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Am 8. April wurde Viktor Orbán mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bestätigt.

© Attila Volgyi/dpa

Parlamentswahl in Ungarn: Was Viktor Orban erfolgreich macht

Er legt sich ständig mit der EU an, dämonisiert seine Gegner und hasst Flüchtlinge. Jetzt wird Viktor Orban bei der Wahl am Sonntag wohl wieder Regierungschef Ungarns.

Es gibt wieder Arbeit im Dorf. Das sagt Zsolt Csemer zuerst, wenn er über die letzten acht Jahre spricht, in denen Ministerpräsident Viktor Orban mit seiner Partei Fidesz in Ungarn regiert. Am Sonntag sind Parlamentswahlen und Csemer sieht, wie viele in dem kleinen nordungarischen Dorf Márkháza, den Wahlen zuversichtlich entgegen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird Orban wiedergewählt.

Csemer ist gewählter Vertreter der Roma-Minderheit, die etwa 30 Prozent der 280 Einwohner im nordungarischen Dorf ausmacht. Der 49-Jährige lebt seit seiner Geburt hier, er kennt Márkháza noch vor der Wende, als es Arbeit für alle gab: in der Nähe war ein Bergwerk, zwei Glasfabriken, eine Zwirnfabrik. Nach der Wende kam die Arbeitslosigkeit. „Eine schreckliche Zeit“, sagt Csemer, unter den dichten Brauen verdunkeln sich seine Augen.

Während die Arbeitslosigkeit in Ungarn 2010 noch über elf Prozent betrug, lag sie 2017 bei unter vier Prozent. Viele sagen, dass sei Orban zu verdanken. Auch Csemer hat wieder eine richtige Arbeit im Industriegebiet der nächstgelegenen Stadt Salgótarján.

Er spricht mit viel Selbstbewusstsein, trägt ein neues Hemd und neue Jeans. Viele andere im Dorf arbeiten schwarz auf Baustellen in Budapest, etwa 100 Kilometer entfernt, sie bekommen pro Tag umgerechnet etwa 30 Euro. Csemer verdient 700 Euro brutto im Monat.

Die Arbeitslosenstatistik wird auch dank der kommunalen Beschäftigungsprogramme niedrig gehalten. Seit 2011 müssen Langzeitarbeitslose, viele von ihnen Roma, etwa im Straßenbau oder der Grünflächenpflege arbeiten, um weiterhin Unterstützung zu erhalten.

Die Arbeit wird auf kommunaler Ebene verteilt, dafür gibt es umgerechnet 180 Euro pro Monat, weit unter dem Mindestlohn von etwa 440 Euro. „Es ist ein gutes Gefühl, dass wir gemeinsam das Dorf verschönern“, sagt Gyula Csemer, der Cousin des Romavertreters, über die Arbeitsprogramme.

Gemeinsam mit anderen Dorfbewohnern haben sie beispielsweise den Graben an der Straße gepflastert und den Friedhof wieder hergerichtet. „Auch die Bauern freuen sich darüber“, sagt Csemer. „Bauern“ werden die weißen Ungarn im Dorf genannt. über den Zwang, der hinter dieser Arbeit herrscht, wird nicht gesprochen.

Fidesz inszeniert sich als Partei der Roma

Diese steuerfinanzierte Arbeitsbeschaffung zahlt sich für Fidesz aus, denn sie bringt Wählerstimmen. Fidesz präsentiert sich gerne als Partei der Roma. Auch Zsolt Csemer meint, dass Orban „ein Bruder“ ist, also Roma. Die Partei grenzt sich damit von der rechtsradikalen Jobbik ab, deren Mitglieder offen romafeindliche Aussagen gemacht haben. Doch besonders in diesem Wahlkampf will sich Jobbik wieder weiter mittig, als Volkspartei positionieren.
Pál Koós, einer der „Bauern“ im Dorf, wird am Sonntag sein Kreuz bei Jobbik machen. Er betont, wie auch Csemer, dass es in Márkháza „keine Probleme“ zwischen weißen Ungarn und Roma gebe, findet aber, dass sich die Roma „nicht so aufführen“ sollen. Koós weiß, dass die Jobbik nicht gewinnen wird. „Aber zumindest regiert dann nicht mehr Fidesz alleine.“

Mit seiner Stimme möchte er die Regierung abstrafen, besonders für die mangelhafte Situation in Krankenhäusern. Vor 17 Jahren verlor er bei einem Arbeitsunfall seinen linken Fuß. Die Frührente reicht aber nicht zum Leben, Koós arbeitet daher das halbe Jahr auf Großbaustellen in Frankreich. „Die Krankenhäuser sehen jetzt von außen schöner aus.“

Das sei alles, was die Regierung in den letzten acht Jahren für das Gesundheitssystem getan habe. Gegen schlechte Bedingungen, niedrige Bezahlung und massenhafte Abwanderung von Ärzten und Pflegern, gab es seit 2015 mehrere Demonstrationen.

Die Chancen für die anderen Parteien auf einen Wahlsieg stehen dennoch schlecht. Neben der fortlaufenden Unterstützung, die Fidesz genießt, liegt das auch am Wahlsystem, welches Orban reformierte. 106 der 199 Parlamentsmandate werden an Direktkandidaten vergeben, 2014 gewann Fidesz alle bis auf zehn.

Die Opposition setzt auf Kooperation: In vielen Wahlkreisen treten Kandidaten zugunsten des aussichtsreichsten Oppositionellen zurück. Bei der Bürgermeisterwahl im südungarischen Hódmezövásárhely im Februar ging diese Taktik auf. Der Kandidat Péter Márki-Zay wurde von allen Oppositionsparteien unterstützt und gewann gegen den Fidesz-Kandidaten.

Dabei half die Aufdeckung von Korruptionsfällen rund um János Lázár, Leiter von Orbans Staatskanzlei, der zehn Jahre lang dort Bürgermeister war, und Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz, der sich in dieser Region an EU-Geldern bereicherte.

Immer drastischere Korruptionsfälle ärgern nicht nur Orban-Gegner, sondern auch einstige Fidesz-Wähler, wie István Veszprémi (Name geändert). Er freute sich 2010 noch über die Zweidrittelmehrheit, die Fidesz in Koalition mit der christdemokratischen KDNP erlangt hatte.

Die Angstpolitik wirkt

Dem gläubigen Katholiken sind christliche Werte wie Ehe und Familie wichtig und nur mit der Zweidrittelmehrheit konnte das neue Grundgesetz verabschiedet werden, das diese Werte gesetzlich verankert. Doch nun, 2018, sei die Politik der Regierung „am Rande des Wahnsinns“ angekommen, sagt der 28-Jährige.

Die Politiker, die er einst wählte, würden die christlichen Werte nicht mehr verkörpern und „missbrauchen ihre Macht“. Besonders stört Veszprémi die Regierungspropaganda gegen „die Migranten", die über Riesenplakate, Fernsehen und das Internet verbreitet wird. Darin wettert die Regierung gegen angebliche Pläne der EU, UN oder des ungarisch-amerikanischen Finanzmagnaten George Soros, Ungarn mit „Millionen von Einwanderern“ zu besiedeln. Nach der EU-Quote müsste Ungarn 1300 Flüchtlinge aufnehmen, auf 10.000 Einwohner käme einer.

Die Angstpolitik wirkt trotzdem sehr gut: „Sie haben eine gewalttätige Religion“, sagt Csemer über die drohenden Migranten. Er will nicht, dass sie „das Land überlaufen“ und in sein Dorf ziehen. Viele ländliche Gegenden werden hauptsächlich von regierungsnahen Tageszeitungen, Fernsehkanälen und Radiostationen erreicht. Das führt zu sehr unterschiedlichen Informationsniveaus.

„Die Ungarn leben in parallelen Realitäten“, sagt Veszprémi. Während man nur in regierungskritischen Medien über die Korruptionsskandale erfährt, wird dies in den regierungsnahen Medien verschwiegen und gegen Nachrichten über Einwandererkriminalität und Terror in Westeuropa eingetauscht. Ob auf dem Land oder in der Stadt – viele sehen das westeuropäische „Multikulti“-Modell als Horroszenario. Orbans Beliebtheit sank zwar in den letzten Monaten um einige Prozentpunkte, doch trotz der Korruptionsskandale und schlechter Gesundheitsversorgung unterstützen ihn nach neuesten Umfragen noch immer etwa 50 Prozent der Wähler, die sich schon entschieden haben.

Für Veszprémi ist jedoch unentschuldbar, dass die Regierung Orban das Land in den letzten acht Jahren so entzweit hat. „Wir haben einen Fehler gemacht, Orban die Zweidrittelmehrheit zu geben“, sagt er. Am Sonntag wird er für die grüne Partei LMP (Lehet Más a Politika) stimmen. Denn die letzten acht Jahre haben ihm gezeigt: Politik ist keine religiöse Angelegenheit.

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