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Friedrich Merz (CDU) auf dem Weg zur Pressekonferenz, bei der er seine Kandidatur für den CDU-Parteivorsitz bekanntgab.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Parteienlandschaft: Rechts? Links? Heute zählt das Lebensgefühl

In der individualisierten Konsumgesellschaft werden politische Trennlinien diffuser. Die alten Zuordnungen rechts und links sind aufgehoben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Warum diese Sehnsucht nach Friedrich Merz? Vielleicht deshalb: Friedrich Merz ist das wandelnde Versprechen auf eine vergangene Ordentlichkeit im deutschen Parteiensystem, das Rechts-links-Schema wieder aufzurichten. Wäre das nicht furchtbar praktisch? Die CDU rückt wirtschaftspolitisch und kulturell weiter nach „rechts“, die SPD hat wieder was zum Abgrenzen und rückt nach „links“, beide erstarken in der Bipolarität. Das würde der Sechs-Parteien-Misere ein Ende setzen, in der das Glück der Republik von Christian Lindner abhängt. Großes Aufatmen. Nur: Funktionieren wird es nicht.

Auch die Konservativen sind vielerorts ratlos

Deutschland ist, immerhin, nicht allein mit seiner Sehnsucht. In den USA etwa, wo am Dienstag ein neuer Kongress gewählt wird, meinen viele Demokraten, es gelte, nach der verlorenen Präsidentschaftswahl mehr links zu wagen: mehr Staat in der Gesundheitsversorgung, noch stärker für Minderheiten eintreten. Mehr unideologische ,bread and butter’- Politik, fordern andere. Ratlos sind vielerorts in Europa aber auch die Konservativen, die sich unter dem Druck von Rechtspopulisten neu positionieren. Für Mark Rutte in den Niederlanden und Sebastian Kurz in Österreich hieß das: mehr Härte in der Migrationsfrage. Aber ist das rechts?

Bis zum Erfolg der ökologischen Bewegung in den 1980er Jahren ließen sich links und rechts halbwegs über ökonomische Ideen definieren. Zwei starke Pole, der Sozialismus der Sowjetunion und der amerikanische Kapitalismus, markierten die Extreme. Zu Gerhard Schröders (und Friedrich Merz') großen Zeiten ging es immerhin noch um das Ausmaß staatlich organisierter Umverteilung. Seit Ende der Finanzkrise in Deutschland sind volkswirtschaftliche Prinzipiendebatten nicht mehr prägend. Stattdessen geht es seit 2015 vor allem um die Kultur, die nationale. Migration, behauptet Jens Spahn, sei noch immer das Superthema. Auch viele Politikwissenschaftler und Populismusforscher sehen hier die neue Achse, zwischen Kosmopoliten und Kommunitariern, Nationalisten und Globalisten.

Zugehörigkeitsgefühle werden diffuser

Friedrich Merz scheint ein Versprechen auf eine Wiederbelebung der ökonomischen Achse, gepaart mit einer klaren Positionierung entlang des Offenheitsschemas. Immerhin hat er den „Leitkultur“-Gedanken mitgeprägt. Die doppelte Achse wäre dann das neue Rechts.

Doch wahrscheinlich ist alles viel komplizierter. Die politischen Trennlinien in der individualisierten Konsumgesellschaft über nur zwei Achsen fassen zu wollen, greift zu kurz. Zugehörigkeitsgefühle werden diffuser. Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Amy Chua hat dafür den Begriff des politischen „tribalism“ verwendet: Eine Gesellschaft politischer „Stämme“, die sich weniger mit konkreten Inhalten oder ausformulierten Ideologien identifizieren als über Sets von Codes, Tokens und Verhaltensweisen. Es sind in gewisser Weise die alten „Milieus“, aber sie sind militanter geworden, emotionaler, feindseliger und kleinteiliger: stammesähnlicher eben.

Grüne und AfD nutzen Codes am besten

Donald Trump etwa beherrscht mit seiner rohen, trashigen Sprache die Codes bestimmter Wählermilieus perfekt. Dass er, was Geld und Einfluss angeht, der Gruppe selbst nicht angehört und sogar zum Teil Politik gegen sie macht, ist fast egal. In Deutschland schaffen es Grüne und AfD am besten, dieses diffuse Zugehörigkeitsgefühl zu erzeugen. Du frühstückst fair-gehandelte Schokocrème? Dann bist du dabei, bei den Guten, egal was du vom Emissionshandel hältst. Du bist genervt, dass dir die „Gutmenschen“ die Wurst und den Hashtag „rapefugees“ verbieten wollen? Dann ist es egal, was die AfD zum Breitbandausbau sagt.

Am wenigsten erfolgreich hingegen sind in diesem vieldimensionalen politischen Raum Parteien, die an kein Lebensgefühl anknüpfen können. Dass sich ein alter Achsenmensch wie Friedrich Merz in dieser unscharfen politischen Stammeswelt zurechtfindet, ja sie zu bespielen weiß, scheint undenkbar. Die Zeiten von rechts und links sind vorbei.

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