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Linken-Chef Bernd Riexinger beim Tagesspiegel-Interview in seinem Büro im Berliner Karl-Liebknecht-Haus.

© Thilo Rückeis

Parteichef Riexinger im Interview: "Wir müssen verhindern, dass die Linke zerrieben wird"

Konkurrenz am rechten Rand, Oppositionsführerrolle dahin - Parteichef Bernd Riexinger erklärt, wie die Linke die AfD und Angela Merkel stellen will.

Von Matthias Meisner

Herr Riexinger, was ist faul an der Linkspartei?

Nichts. Vor jeder Bildung einer neuen Fraktion muss entschieden werden, wie sich die Fraktion aufstellt und bestmöglich mit der Partei zusammenarbeitet. Das ist jetzt nichts Besonderes. Wir haben einen sehr guten Wahlkampf geführt. Wir haben ein gutes Wahlergebnis. Und wir hatten dann einen Konflikt. Aber dieser Konflikt ist gelöst. Wir haben einen Schlussstrich darunter gezogen. Jetzt erwarte ich von allen, dass man sich den eigentlichen Fragen der politischen Auseinandersetzung zuwendet.

Unbestritten war das kein leichter Start für die Linke in die neue Wahlperiode des Bundestages?

Das stimmt.

Die Oppositionsführerrolle ist dahin, im Osten die Rolle als Volkspartei. Es dreht sich viel um die AfD. Wie will die Linke da überhaupt noch richtig vorkommen?

Wenn man genau hinschaut, gibt es im Osten gar keine so genannte Volkspartei mehr. Wir werden Mittel und Wege finden, wie wir im Osten den Trend umkehren können. Dazu gehört auch, weitere Wählerschichten zu gewinnen. Aber festzuhalten ist auch: Wir haben am 24. September über 500.000 Wähler dazu gewonnen, obwohl zwei neue Parteien in den Bundestag eingerückt sind. Es gibt keinen Grund, Trübsal zu blasen. Natürlich müssen wir verhindern, dass wir in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen SPD und AfD zerrieben werden. Andererseits erwarte ich von Jamaika eine Politik, die die sozialen Fragen in den Hintergrund stellen wird.

Die CDU wird von der FDP neoliberal unter Druck gesetzt. Die Grünen werden die zentralen sozialen Fragen wie Altersarmut, Renten, prekäre Arbeit, Investitionen in Bildung und Gesundheit, gerechte Steuerpolitik nicht bearbeiten. Aufgabe der Linken ist, die sozialen Fragen in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung zu stellen und deutlich zu machen, dass es eine Alternative zu Merkel gibt. Und da kann man nur hoffen, dass auch die SPD wieder sozialdemokratischer wird. Das wäre eine große Chance, die politischen Verhältnisse wieder stärker nach links zu rücken. Da bin ich gar nicht so pessimistisch.

Sie sagen, die SPD soll sozialdemokratischer werden. Die SPD wünscht sich eine realpolitische Linkspartei. Müssen die beiden Parteien sich tatsächlich annähern?

Nein. Aber sie müssen eine klare Alternative zu Merkel und der schwarzen Ampel bilden. Das wäre enorm wichtig. Das große Problem der SPD war bisher: Sie ist stark zur Mitte gerückt, hat angefangen mit der Agenda 2010 sogar neoliberale Politik gemacht. Ihr Profil ist in der großen Koalition völlig untergegangen. Sie steht vor der Entscheidung: Eiert sie so weiter oder bekommt sie ein klares Profil? Links von der SPD wird so oder so genügend Platz für die Linke sein.

Voraussichtlich bald gemeinsam auf den Oppositionsbänken: Katja Kipping, Martin Schulz und Sahra Wagenknecht am Dienstag in der konstituierenden Sitzung des Bundestages.
Voraussichtlich bald gemeinsam auf den Oppositionsbänken: Katja Kipping, Martin Schulz und Sahra Wagenknecht am Dienstag in der konstituierenden Sitzung des Bundestages.

© dpa/ Wolfgang Kumm

Wird der Umgang mit der SPD gemeinsam auf den Oppositionsbänken leichter?

Mal sehen. Was ich da von Olaf Scholz lese, stimmt mich skeptisch. Personell sieht es nicht wirklich nach einem Neuanfang aus. Bisher ist die SPD in der Opposition immer etwas nach links gerückt. Ich würde es mir wünschen.

Woran liegt es, dass die Linkspartei im Osten auf dem absteigenden Ast ist?

Das ist nicht leicht zu beantworten. Zum einen ist die soziale Spaltung im Osten deutlich stärker ausgeprägt als im Westen. Teilweise gibt es völlig abgehängte Regionen. Dort haben die Leute das Gefühl, sie sind Bürger zweiter Klasse. Das verschränkt sich dann zum Teil mit Diskussionen über die Flüchtlingspolitik. Viele wollen dann Wut oder Unmut zum Ausdruck bringen. Die Linke hat es offensichtlich nicht geschafft deutlich zu machen, dass sie Lösungen anbietet für die Probleme, wo die Rechten nur Sündenböcke aufbauen. Und wir haben es zu wenig geschafft, diesen Unmut mit linker Politik aufzunehmen.

Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht und Parteichef Bernd Riexinger auf der Klausurtagung der Linken-Bundestagsfraktion Mitte Oktober in Potsdam.
Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht und Parteichef Bernd Riexinger auf der Klausurtagung der Linken-Bundestagsfraktion Mitte Oktober in Potsdam.

© dpa/ Britta Pedersen

Über das Asylthema wird in Ihrer Partei heftig gestritten. Sahra Wagenknecht hat nach der Fraktionsklausur neue Thesen vorgelegt. Sie kritisiert Merkels Integrationspolitik. Und sagt, es müsse sensibler mit Ängsten von Menschen umgegangen werden, anstatt diese als rassistisch zu diffamieren. Können Sie das unterschreiben?

Die Partei ist programmatisch in der Flüchtlingsfrage gut aufgestellt. Man darf die Position der Linken nicht verkürzen auf die Frage offener Grenzen. Wir sagen: Menschen in Not muss geholfen werden. Am besten geht dies, indem Fluchtursachen wie Kriege und ungerechte Handelspolitik bekämpft werden. Wir wollen zugleich eine soziale Offensive hier im Land, die allen zugutekommt. Das Fatale an Merkels Flüchtlingspolitik: Sie hat gesagt „Wir schaffen das“, aber nichts gemacht - Stichworte: Wohnungsbau, Arbeitsmarkt. So hat sie die Flüchtlinge gegen die Menschen ausgespielt, die von der sozialen Spaltung im Land betroffen sind.

Jetzt sind Sie der Frage nach Wagenknecht ausgewichen.

Ich halte es weder für notwendig noch für sinnvoll, dass wir unser Programm zu diesem Thema umschreiben. Natürlich müssen wir diskutieren, ob unsere Antworten ausreichen. Wer grundlegend etwas ändern will, muss das in die Partei einbringen und auf einem Parteitag diskutieren.

Sie sagen: Schlussstrich nach dem Streit in der Führung. Viele ihrer Anhänger aber haben den Machtkampf in der Führung als bizarr empfunden. Können Sie für Außenstehende erklären, was da abgelaufen ist?

Es ging uns als Parteichefs darum, dass das Potenzial der Fraktion in seiner ganzen Breite zum Tragen kommt, um die neuen Herausforderungen bestehen zu können. Das muss sich natürlich auch in der Fraktionsführung widerspiegeln. Das wurde leider als Machtkampf empfunden, obwohl es gar keiner war. Jetzt haben wir einen tragbaren Kompromiss, mit dem alle Teile in der Fraktion integriert sind. Das wird die Voraussetzung für gute Oppositionsarbeit sein.

Es gibt bei der Analyse des Konflikts die sogenannte Hufeisen-Theorie: Realpolitiker auf der einen Seite und der linke Flügel auf der anderen Seite haben sich verbündet, die Mitte hat kaum Einfluss. Ist das richtig beschrieben?

Ich weiß nicht, ob diese Kategorien so stimmen. Ich zähle mich nun nicht zur Mitte, sondern bin nach wie vor ein linker Gewerkschafter. Aber es wäre doch kontraproduktiv, wenn sich ein Teil in der Fraktion zu wenig repräsentiert fühlt, der fast die Hälfte der Fraktion ausmacht.

Sie und Katja Kipping wollen im Juni kommenden Jahres wieder als Vorsitzende antreten. Sie beide geben den Laden also nicht verloren?

Dazu gibt es überhaupt keinen Grund. Katja Kipping und ich haben seit mehr als fünf Jahren eine wichtige Integrationsleistung vollbracht. Wir haben die Partei zusammengeführt. Sie ist heute stabil. Wir hatten immer das Manko, dass wir im Westen zu schwach waren. Jetzt legen wir bei den Wahlen im Westen zu, selbst in Bundesländern wie Baden-Württemberg und Bayern. Wir haben einen Zulauf von Mitgliedern wie noch nie, allein in diesem Jahr bis dato mehr als 7000, davon zwei Drittel im Alter von unter 35. Im Westen etablieren wir uns, im Osten steht ein Generationsumbruch an. Die Parteiführung hat eine wirklich gute Bilanz vorzuweisen.

Wollen Sie um das junge urbane Milieu kämpfen - oder AfD-Wähler zurückholen?

Wir dürfen nicht den Fehler machen, Milieus gegeneinander auszuspielen.

Der frühere Parteichef Oskar Lafontaine wirft Ihnen vor, zu wenig getan zu haben, um Arbeitslose und Arbeiter zu überzeugen. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

Nein. Unsere Kampagne für mehr Stellen in der Pflege richtete sich explizit an die Beschäftigten und Erwerbslosen. Man muss bedenken: Als er Vorsitzender war, gab es keine rechte Partei. Es gab nur die Linken, mit denen Menschen, die arbeitslos waren oder in prekärer Beschäftigung, ihren Protest zum Ausdruck bringen konnten. Heute konkurrieren wir mit einer rechten Partei. Das ist eine völlig neue Ausgangsbasis für uns.

Einen Riss in der Linkspartei gibt es auch beim Thema Russland. Treue Moskau-Freunde gibt es in Ihrer Partei vor allem in Ostdeutschland, ähnlich wie das auch für die AfD gilt. Müssen Sie hier nicht umsteuern?

Es gibt in dieser Frage in unserer Partei tatsächlich Unterschiede zwischen Ost und West. Jedem muss klar sein, dass Russland nicht mehr die Sowjetunion ist. Aber dennoch brauchen Deutschland und Europa gutnachbarschaftliche Beziehungen zu Russland und keine Sanktionsspirale und schon gar keinen neuen Kalten Krieg. Das schließt Kritik an Entwicklungen in Russland nicht aus: Putin ist aus meiner Sicht Vorsitzender eines Oligarchen-Klubs. Mit ihm als Präsident haben sich die sozialen Gegensätze in Russland krass verschärft. Das kann im Ernst keiner gutheißen.

Wie sollte die Linkspartei mit der AfD umgehen?

Ich habe da eine klare Linie: Die AfD muss in uns den entschiedensten Gegner finden. Die Linke muss rassistischen, nationalistischen und rechten Positionen klar entgegentreten, nicht nur in den Parlamenten, sondern auch in den Stadtteilen, an den Stammtischen und in den Betrieben. Den Rechten darf nicht der öffentliche Raum und die Diskurshoheit überlassen werden. Wir müssen über die sozialen Fragen diskutieren, denn Existenz- und Abstiegsängste sind immer ein latenter Nährboden für rechte Positionen. Die Rechten waren immer schon historisch stark darin, die Wut der Leute aufzunehmen.

Aber ihre Politik brachte ihren Wählern meist eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse. Den Erwerbslosen wird es schlechter gehen, wenn das AfD-Programm umgesetzt wird. Die Gewerkschaften hätten noch weniger zu sagen. Mietpreisbremsen würden nicht verschärft, sondern gelockert. Die Rechten stehen für eine autoritäre kapitalistische Lösung und nicht für eine Lösung im Interesse der Mehrheit der Menschen.

Sollte die AfD im Bundestag ausgegrenzt werden?

Es ist völlig klar: Wir werden keine gemeinsamen Anträge mit der AfD stellen und wir werden auch keine Leute von der AfD wählen, schon gar nicht, wenn sie rassistische oder neonazistische Positionen vertreten oder tolerieren in ihrem eigenen Laden. Wir müssen schon deutlich machen: Die sind rechts und wir sind links. Und da gibt‘s keine Berührungspunkte. Auch wenn die zu bestimmten Themen wie TTIP oder Freihandelsabkommen unsere Anträge abschreiben werden, müssen wir deutlich machen: Wir haben da nichts gemein. Ich bin aber gegen eine Märtyrerrolle und eine Ausgrenzung, auch gegen eine Empörungsabgrenzung.

Wir müssen im besten Sinne des Wortes aufklären, die völkische, rechtsextreme Ideologie deutlich machen, die die AfD vertritt. Die Rechtsnationalen wollen nach unten treten, auf die Schwächeren, die Fremden. Historisch waren das die Juden, in den 60er Jahren die Migranten. Jetzt sind es die Flüchtlinge und die Muslime.

Daraus folgt?

Das Vorgehen der Rechten hat immer die Konsequenz, von den wahren Verursachern sozialer Missstände abzulenken. Mit den Reichen, den Vermögenden, den Konzernchefs legt sich die AfD nicht an. Sondern sie legt sich mit denen an, die ganz unten auf der Leiter stehen.

Bernd Riexinger (61) ist seit 2012 Vorsitzender der Linken. Er führt die Partei gemeinsam mit Katja Kipping. Am 24. September ist er erstmals in den Bundestag gewählt worden. Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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