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Die Ärztin Kristina Hänel.

© imago images/epd

Update

Ärztin Kristina Hänel zur Abschaffung des § 219a: „Ich bin erleichtert, so unendlich erleichtert“

Der Bundestag schafft das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche ab. Ärztin Kristina Hänel hatte lange dafür gekämpft.

Der Bundestag hat am Freitag die Abschaffung des sogenannten Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche beschlossen. Für die Streichung des Strafrechtsparagrafen 219a stimmten die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP sowie die Linksfraktion, dagegen votierten Union und AfD. Der Paragraf untersagte Arztpraxen und Kliniken, ausführlich darüber zu informieren, welche unterschiedlichen Methoden es für den Abbruch gibt.

Auf das Ende des Paragrafen 219a hatten sich die Ampelparteien im Koalitionsvertrag geeinigt. „Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Daher streichen wir § 219a StGB“, heißt es darin. SPD, Grüne und FDP bekennen sich außerdem dazu, Schwangerschaftsabbruch zum Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung und zum Teil einer „verlässlichen Gesundheitsversorgung zu machen“.

Die deutschlandweit bekannte Gießener Ärztin Kristina Hänel saß im entscheidenden Moment auf der Besuchertribüne des Bundestages. 2017 war sie erstmals verurteilt worden, weil sie auf ihrer Webseite Informationen zu Abtreibungsmethoden anbot. Am Freitag lauschte sie mit Maske der Debatte, nickte ein paar Mal. Für Hänel ist es ein Moment der Genugtuung, ein Moment, auf den sie jahrelang vergeblich gewartet hatte.

Als die Entscheidung verkündet wurde, seien ihr die Tränen gekommen, sagte die Ärztin später dem „Spiegel“. „Dieser Kampf ist vorbei.... Ich bin erleichtert, so unendlich erleichtert“, wird sie im Bericht zitiert.

Die grüne Frauenministerin Lisa Paus sprach von einem „Triumph“ für Frauen und Mediziner in Deutschland. „Heute ist ein großartiger Tag.“ Jetzt sei endlich Schluss mit der Stigmatisierung von Ärztinnen und Ärzten. Jetzt könnten ungewollt Schwangere endlich barrierefrei Zugang zu den Informationen erhalten, die sie brauchen.

Und dann legte sie noch mit einem Satz nach, der bei Union und AfD für Empörung auslöste: „Man muss auch über den Paragraf 218 reden.“ Das würde bedeuten, Schwangerschaftsabbrüche an sich straffrei zu machen.

Die Debatte um den Paragrafen – das eigentliche Abtreibungsverbot steht im Nachbarparagrafen 218 des Strafgesetzbuchs – hatte 2017 begonnen, als Hänel sich vor Gericht gegen einen Strafbefehl wehrte.

Viele Anzeigen von Abtreibungsgegner:innen

Ihr folgten Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls von dem Verbot betroffen waren; einige hatten schon viele Bußgelder deswegen einstecken müssen, wenn Abtreibungsgegner:innen, die sich selbst als Lebensschützer verstehen, sie wegen Verstoß gegen § 219a anzeigten.

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„Ich freue mich, dass der unsägliche Paragraf, der viel Unheil angerichtet hat, damit der Geschichte angehören wird“, sagte Hänel. Er habe es möglich gemacht, dass unter der falschen Bezeichnung „Werbung“ seriöse Information verboten wurde, während „jegliche unqualifizierte und irreführende Äußerung von Nicht-Fachleuten“ erlaubt gewesen sei – was Abtreibungsgegner:innen ausgiebig genutzt hätten, um betroffene Frauen noch mehr zu belasten.

Ärztin sieht weitere Defizite

Hänel mahnte zugleich die Erfüllung der weiteren Versprechen der Ampel an: „Defizite in Ausbildung, Forschung und Lehre müssen aufgeholt werden; Beratungsstellen und durchführende Einrichtungen müssen vor sogenannter „Gehsteigbelästigung“ geschützt werden sowie vor Einschüchterungen, Drohungen und unzulässigen Holocaustvergleichen; das Versorgungsangebot sowohl ambulant als auch stationär muss sichergestellt werden; die Übernahme der Kosten für die Prävention sowie für die Behandlungen beim Schwangerschaftsabbruch, falls die Prävention versagt hat, muss sichergestellt werden; die laut WHO eingeforderte Aufhebung der Beratungspflicht und der vorgeschriebenen Bedenkzeit muss zugunsten einer freiwilligen Beratung erfolgen“, so Hänel in ihrer Erklärung. Sie verfolgte die Debatte von der Besuchertribüne des Bundestags aus.

Aussagen zum seit mehr als 150 Jahren umkämpften Hauptparagrafen 218 enthält der Koalitionsvertrag nicht. Ärzt:innenverbände wie „Doctors for Choice“ fordern erneut dessen Abschaffung. Leonie Kühn, Gynäkologin und Mitgründerin der Vereinigung, sagte im Frühjahr dem Tagesspiegel, der 219a sei lediglich „Teil eines Problems, das viel tiefer geht“. Es gehe um die Kriminalisierung von Abtreibung insgesamt.

Sie führe dazu, „dass Abbrüche tabuisiert und stigmatisiert werden, in der Gesellschaft wie in der medizinischen Ausbildung – wer will denn etwas lehren, was im Strafgesetzbuch steht?“ Auch für ungewollt Schwangere sei es „schockierend, dass ihr Wunsch nach einem Abbruch kriminell sein soll“. (mit dpa)

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