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Herrschaft der Delegierten. Der SPD-Parteitag in Berlin.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Parteitag der Sozialdemokraten: SPD nimmt Abschied von Hartz IV

Der Parteitag beschließt Konzept für Bürgergeld. Heiko Maas und Michael Müller werden bei den Vorstandswahlen düpiert. Eine Zusammenfassung vom zweiten Tag.

Nach jahrelangen Debatten hat die SPD in einem bejubelten Beschluss beim Bundesparteitag in Berlin eine Abkehr vom bisherigen Hartz-IV-System beschlossen. Die SPD will mit dem noch von der zurückgetretenen Vorsitzenden Andrea Nahles auf den Weg gebrachten Konzept erreichen, dass Arbeitslose länger Arbeitslosengeld I beziehen können.

Danach soll es kein Hartz IV mehr, sondern ein Bürgergeld geben – allerdings sollen die Regelsätze nicht erhöht werden. Die Folgen der Arbeitsmarktreformen von Kanzler Gerhard Schröder, vor allem der Zwang, notfalls in eine kleinere Wohnung umziehen zu müssen, waren für viele in der SPD ein Trauma und brachten einen Vertrauensverlust bei Wählern – zugleich bildeten sie einen Grundstein für den wirtschaftlichen Aufschwung.

In einem ersten Schritt soll ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November zu den Sanktionen umgesetzt werden, nach dem die Jobcenter die monatlichen Leistungen nicht stärker als um 30 Prozent kürzen dürfen. Das Existenzminimum soll laut SPD-Beschluss gewahrt bleiben und strengere Sanktionen für unter 25-Jährige und Kürzungen von Wohnkosten sollen abgeschafft werden – aber es wird auch betont: „Pflichtverletzungen können nicht folgenlos bleiben.“

Insgesamt soll das höhere Arbeitslosengeld bis zu 36 Monate gezahlt werden. Heute sind es bei älteren Bürgern bis zu 24 Monate. Zudem will die SPD künftig ein Recht auf mobiles Arbeiten und Homeoffice gesetzlich verankern. Die neue SPD-Chefin Saskia Esken sprach von einem „bahnbrechenden Beschluss“ mit Blick auf den Hartz-IV-Stachel, den die SPD mit sich herumzutragen habe.

SPD-Vizechef Kevin Kühnert lobte den Kompromiss zu den Sanktionen, die neue Führung habe „den ersten Stresstest bestanden“. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil erinnerte daran, dass es Nahles war, die diese so schwierige Debatte mit dem Bürgergeld-Konzept befriedet habe. „Das ist ihr Vermächtnis.“

Kindergrundsicherung

Die SPD beschloss zudem einstimmig eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung, um das Kindergeld neu zu gestalten und mit anderen Sozialleistungen zusammenzulegen. Für Kinder und Jugendliche soll es bis zum 25. Lebensjahr einen Basisbetrag von 250 Euro im Monat geben. Der Gesamtbetrag für Familien mit geringem Einkommen soll altersabhängig bis zu 478 Euro betragen.

Bei den Vorstandswahlen erlitten der bisherige Parteivize Ralf Stegner und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller eine Niederlage. Beide fielen im ersten Wahlgang durch und traten dann nicht mehr an. Außenminister Heiko Maas scheiterte im ersten Wahlgang, wurde aber im zweiten Wahlgang gewählt.

Nur 168 von knapp 600 Delegierten stimmten für Müller. Familienministerin Franziska Giffey, der Ambitionen auf die Nachfolge Müllers im Roten Rathaus nachgesagt werden, wurde bereits im ersten Durchgang mit 327 Stimmen in den Vorstand gewählt. Müller selbst bezeichnete sein Ergebnis gegenüber dem Tagesspiegel als „nicht dramatisch“.

Er habe ursprünglich gar nicht kandidieren wollen, sei dann aber angetreten, um ein Zeichen dafür zu setzen, „dass die Ost-Verbände in der SPD stark vertreten sind“. Dieses Zeichen sei unter anderem mit der Wahl von Brandenburgs Regierungschef Woidke erfolgt, weshalb er habe verzichten können.

Nach dem Votum für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als neue Vorsitzende sackte die SPD in einer RTL/n-tv- Umfrage auf elf Prozent ab und liegt nun hinter der AfD auf Platz vier.

Der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh forderte von der neuen SPD-Spitze, dass „sie Konzepte entwickelt, wie man das Stadt-Land-Gefälle ausgleicht, und wie man die soziale Gerechtigkeit weiterbringt“. Saleh warnte seine Partei davor, die große Koalition permanent infrage zu stellen. „Wenn du einen Vertrag eingehst, hast du die Pflicht, vertragstreu zu sein und diesen Vertrag zu Ende zu führen.“

Der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz sagte in Magdeburg: „Die SPD ist in der letzten suizidalen Phase ihrer Existenz als Volkspartei.“

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