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Ein Obdachloser schläft in einem Berliner Park auf einer Bank. Die Berliner Armut verbirgt sich aber meistens, denn am stärksten von Armut bedroht sind Alleinerziehende und Kinder.

© Soeren Stache/dpa

Paritätischer Wohlfahrsverband: Armut wächst in Berlin doppelt so stark wie im Rest Deutschlands

Die Armut in Deutschland nimmt zu. Besonders drastisch ist dies in Berlin zu beobachten, wie ein Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands jetzt darlegt. Gefährdet sind vor allem Kinder und neuerdings auch wieder Alte.

Arm, ärmer, Berlin: Der Anteil der Berliner, die unterhalb der Armutsgrenze leben, nimmt stetig zu - und das überproportional. Das geht aus dem aktuellen Bericht zur regionalen Armutsentwicklung hervor, den der Paritätische Wohlfahrtsverband am Donnerstag in Berlin vorgelegt hat. Der Anteil der statistisch Armen in der Hauptstadt stieg im Jahr 2013 um 0,6 Prozentpunkte auf 21,4 Prozent. Im Jahr 2006 lag die Quote noch bei 17 Prozent. Damit ist Berlin das drittärmste Bundesland nach Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Besorgniserregend dabei ist nach Einschätzung der Wohlfahrtsverbände, dass die Armut in diesen ohnehin ärmsten Ländern auch noch schneller wächst als in Gesamtdeutschland. In Berlin ist diese seit 2006 gar doppelt so stark gewachsen wie im Rest der Republik.

Die Schere zwischen Arm und Reich ist in Berlin zwar weniger stark geöffnet als in den meisten anderen Bundesländern, "die Armut ist aber breiter verteilt". Und: "Nirgendwo sonst gibt es so viele Hartz IV-Bezieher", sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Bedenklich sei vor allem die Lage der Kinder: Jedes dritte Kind in Berlin lebe mittlerweile von Hartz IV, mehr als die Hälfte dieser Kinder schon länger als vier Jahre. "Für diese Kinder ist Arbeit nichts Selbstverständliches mehr", sagt Schneider. Dies führe zu einer Art Teufelskreis, bei der die nachfolgende Generation schon mit dem Glauben aufwachse, dass sich Arbeit nicht lohne, weil die Eltern ja auch nicht arbeiten.

Schneider warnt vor "Lawine der Altersarmut"

Neben den Problemen der nachrückenden Generationen sieht Schneider auch eine "Lawine der Altersarmut" auf Deutschland zukommen. Diese sei zwar derzeit noch unterdurchschnittlich - 15 Prozent der Armen sind alt. Aber er weise seit 2006 eine Wachstumsrate von mehr als 40 Prozent auf. "Dieser Trend wird sich fortsetzen, wenn die Politik nichts dagegen tut", sagt Schneider. Ulrich Schneider schlägt eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze und einen Ausbau der öffentlich geförderten Beschäftigung vor. Außerdem müsse die Altersgrundsicherung angehoben werden. Zugenommen habe die Armut in allen Bundesländern mit Ausnahme von Brandenburg und Sachsen-Anhalt, die aber dennoch weiterhin zu den ärmsten Bundesländern gehören. Auf ganz Deutschland bezogen war das ein Anstieg um 3,3 Prozentpunkte auf 15,5 Prozent. Damit leben 12,5 Millionen Menschen unter der vom Statistischen Bundesamt definierten Armutsgrenze.

Ein weiterer Trend ist der zunehmende Abstand zwischen den ärmeren und reicheren Regionen in Deutschland. Ärmere werden ärmer, reichere Regionen weisen eine verhältnismäßig geringe Steigerung der Armut auf. Auch die insgesamt wirtschaftlich gute Lage in Deutschland könne daran, so der Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, nichts ändern. Die These, wonach Wirtschaftswachstum Einkommensarmut beseitige sei widerlegt, heißt es.

Wer ist eigentlich arm?

Zahlen zur Armut sind in der Regel nicht unumstritten. Eine allgemeine Definition, wann jemand als arm einzustufen ist, gibt es nicht. Der Paritätische Wohlfahrtsverband zählt in seinem Bericht alle Haushalte dazu, deren Einkünfte weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens betragen. Das sind für einen Singlehaushalt 892 Euro, bei einer Familie mit zwei Kindern sind dies 1873 Euro. Dagegen steht beispielsweise das Verständnis der Bundesregierung, wonach Armut nicht eindeutig bezifferbar ist. In ihrem Armuts- und Reichtumsbericht arbeitet sie mit einem Index, der Güter und Aktivitäten nach Wichtigkeit ordnet. Je weniger eine Person an diesen Anteil hat, desto ärmer ist sie. Mit anderen Worten: Eine Person, die zwar wenig Einkommen hat, jedoch über andere Wege an zum Beispiel schulischen Veranstaltungen oder am Medienkonsum teilnehmen kann, gilt nicht automatisch als arm. Ungleichheiten werden schlussendlich nur dann zum Problem, wenn sie ein bestimmtes Maß überschreiten und wenn sie nicht auf individuelle Leistungen und Fähigkeiten zurückzuführen sind.

Doch auch nach diesen Kriterien ist Deutschland nicht frei von Armut: Im aktuellen Bericht weist die Bundesregierung darauf hin, dass neben Zuwanderern und Arbeitslosen auch Alleinerziehende mit kleinen Kindern weit überdurchschnittlich von Armut bedroht sind. In Deutschland durchleben etwa 12 Prozent der Kinder und Jugendlichen einen längeren Zeitraum mit relativ geringem Einkommen.

Dennis Hallac

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