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Eine Abstimmung bei einem Landesparteitag der AfD in Sachsen-Anhalt.

© Sebastian Willnow/zb/dpa

Update

Partei wird rechtsextremer Verdachtsfall: Verfassungsschutz beobachtet AfD in Sachsen-Anhalt

Der Landesverband zählt zu den radikalsten: Jetzt beobachtet der Verfassungsschutz die AfD in Sachsen-Anhalt. Was bedeutet das für die Gesamtpartei?

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Die Radikalisierung der AfD hat weitere Konsequenzen. Der Verfassungsschutz von Sachsen-Anhalt hat den Landesverband der Partei als „Verdachtsfall“ eingestuft. Damit ist die Beobachtung der AfD mit nachrichtendienstlichen Mitteln, darunter die Überwachung des E-Mail-Verkehrs, möglich. Die Einstufung erfolgte bereits am 12. Januar. Darüber berichtete zuerst die „Mitteldeutsche Zeitung“.

Im Umfeld des Landtags in Magdeburg wurde dem Tagesspiegel bestätigt, dass am Montag das Parlamentarische Kontrollgremium vom Innenministerium über die Einstufung informiert wurde. Das Gremium ist für die Überwachung des Verfassungsschutzes zuständig.

Sachsen-Anhalt ist damit das dritte Land, in dem der Verfassungsschutz gewichtige Anzeichen für rechtsextremistische Bestrebungen in der AfD festgestellt hat.

Zuvor hatten bereits die Verfassungsschützer in Thüringen und Brandenburg die Landesverbände der Partei als Verdachtsfall bewertet. Die Brandenburger AfD hat im Januar Klagen beim Landesverfassungsgericht und beim Potsdamer Verwaltungsgericht gegen die Einstufung eingereicht.

Der „Flügel“ hat die Oberhand

Der Landesverband in Sachsen-Anhalt und die dortige AfD-Fraktion im Landtag zählen schon länger zu den radikalsten in Deutschland. Besonders im Visier des Verfassungsschutzes steht der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider, der kürzlich zum stellvertretenden Landesvorsitzenden in Sachsen-Anhalt gewählt wurde. Er zählt zum formal aufgelösten „Flügel“ um Björn Höcke.

In einem Gutachten des Verfassungsschutzes von 2019 taucht Tillschneider mehrfach auf. So sagte er über den Islam: „In Westeuropa, in unseren kranken Gesellschaften, kann er sich einnisten, kann seine Parallelgesellschaften bilden, die wie ein Baumpilz am Stamm der deutschen Eiche wuchern“.

In Sachsen-Anhalt haben an vielen Stellen Anhänger des vom Verfassungsschutz beobachteten „Flügels“ die Oberhand. So wird auch Fraktionschef Oliver Kirchner dem „Flügel“ zugerechnet. Björn Höcke nennt ihn seinen „Freund“.

Provokationen im Landtag

Immer wieder stören Mitglieder der Fraktion die Sitzungen im Landtag. So rief der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Robert Farle, im Landtag schon Corona-Verschwörungstheorien ins Mikrofon.

Und 2018 wurde eine Sitzung des Landtags nach einer Rede des AfD-Abgeordneten Mario Lehmann unterbrochen. Lehmann hatte sich mit vulgären Ausdrücken über junge Flüchtlinge geäußert. In Bezug auf eine Sendung des Kinderkanals Kika, die einzige ARD-Einrichtung mit Hauptsitz in einem ostdeutschen Bundesland, sagte er: „Der Kika sollte eventuell auch in Ficki-Ficki-Anleitungs-TV umbenannt werden.“

Im Landesverband zeigt sich zudem, wie wenig hier viele Mitglieder vom Kurs von Parteichef Jörg Meuthen halten, der sich zumindest dem Anschein nach von Radikalen in der Partei distanzieren will.

So wurde der Bundestagsabgeordnete Frank Pasemann von der Basis als Direktkandidat für Magdeburg und Umgebung nominiert – einstimmig. Pasemann gehörte nicht nur zum rechtsextremen „Flügel“ in der AfD. Zum Zeitpunkt der Nominierung lief gegen ihn bereits ein Parteiausschlussverfahren. Das beeindruckte die Parteikollegen aber offenbar nicht. Mittlerweile ist Pasemann raus aus der AfD.

Enge Kontakte in die neurechte Szene

Interessant für den Verfassungsschutz dürfte zudem gewesen sein, dass Mitglieder des Landesverbandes und der Fraktion gut mit neurechten Gruppen wie der Identitären Bewegung vernetzt sind. Tillschneider etwa hatte früher ein Büro in einem Haus der Identitären Bewegung in Halle.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat die Identitäre Bewegung Deutschland im Juli 2019 als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ bewertet.

Auch auf Bundesebene wird die AfD womöglich bald vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft. Die Partei versucht das zu verhindern.

Zuletzt klagte sie beim Verwaltungsgericht in Köln dagegen, als Verdachtsfall eingestuft zu werden. Die AfD wollte mit ihrer Klage auch erreichen, dass der Verfassungsschutz nicht öffentlich bekannt gibt, dass er die Partei beobachtet. Bis zu einer Gerichtsentscheidung hat sich das BfV zum Stillhalten verpflichtet.

Bundesamt für Verfassungsschutz sieht offenbar gesamte AfD als Verdachtsfall

Dass Sachsen-Anhalt nun bereits das dritte Bundesland ist, in dem der Verfassungsschutz die AfD zum Verdachtsfall erklärt, erhöht die Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Bewertung der Gesamtpartei durch das BfV.

Gerade Verfassungsschützer aus den ostdeutschen Ländern drängen schon länger darauf, die gesamte AfD zum Verdachtsfall hochzustufen. Das BfV hat das auch offenbar vor, ein knapp 1000 Seiten umfassendes Gutachten der Behörde zur fortschreitenden Radikalisierung der Partei liegt im Bundesinnenministerium.

Dort wird geprüft, ob die im Papier genannten Belege dafür reichen, dass ein Verwaltungsgericht die Einstufung der AfD als Verdachtsfall bestätigt. Wann Seehofers Juristen grünes Licht geben, ist offen.

Rückschlag für AfD beim Verwaltungsgericht

Am Dienstag kassierte die AfD allerdings beim Verwaltungsgericht eine Niederlage. Die Richter lehnten den vergangenen Donnerstag von der Partei ebenfalls eingereichten Antrag ab, mit einer "Zwischenregelung" dem BfV zu untersagen, öffentlich zu verbreiten, der "Flügel" habe bis zu seiner Auflösung 7000 Mitglieder gehabt. Die AfD behauptet, die Zahl sei erfunden und hätte eine stigmatisierende Wirkung, da sie dem "Flügel" eine Bedeutung beimesse, die er in der AfD nicht hatte. Das Gericht hielt die "Zwischenregelung" in dem von der AfD angestrengten Eilverfahren zum Thema Mitgliederzahl des "Flügel" für unnötig, da das BfV bereits seit 2019 öffentlich von 7000 Mitgliedern spricht.

Ex-BfV-Chef Maaßen verlässt Kanzlei, die für AfD tätig ist

Unterdessen hat Ex-BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen die Kölner Anwaltskanzlei Höcker verlassen, die für die AfD tätig ist und sie in der Causa Verdachtsfall vertritt. Auch wenn er mit diesem Fall nicht anwaltlich betraut war und nicht gehindert sei, als Zeuge auszusage, "besteht dennoch die Möglichkeit, dass meine Tätigkeit in der Kanzlei einen negativen Beigeschmack bekommt", teilte Maaßen am Dienstag mit. Eine etwaige Aussage als Zeuge könnte in Zweifel gezogen werden, "wenn ich auch als Anwalt mit der Klägerkanzlei zusammenarbeite". Um Schaden von allen Beteiligten abzuwenden und einen fairen Prozess zu ermöglichen, habe er seinen Weggang aus der Kanzlei um drei Monate vorgezogen, sagte Maaßen.

Maaßen hatte von 2012 bis 2018 das BfV geleitet. In seiner Amtszeit begann das BfV, Material über rechtsextremistische Vorfälle in der AfD zu sammeln. Im Januar 2019 verkündete dann Maaßens Nachfolger Thomas Haldenwang, die Partei werde als "Prüffall" eingestuft. Das BfV habe "erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik der AfD". Die parteiinternen Vereinigungen "Der Flügel" und "Junge Alternative" wurden jedoch schon als Verdachtsfall bewertet.

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