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Paartherapeutin im Interview: „Heute kommen die Paare später zu mir“

Die Paartherapeutin Jutta Lack-Strecker über unbescheidene Frauen und überforderte Männer – und die Konflikte dadurch.

Frau Lack-Strecker, wenn Sie über Liebe sprechen, ziehen Sie Vergleiche zu früher, zur Zeit von, sagen wir, vor 25 Jahren?

Oh ja!

Haben sich die Konfliktlinien verändert?

Spannend ist zunächst, was gleich geblieben ist. Ich bin unglaublich dankbar für die vielen jungen Paare, die bei mir sind. Ich lerne so viel. Wo sind die Konflikte ähnlich, welche kenne ich, was ist neu.

Was ist denn neu?

Neu ist für mich, dass die jungen Frauen sich, ihre Kompetenzen und Bedürfnisse mehr und mehr entdecken. Dass sie die im Beruf oft realisieren und auch in der Beziehung verwirklichen wollen. Dann höre ich Sachen wie: Meine Kollegen erleben mich in meinem professionellen Engagement als leidenschaftlich. Leidenschaft und Engagement wünsche ich mir auch in meiner Beziehung. Männer entdecken eher, wie die Gesellschaft mit ihrem Leistungswahn sie lange missbraucht hat. Sie entwickeln nun ein Bedürfnis nach Lethargie, nach Mal-sein-Lassen, und übertragen das, weil der Beruf es ja häufig nicht zulässt, in die private Situation. Und dann knallt’s natürlich.

Dann sind also die jungen Frauen von heute voll auf dem Leistungswahn-Trip.

Nein, ich denke, Leidenschaft ist eher etwas anderes. Das ist z. B.: Ich entdecke meine Fähigkeiten, und ich will das, was ich tue, gerne gut machen. Das hat nicht immer mit Ehrgeiz zu tun. Es hat mit der Entdeckung der eigenen Kompetenz zu tun und mit der Lust, diese auch zu zeigen. Nicht mehr – zurückhaltend, bescheiden zu sein.

Haben Sie das Gefühl, dass sich die Männer davon überfordert fühlen?

Ja. Und sie sind es auch, weil sie den Umgang mit selbstbewussten Frauen häufig nicht lernen konnten, es gab – und gibt sie immer noch, viel zu wenig überzeugende Modelle.

Vielleicht passen Familie und 50-Stunden-Wochen auch nicht zusammen.

Da gibt es kein Richtig und Falsch. Wenn ich mit Paaren arbeite, schaue ich: was passt. Und wie kriegen sie es passend. Es kann ganz verrückte Optionen geben. Und was passt, sollte man nach spätestens fünf Jahren wieder überarbeiten. Was für eine bestimmte Zeit passt, muss für eine nächste Lebenszeit nicht passen.

Bei den Frauen gibt es einen großen Ehrgeiz zu sagen: Ich suche mir das, was mir passt und was mir wichtig ist, und dann sehen wir mal weiter. Problematisch wird das, wenn Frauen das auch in Beziehungen tun und davon ausgehen, das Männer das nachvollziehen. Dann gibt es Reibereien.

Natürlich gibt es die. Die Menschen müssen gucken, was verträglich ist. Ich kenne auch ein Beispiel, da ist eine Frau gebeten worden, in ein hohes politisches Amt zu gehen, eine ganz wunderbare, toughe Frau, die Kinder sind zwei und vier. Sie hat gesagt: „Ich will meine Ehe nicht riskieren.“ Nicht: „Ich kriege das mit den Kindern nicht hin.“ Die ist so toll organisiert, das hätte sie geschafft.

Tapfer, dass sie sich traut, das zu sagen.

Ja, da habe ich ganz großen Respekt. Das ist Selbstbewusstsein. Zu sagen: „Ich bin verantwortlich für das, was ich tue.“

Sie sagen, dass die Menschen, die zu Ihnen kommen, jünger sind. Lässt man sich heute früher helfen und versucht weniger selbst, das Problem zu lösen?

Ich will nicht generalisieren, ich kenne nur einen kleinen Ausschnitt. Aber aus meiner Perspektive kamen früher die jungen Paare, wenn die Kinder acht bis zehn Jahre alt waren und alles zu spät war, heute kommen sie, wenn die Kinder zwei und vier Jahre alt sind.

Was sind die Hauptkonfliktlinien?

Wenn es keine Vereinbarungen zum Zusammenleben gibt, wenn Menschen denken, hoffen, die Liebe wird es schon richten. Ich sprach neulich mit einem Paar, sie ein bisschen über 30, er etwas älter, die ihren Ehevertrag nicht kennen. Das Kleingedruckte haben sie nicht gelesen. Wir haben gelacht und sind auf die Idee gekommen, dass es im Standesamt eine schöne Zeremonie geben sollte, die deutlich macht, was man da für einen Vertrag unterzeichnet. Offensiv rangehen an die Vereinbarungen zum Zusammenleben. Dabei überprüft man die unterschiedlichen impliziten Erwartungen, die gelernten Muster. Wenn diese nicht transparent, verständlich werden, kann es zu sehr schmerzlichen Missverständnissen kommen. Die bittersten Klagen sind: Ich werde nicht mehr gesehen, nicht mehr gewürdigt in dem, was ich für unsere Gemeinschaft tue.

Das sind so die Krisensymptome …

Das sind Krisen, die sehr wehtun. Andere entstehen etwa durch unterschiedliche Muster von Trauer. Zum Beispiel, wenn ein Paar sich zu einer Abtreibung entschlossen hat. Eigentlich ist die Beziehung dann zu Ende. Es muss einen Grund geben, um weiterzumachen. So etwas ist nicht mal eben so locker gemacht. Aber man kann es verarbeiten. Es ist ein schmerzlicher Abschied von etwas, was hätte sein können. Aber das hängt ja auch mit Trauer zusammen. Ich muss erkennen, was hinter dem Alltagsstreit steht. „Wir sitzen morgens schon auf der Kante“, so kommen manche Paare. „Und das wollen wir beide nicht mehr, doch wir kommen da nicht raus.“

Wie repariert man das?

Indem man genau guckt: Was ist es? Was ist es für sie? Was bedeutet dieser Streit für ihn? Anklagen in Bedürfnisse zu verwandeln, kann Veränderungen bewirken. Nicht „immer bist du weg“, sondern „ich vermisse dich“. So haben wir ein völlig anderes Klima. Das ist immer meine erste Arbeit. Dann kann man gucken, was hinter den Anklagen, den Bedürfnissen steht. Jeder Streit ist ein unerfüllter Wunsch.

Ist die Liebe heute nicht viel freier, auch weil es weniger klare Modelle gibt?

Ohne haltende Normen sieht es vielleicht so aus, als werde alles beliebig oder freier. Aber: Die Verantwortung wird größer.

Wenn es schon schwer ist, die Verantwortung zu erkennen, wie schwer ist es dann, damit umzugehen?

Man muss sie im Dialog mit dem Partner entwickeln. Das ist eine große Herausforderung, und ich denke, ein Scheitern könnte zur Folge haben, dass man in Beliebigkeit verfällt, Resignation auf der einen Seite, Übermut auf der anderen. Daran haben junge Menschen auch ganz schön zu tragen.

Würden Sie von einem Problem Nummer eins in Paarbeziehungen sprechen?

Ungerechtigkeit wird häufig erwähnt. Wie fair sind wir eigentlich? Wer übernimmt welche Pflichten? Anerkennung. Etwas, das nach fünf bis sieben Jahren einfach sehr mager ausfällt.

Ungerechtigkeit ist interessant. Man muss Interessen vertreten, abgleichen und aushandeln.

Das tun wir alle – und zwar massiv. Wir führen alle unsere inneren Konten, nur wir gleichen sie nicht ab.

Man könnte aber auch die These vertreten, dass ein gewisses Maß an Ungleichheit in einer Beziehung gut ist. Nicht: Ich habe den Mülleimer hundertmal runtergebracht, jetzt bist du hundertmal dran. Sondern: Ich definiere meine Rolle, du definierst deine, und dann schauen wir mal.

So würde das Leben leichter. Wenn wir kein Idealmodell erreichen wollen, sondern schauen, was passt im Moment, was würden wir beide als fair erleben. Dann sind Unterschiede ein großer Reichtum.

Von Simone de Beauvoir stammt das Zitat: „Das Wort Liebe hat für die beiden Geschlechter durchaus nicht denselben Sinn, und hierin liegt eine Quelle der schweren Missverständnisse.“ Was, glauben Sie, bedeutet Liebe für Männer oder Frauen?

Frauen und Männer sind so unterschiedlich. Was sich jeder unter einer guten Beziehung vorstellt, kommt auch aus Mustern, die uns in der Familie vorgelebt wurden. Und wir heiraten ja heute nicht mehr in der gleichen Klasse, was sehr vernünftig war, weil es das Leben leichter machte.

Es schließt auch andere Probleme aus. Geld zum Beispiel.

Das sehe ich ähnlich. Was die sexuellen Bedürfnisse angeht, sehe ich keinen wirklichen Unterschied bei Männern und Frauen. Auch nicht bei dem Gedanken, Kinder haben zu wollen. Das war zu der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, anders.

Sechs Thesen, von denen wir gerne wüssten, ob Sie sie für falsch oder für richtig halten. Liebe und Romantik passen nicht mehr zusammen, richtig oder falsch?

Schweigen.

Ihr Gesicht sagt: falsch.

Ich fände es schade.

Wir auch. Eine Beziehung bedeutet Interessenausgleich, richtig oder falsch?

Beziehung und Ehe sollen ein gutes Leben, eine gute Entwicklung bedeuten, und dazu gehört der Interessenausgleich.

Stabiles Unglück und Unzufriedenheit halten langjährige Beziehungen zusammen.

Ja. Manchmal. Erstaunlich.

Es ist natürlich eine ziemlich finstere Sicht.

Aber es ist eine spannende These. Ich kenne Paare, die bewusst verzichten, bestimmte Konfliktthemen anzugehen, weil ihnen die Gemeinsamkeit so wertvoll ist. Das sieht dann nach Unglück aus.

Und alle sagen: Wie kannst du nur.

Ein Paar hat sich zum Beispiel entschieden, keine sexuelle Beziehung zu haben, obwohl sie wussten, dass sie dafür zu jung sind. Beide hatten ihre Eltern früh verloren. Sie sagten: Dass wir uns haben, ist uns so viel wert, wir müssen nicht alles haben. Begrenztes Unglück.

Aber sie haben dafür ja auch etwas bekommen, aus ihrer Sicht.

Vertrauen, ja, und Verlässlichkeit. Aber von außen sieht es bei jungen Menschen wie Unglück aus.

Je ähnlicher die Rollen, die Männer und Frauen übernehmen, desto besser für die Beziehung: richtig oder falsch?

Sehe ich nicht so.

Die Politik tut alles, damit Paare für den Arbeitsmarkt taugen: richtig oder falsch?

Politik hat die Wege geebnet. Entscheiden müssen die Menschen selbst. Ich würde nicht sagen, Politik verführt den Menschen. Da machen eher die Medien Druck. Eure Kinder müssen die besten in der Schule sein, sie müssen die beste Haut haben und gut im Sport sein, und ihr habt sowieso den Superjob. Da kann ein unglaublicher Druck entstehen, den ich so von der Politik nicht sehe.

Das Gespräch führten Katja Reimann und Werner van Bebber.

Jutta Lack-Strecker ist Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und lehrt Paar- und Familientherapie. Sie wohnt in Berlin und hat eine Praxis in Charlottenburg. Als erste Mediatorin erhielt sie 2007 das

Bundesverdienstkreuz.

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