht mehr eine von Ehrgeiz getriebene Politikmaschine. Sie ist ein Mensch mit Gefühlen, mit Idealen, mit Herausforderungen und Niederlagen. Und mit einem verlässlichen Kompass.

Doch bevor sich die Delegierten in der Wells-Fargo-Arena am Südrand von Philadelphia an Bill berauschen, haben sie sich weiter bemüht, die politischen Scherben vom Wochenende zusammen zu kehren. Und wie schon in der ersten Nacht ist Bernie Sanders, der von Hillary besiegte Rivale, der ihr grollen könnte, ein starker Verbündeter bei der "Operation Einheit".

Oder doch Bernie Sanders nominieren?

1846 Delegierte hat der Favorit des linken Parteiflügels in den Vorwahlen gewonnen, Hillary Clinton 2205. Und seine Anhänger erwarten, dass sichtbar wird, wie stark ihre Bewegung ist. So beginnt der offizielle Teil der Tagesordnung mit der Nominierung von zwei Bewerbern um die offizielle Präsidentschaftskandidatur. Auch wenn Bernie Sanders bereits am Montagabend dazu aufgerufen hat, Hillary zu wählen; auch wenn er und seine Vertrauten betonen, dass sie den Kampf nicht wegen der Zweifel an der Unparteilichkeit der Parteiführung verloren haben - jetzt kommen erstmal Anträge, Sanders zu nominieren, und die Begründungsreden dazu von Delegierten aus Hawaii und Massachusetts.

Shyla Nelson, eine Delegierte aus Sanders Heimatstaat Vermont, trägt ein weiteres Mal vor laufenden Kameras seine zentralen Forderungen vor: Erhöhung des Mindestlohns; ein schuldenfreies Studium; die Zerschlagung der Großbanken. Sanders genießt es sichtlich. Seine Frau tätschelt mehrfach sein Knie. Und ermuntert ihn, aufzustehen und die Ovationen der Arena auch sichtbar entgegenzunehmen. 

Für die Nominierung Hillary Clintons sprechen Senatorin Barbara Mikulski aus Maryland und der schwarze Abgeordnete John Lewis aus Georgia, ein Sohn kleiner Farmer und Teilnehmer bei Martin Luther Kings Marsch auf Washington 1963.

Dann trägt Staat für Staat die Delegiertenverteilung vor, in alphabetischer Reihenfolge. Die 15 Stimmen aus South Dakota heben Clinton über die geforderte Mehrheit von 2382 Delegierten. Es ist ein historischer Einschnitt. Um 18 Uhr 39 Ostküstenzeit nominiert eine der beiden großen Parteien der USA erstmals eine Frau als Präsidentschaftskandidatin. Das Endergebnis: 2842 Stimmen für Clinton, 1865 für Sanders, 56 Neins.

Doch nun greift Bernie Sanders ein. Diese Premiere soll nicht mit nur einer knappen Mehrheit protokolliert werden. Er stellt den Antrag, Hillary Clinton per Akklamation einmütig zur Kandidatin zu machen - und die Arena stimmt unter großem Jubel zu.

"Buhen ist einfach. Was sagt ihr den Kindern?"

Sind die Enttäuschung und der vereinzelte Widerstand seiner Anhänger damit überwunden? Ist die inszenierte Einheit ehrlich oder nur oberflächlich? Auch am Dienstag gab es Veranstaltungen am Rande des offiziellen Parteitagsgeschehens, bei denen Sanders von einzelnen seiner Fans ausgebuht wurde für sein Einlenken. Er antwortete kategorisch: "Buhen ist einfach. Schwieriger wird es, Kindern zu erklären, warum sie unter einem Präsidenten Trump leben müssen."

Gewalt zwischen der Polizei und schwarzen Jugendlichen war das offizielle Thema des frühen Abends, genau wie beim Parteitag der Republikaner eine Woche zuvor, aber mit anderem Schwerpunkt: die Mütter der Opfer schwarzer Polizeiopfer traten auf und verlangten einen Kulturwechsel im Umgang miteinander. Der weiße Polizeichef von Pittsburgh warb um Verständnis, dass beide Seiten Tag für Tag verständliche Angst um ihr Leben haben angesichts der Tötung schwarzer Jugendlicher unter verdächtigen Umständen sowie der Morde an Polizisten. (Bei den Republikanern hatte der afroamerikanische Polizeichef von Milwaukee County gesprochen.)

Das war richtig und wichtig - ebenso der Auftritt von Madeleine Albright, die Hillary Clinton als Vorkämpferin von Frauenrechten und Klimaschutz nicht nur in den USA, sondern in der ganzen Welt feierte.

Zwei Heiratsanträge lehnte sie ab

Aber der Parteitag, das war spürbar, wartete auf Bill Clinton. Der Beifall will kein Ende nehmen, als er aus den Kulissen tritt: dunkler Anzug, hellblaue Krawatte, silbernes Haar. Er geht an die rechte Rampe der Bühne und winkt der New Yorker Delegation zu, dann an die linke Seite, wo die Delegierten aus Arkansas und Florida sitzen. "Im Frühjahr 1971 traf ich ein Mädchen. Ein Mädchen mit dichtem blondem Haar, einem breiten Lachen und großem Selbstbewusstsein."

Schon im Jurastudium spezialisierte sie sich darauf, benachteiligten Kindern zu helfen und ihnen gleichberechtigten Zugang zum Bildungssystem zu verschaffen. Sie machte sich nicht über Behinderte lustig - ein Seitenhieb auf Trump, der Behinderte vor laufenden Kameras nachgeäfft hatte, freilich ohne dessen Namen zu nennen.

Die ersten beiden Heiratsanträge lehnte sie ab, erzählt Bill. Erst den dritten nahm sie an - nachdem er ein kleines Häuschen gekauft hatte, das ihr gut gefiel - obwohl es nicht einmal eine Klimaanlage hatte, im heißen Arkansas. 

In Bills Schilderung an diesem Abend ist Hillary die Smartere von beiden, auch die bessere Politikerin. Als er 1978 Gouverneur von Arkansas wird, der jüngste in der US-Geschichte, aber die Wiederwahl 1980 verliert, gibt sie ihm den Rat, eine Auszeit zu nehmen, "den Leuten zuzuhören und zu verstehen, warum ich verloren habe". 1982 wird er wieder gewählt - weil sie Recht hatte.

Die Smartere von beiden

Viel wichtiger aber sei die Geburt von Tochter Chelsea im Februar 1980 gewesen: "der glücklichste Moment in meinem Leben". Und Hillarys aufopferungsvolle Rolle als Mutter. Sie kümmert sich um Menschen. Sie erreicht praktische Verbesserungen. Weil sie kämpft. Aber auch weil sie aus Niederlagen lernt. Und klug vorgeht. Nach dem gescheiterten ersten Anlauf zur allgemeinen Krankenversicherung - die Clintons sind inzwischen im Weißen Haus - erreicht sie zumindest eine bessere Absicherung für Kinder. Und gemeinsam mit dem republikanischen Fraktionschef Tom Delay gelingt es ihr, das Adoptionsrecht zu modernisieren - obwohl der Bill Clinton überhaupt nicht mochte. Doch Hillary macht sich zunutze, dass Tom DeLay selbst ein Adoptivkind war. 

Wer ist hier eigentlich gemeint? "Change-Maker"-Schilder beim Parteitag in Philadelphia.
Wer ist hier eigentlich gemeint? "Change-Maker"-Schilder beim Parteitag in Philadelphia.

© Shawn Thew/dpa

Progressiv in sozialen und wirtschaftlichen Fragen, hart und konsequent in der Außen- und Sicherheitspolitik. So beschreibt Bill seine Frau. Als Senatorin sitzt sie im Streitkräfteausschuss. Sie weiß, wie man Jobs schafft in Krisenregionen. Sie machte Klimapolitik zu einem Schwerpunkt der US-Außenpolitik. 

Die Delegierten halten nun neue blaue Poster hoch: "Change Maker".

"Und welche ist die wahre Hillary?"

"Und wie passt das zu dem, was ihr beim Republikanischen Pateitag gehört habt?" Die Frage geht auch an die Millionen Wähler, die im Fernsehen die Rede verfolgen. "Gar nicht", antwortet Bill. "Denn das eine ist die Realität, und das andere erfunden." Rhetorisch geschickt überlässt er es den Amerikanern selbst zu urteilen. Oder tut zumindest so, ehe er Hinweise gibt, wie er das sieht. "Ihr werdet schon heraus finden, was die Wahrheit ist. Sprecht einfach mit Menschen, die Hillary kennen und sie erlebt haben."

Die echte Hillary sei die, die sich kümmert und abarbeitet. Aber diese reale Hillary sei eben auch eine reale Gefahr für mächtige Interessengruppen.

Immer wieder sind die Delegierten während der Rede aufgesprungen, um zu applaudieren. In der letzten Viertelstunde setzen sich viele erst gar nicht wieder hin, sondern bleiben gleich stehen. Als Bill Clinton geendet hat, erntet er langen Beifall.

Sprünge in der Glasdecke

Dann füllt plötzlich das Geräusch splitternden Glases die Arena. Hillary Clinton erscheint auf den Monitoren im roten Hosenanzug. "Danke, dass ihr heute die Glasdecke zum Springen gebracht habt", knüpft sie an das in Amerika verbreitete Sprachbild an: Dass die Millionen Stimmen, die sie in den Vorwahlen 2008 und 2016 bekam, "Millionen Sprünge in der Glasdecke" seien, die Frauen immer noch von der vollen Chancengleichheit abhalte. Hillary Clinton sagt nur drei Sätze: "Wenn da trotz der späten Stunde noch ein paar kleine Mädchen wach sind, lasst mich sagen: Es mag sein, dass ich die erste weibliche Präsidentin werde. Aber eine von euch wird die nächste sein."

Auch das ist stark. Aber vielleicht hätte sie besser darauf verzichtet. Wer nach Bill Clinton redet, kann ihn kaum toppen.

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