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Will regieren und mutet dafür der eigenen Partei einiges zu: Annalena Baerbock, Grünen-Ko-Chefin.

© imago images/photothek

„Paradigmenwechsel“ in der Außenpolitik: Die Grünen machen sich regierungsfähig

Höhere Ausgaben für die Bundeswehr oder Kampfeinsätze mit Frankreich – Grünen-Chefin Baerbock ist bereit, darüber zu reden. Aus der CDU kommt viel Lob.

Von Hans Monath

Wenn es um die außen- und sicherheitspolitische Verantwortung der Europäischen Union (EU) in der Welt geht, verfolgt Annalena Baerbock lange Linien – und schreckt auch vor Zumutungen an Teile der eigenen Partei nicht zurück.

Schon Anfang des Jahres hatte die Grünen-Chefin in einer Grundsatzrede vor der Heinrich-Böll-Stiftung stärkere Anstrengungen der EU auf diesem Feld verlangt und erklärt: „Da werden wir um die Fragen, was passierte bei Rüstungsexporten und gemeinsamen europäischen Einsätzen nicht herumkommen.“ Rüstungsexporte und Kampfeinsätze der Bundeswehr sind für viele Grüne immer noch heikle Themen.

Am Montag wurde Baerbock nun konkreter, was Experten für Außen- und Sicherheitspolitik aufhorchen ließ. Die Grünen-Politikerin würdigte in der „Süddeutschen Zeitung“ die Rolle der Nato, forderte ein stärkeres gemeinsames europäisches Engagement in der Verteidigungspolitik und erklärte sich bereit, über höhere Ausgaben für Verteidigung und Bundeswehr zu reden.

Zwar bekannte sie sich ausdrücklich nicht zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato für Rüstungsausgaben, sagte allerdings: „Es fehlen Nachtsichtgeräte zum Üben, von Flugstunden ganz zu schweigen. Wir müssen uns da ehrlich machen. Ja, in manchen Bereichen muss man mehr investieren, damit Gewehre schießen und Nachtsichtgeräte funktionieren.“

Damit die Autokraten nicht das Sagen haben

Wenn der Westen Staaten wie China, Russland oder der Türkei nicht das Feld überlassen wolle, müsse Europa seine „Friedensrolle“ in der Welt wieder ernster nehmen, meinte die Grünen-Politikerin. Im Hinblick auf den Wahlsieg Joe Bidens plädiert Baerbock dafür, die Zusammenarbeit mit den USA neu zu gestalten. Für den Fall einer grünen Regierungsbeteiligung kündigte die Grünen-Chefin Gespräche mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an. Auch über robuste europäische Militäreinsätze. „Einfach wird das nicht. Aber wir dürfen uns nicht wegducken“, sagt sie.

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Die Union, ein möglicher Koalitionspartner der Ökopartei nach der Bundestagswahl, zeigte sich erfreut. Dies bedeute einen „Paradigmenwechsel“ der Grünen in der Außen- und Sicherheitspolitik, sagte Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU) dem Tagesspiegel: „Das kann man nur begrüßen, denn endlich scheinen die Grünen in der Realität der internationalen Lage angekommen zu sein und wollen nicht mehr die Augen verschließen.“

Baerbock gilt innerhalb der Grünen als Vertreterin des realpolitischen Flügels. Der hatte unter seiner damaligen Leitfigur Joschka Fischer seit Mitte der 1990er Jahre und später die auch aus dem Kampf gegen die atomare Nachrüstung entstandene Partei dazu bewegt, Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Kosovo – und später im Afghanistankrieg zuzustimmen. Viele Pazifisten verließen daraufhin die Grünen.

Um ihre Ausrüstung sorgt sich die Grünen-Chefin: Bundeswehr-Soldaten in Mali.
Um ihre Ausrüstung sorgt sich die Grünen-Chefin: Bundeswehr-Soldaten in Mali.

© picture alliance/dpa

Auch von Jürgen Trittin, einem der Wortführer des linken Flügels, kommen längst Aussagen, wonach die Bundeswehr für Auslandseinsätze gut ausgerüstet sein müsse. Wer glaube, im Rüstungsetat könne man viel Geld sparen, sei auf dem Holzweg, sagte Trittin kürzlich der „taz“ und fügte hinzu: „Wenn ich im Rahmen eines UN-Mandats Soldatinnen und Soldaten nach Mali schicke, dann müssen sie so ausgerüstet sein, dass sie ihren Auftrag erfüllen können. Das können wir zurzeit nicht.“

Nicht nur Realos, auch linke Grüne wollen die Bundeswehr gut ausstatten

CDU-Mann Wadephul hat auch Trittins Reden im Bundestag und das „taz“-Interview aufmerksam verfolgt. „Die Grünen scheinen endlich anzuerkennen, dass wir in unsere Verteidigung und die Bundeswehr nachhaltig investieren müssen“, sagt er. Eine moderne und schlagkräftige Bundeswehr sei notwendig, um gegenüber den USA und den EU-Partnern verlässlich und bündnisfähig zu sein. Auch Frankreich, der engste europäische Verbündete, müsse sich sowohl bei Auslandseinsätzen als auch bei Rüstungskooperationen auf Deutschland verlassen können: „Das sieht jetzt auch die Spitze der Grünen ganz klar.“

Kritischer als Wadephul sieht SPD-Außenpolitiker Nils Schmid den Aufschlag der Grünen. „Wenn Annalena Baerbock vorschlägt, mit Frankreich über ,robuste europäische Militäreinsätze' zu sprechen, müsste sie konkret sagen, was genau sie sich darunter vorstellt", meint der Sozialdemokrat. Solle Deutschland künftig an Missionen wie der Task Force Takuba, einem militärischen Einsatzverband europäischer Staaten zur Unterstützung der durch Frankreich geführten Operation Barkhane im Einsatz gegen terroristische Gruppen in der Sahelzone, teilnehmen?

[Mehr zum Thema: Lesen Sie hier einen Kommentar: Wer führt das Außenamt nach der Wahl? Raten Sie mal!]

Schmid weiter: "Das wäre verwunderlich, zumal sich die Grünen im Bundestag bislang noch nicht einmal zur Zustimmung zum Mandat für die europäische Ausbildungsmission EUTM Mali durchringen konnten." Insofern seien Baerbocks Vorschläge "noch etwas unausgereift", meint der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion und fügt hinzu. "Und ich habe auch meine Zweifel, dass sie dafür die Unterstützung der Mehrheit ihrer eigenen Parteifreunde bekommt.“

Zu einem gänzlich vernichtenden Urteil kommt Sevim Dagdelen, Außenpolitikerin der Linksfraktion. "Das Werben der Grünen-Vorsitzenden für mehr Militäreinsätze und noch mehr Milliarden für die Aufrüstung gerade auch angesichts Corona-Pandemie und Klima-Krise ist regierungsversessen und verantwortungslos", erklärte sie. Es sei "beschämend und ernüchternd", wie sich die Grünen wegduckten vor einer verantwortlichen Außen- und Sicherheitspolitik, die auf Kooperation setze statt auf militärische Daueraufrüstung. "Das Festhalten an der Konfrontation gegen Russland und China ist brandgefährlich, auch unter dem Deckmantel der EU", meinte die Linken-Politikerin.

Die Basis mitzunehmen, dürfte eine harte Aufgabe werden

Unabhängige Beobachter würdigen Baerbocks Aussagen ebenfalls. „Das Interview ist musterhaft für jemanden, der ernsthaft Regierungspolitik betreiben will und gleichzeitig weiß, dass er dies seiner Basis vermitteln muss“, sagt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

In ihrem neuen Grundsatzprogramm haben sich die Grünen ausdrücklich zur Rolle der Nato bekannt. Gleichzeitig fordert die Partei, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, was die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland ausschließen würde. Das deutliche Bekenntnis zu einer starken Außen- und Sicherheitspolitik der EU bildet dazu eine Binnenspannung. „Das ist eine konstruktive Ambivalenz, die den Grünen politische Handlungsfähigkeit in möglichen Koalitionsverhandlungen sichert und trotzdem eine Einbindung der Flügel ermöglicht, die ein Ergebnis mittragen müssen“, urteilt DGAP-Experte Mölling.

Dass es nicht leicht werden dürfte, die kritische Basis mitzunehmen, wird auch Baerbock wissen. Als sie im Februar in der Böll-Stiftung die heiklen Fragen ansprach, klatschten an dieser Stelle im voll besetzten Saal nur zwei Zuhörerinnen.

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