zum Hauptinhalt
Halbe-halbe? Parität im Bundestag wird seit langem debattiert, aber es fehlt die Mehrheit.

© Christoph Soeder/dpa

Parität im Bundestag?: Fifty-fifty per Gesetz wird es nicht geben

Die Wahlrechtskommission des Bundestags debattiert das Für und Wider eines Paritätsgesetzes – eine Mehrheit dafür ist nicht erkennbar.

Das Problem ist erkannt, wird beklagt oder ignoriert, einige Parteien tun etwas, andere nicht. Die Tatsache, dass Frauen in deutschen Parlamenten (und nicht nur hier) unterrepräsentiert sind, ist ein Thema seit Jahrzehnten. Zwar ist er heute deutlich größer als vor einigen Jahrzehnten – im Bundestag begann es 1949 mit einer Frauenquote von knapp sieben Prozent, was sich bis Ende der Achtzigerjahre nur unwesentlich änderte. Dann ging es nach oben, weil SPD und vor allem die Grünen mehr Frauen ins Parlament brachten.

Doch seit 1998 herrscht Stagnation – im Schnitt ist seither etwa ein Drittel der Abgeordneten weiblich. In den Landtagen sieht es nicht viel anders aus, der Frauenanteil liegt zwischen 46 Prozent in Hamburg (ein Ausreißer nach oben) und knapp 22 Prozent in Sachsen-Anhalt.

Der Einzug der AfD in die Parlamente spielt hier eine gewisse Rolle – die Rechtsaußenpartei ist ein Männerverein bei den Mitgliedern, den Bewerbern um Parlamentssitze und den Abgeordneten. Im Bundestag ist aktuell ein Siebtel der Fraktion weiblich. Bei Union und FDP ist es ein knappes Viertel, bei den Sozialdemokraten sind es gut 40 Prozent, bei Linken und Grünen dagegen mehr als die Hälfte.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die Parteien mit „Frauendefizit“ geloben zwar Besserung. Doch wie soll es gehen? Grüne, Linke und auch SPD propagieren verbindliche oder freiwillige Frauenquoten auf den Listen und verlangen dafür auch ein Paritätsgesetz. Aber Union, FDP und AfD halten aus unterschiedlichen Gründen dagegen.

FDP: Hochgradig problematisch

Die Wahlrechtskommission im Bundestag hat den Auftrag, neben einer Wahlrechtsreform für einen kleineren Bundestag und der Einführung des Wahlalters von 16 Jahren auch das Paritätsproblem zu wägen und einen Vorschlag zu machen. Am Donnerstagabend debattierte die Runde von 13 Mitgliedern des Bundestags und 13 Sachverständigen darüber. Danach ist klar: Ein Paritätsgesetz wird der Bundestag vorerst nicht verabschieden. Es gibt keine Mehrheit dafür. Die Ampel hat im Koalitionsvertrag – im Gegensatz zur Senkung des Wahlalters auf 16 - erst gar keinen Beschluss dazu gefasst. Union und AfD machen ohnehin nicht mit, aber auch die FDP ist dagegen. Das FDP-Mitglied in der Kommission, Konstantin Kuhle, bezeichnete Parität per Gesetz als „hochgradig problematisch“.

Denn es ist eben unklar, ob Paritätsgesetze – üblicherweise handelt es sich um die Vorgabe einer Frauenquote, die sich am Bevölkerungsanteil orientiert - verfassungskonform sind. In Bayern scheiterte 2018 eine Popularklage zur Einführung einer solchen Vorschrift, die Landtagsgesetze in Brandenburg und Thüringen wurden 2020 von den dortigen Landesverfassungsgerichten verworfen.

Verfassungsgerichte sind eindeutig

Das Bundesverfassungsgericht hat sich kurz darauf auch geäußert, und zwar auf eine Wahlprüfungsbeschwerde hin, deren Ziel die Anerkennung der Parität war. Der Zweite Senat entschied damals wegen mangelhafter Begründung gegen den Antrag und machte auch generelle Zweifel deutlich. Der Grundsatz der Wahlgleichheit bedeute, dass alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht informal gleicher Weise ausüben könnten, hieß es in der Entscheidung. Das „Fehlen von Paritätsvorgaben“ könnte laut Gericht „gerade der Chancengleichheit aller sich um eine Kandidatur Bewerbenden“ Rechnung tragen, „während die Anordnung von Paritätsverpflichtungen diesem Grundsatz widerspräche“.

Die Bedeutung dessen unterstrich in der Wahlrechtskommission die Düsseldorfer Rechtsprofessorin Sophie Schönberger. Männer und Frauen müssten für alle Plätze einer Liste kandidieren dürfen – also Männer auch auf für Frauen vorgesehenen und umgekehrt. Wenn eine Partei von sich aus paritätische Listen beschließt, ist das in Ordnung. Ein Bundesgesetz könnte dagegen in Karlsruhe scheitern.

Silke Laskowski von der Universität Kassel, Vorkämpferin für gesetzliche Paritätsvorgaben, betonte dagegen, es komme auf die Begründung an – und verwies vor allem auf das Grundgesetz, das aus ihrer Sicht eine solche Regelung verlangt: Artikel 3 wurde 1994 neu formuliert, seither ist die „tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ Staatsauftrag. Ein Paritätsgesetz dient laut Laskowski dieser Durchsetzung.

Sind offene Listen besser?

Eine Empfehlung für ein Paritätsgesetz, das ist klar, wird es von der Wahlrechtskommission nicht geben. Gibt es andere Möglichkeiten? Die Frage richtet sich im Wesentlichen an Union und FDP. Es geht also darum, wie sei attraktiver werden für Frauen. Die CDU-Abgeordnete Nina Warken wies auf den Frauenanteil der Parteimitgliedschaft hin – der spiegele sich in den Fraktionen in etwa wider. Nimmt man diesen Anteil zum Maßstab, sind Frauen tatsächlich in den Fraktionen von Grünen, Linken und auch SPD überrepräsentiert. Bei Union, FDP und AfD dagegen kommt der Zusammenhang hin.

[Lesen Sie dazu unter Tagesspiegel Plus auch: Ist man mit 16 Jahren alt genug zum Wählen?]

Der von der Union eingeladene Sachverständige Bernd Grzeszick wies auf eine politische Lösung hin, die den Parteien offensteht: Frauenanteil als Werbemittel sozusagen. Die Parteien links der Mitte müssten dann also das Fehlen von Frauen auf den Listen und beiden Wahlkreiskandidaten der Parteien rechts der Mitte offensiver anprangern. Könnte das helfen? Wären offene Listen ein zusätzliches Mittel für einen höheren Frauenanteil - also die Möglichkeit, durch gezielte Stimmvergabe die Reihenfolge der sonst starren Listen zu verändern? Nach Erkenntnissen des Mathematikers Friedrich Pukelsheim von der Uni Augsburg, ebenfalls Mitglied der Kommission, ergeben offene Listen tatsächlich die Parität – jedenfalls in Skandinavien und den baltischen Ländern, wo es diese Möglichkeit gibt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false