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Ortstermin: Kleinlich? Peinlich!

Italiens Staatspräsident spricht an der Berliner Humboldt-Universität über Europas Krise. Und teilt auch gegen die Kanzlerin aus - für ihn "der Bundeskanzler, Signora Merkel"

Wie man am falschen Ort sein kann, aber genau zum richtigen Zeitpunkt, hat Italiens Staatspräsident 1989 erfahren. Damals war Giorgio Napolitano noch in der Führung der Kommunistischen Partei Italiens, die sich inzwischen mehrfach verwandelt und umbenannt hat, und damals berechtigte Hoffnung hatte, in die sozialdemokratische Familie aufgenommen zu werden, die Sozialistische Internationale. Das alles wollte Napolitano, Exponent des rechten KPI-Flügels, mit Willy Brandt besprechen. Verabredet war man in dessen Bonner Büro am 9. November 1989. Man habe zwei Stunden lang gesprochen und nicht geahnt, so erinnerte sich Napolitano jetzt in Berlin, „dass kurz danach die Geschichte eine plötzliche, aufregende Wende Richtung Einheit und Freiheit nehmen würde“.

Zu seiner „Willy Brandt Lecture“ an der Humboldt-Universität am Freitag dürfte sich Napolitano in Ort und Zeit genau richtig gefühlt haben. Mitten in der Krise und in der Hauptstadt von Europas größter Volkswirtschaft. Deren politischer Führung er in aller Höflichkeit vorwirft, sie ziehe aus dem Vernunftbekenntnis zu Europa nicht genügend Konsequenzen. Die Kanzlerin – im Redetext des 87-jährigen Staatspräsidenten heißt sie jedes Mal „der Bundeskanzler, Frau Merkel“ – nenne richtigerweise die harten Zahlen und Fakten, dass nämlich selbst das große Deutschland nur ein Prozent der Weltbevölkerung ausmache und folglich nur mit den europäischen Partnern zusammen Gewicht habe. Alles „ernsthaft und wohlbegründet“, man sei da einig, nur: „Wenn es denn stimmt, dass wir alle in einem Boot sitzen und dass auch die deutsche Wirtschaft, die stärkste und wettbewerbsfähigste in Europa, der Rezessionswelle in wichtigen EU-Ländern wie Italien ausgesetzt ist: Dürfte man dann nicht berechtigterweise einen kräftigen Anstoß Deutschlands erwarten, einen Beitrag zu echter, nicht nur angekündigter Erholung von Wachstum und Beschäftigung in Europa?“ Zwischen der Einsicht ins Notwendige und „gewissen Verhaltensweisen“ voller Kleinlichkeit und Nationalegoismus, „sagen wir’s offen“, sei „der Abstand zu groß“.

Gerade in Krisenzeiten – da zitiert Napolitano den deutschen Kollegen Joachim Gauck und nicht die Kanzlerin – müsse man „mehr Europa wagen“. Das gemeinsame Interesse zu verfolgen, das habe schon der europäische Vordenker Jean Monnet gewusst und aufgeschrieben, schließe eben nicht aus, dass man das der anderen im Auge behalte. Ganz im Gegenteil. Und es sei eine „inakzeptable“ Ansicht, dass Europa nur akzeptiert werde, wenn es wirtschaftlichen, mess- und zählbaren Erfolg habe. An diese „output legitimacy“ hätten in den goldenen Jahren des Wachstums viele geglaubt. Stattdessen seien funktionierende europäische Institutionen nötig, ein stärkeres Parlament – kurz eine echte Europäische Union.

Sein letzter Staatsbesuch: Italiens Präsident Giorgio Napolitano und Bundespräsident Joachim Gauck in dieser Woche in Berlin
Sein letzter Staatsbesuch: Italiens Präsident Giorgio Napolitano und Bundespräsident Joachim Gauck in dieser Woche in Berlin

© Maurizio Gambarini/dpa

So weit Napolitanos großes europäisches Gemälde. Den kleinen Schlenker in die nationalen Niederungen setzt schließlich Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse. Der Sozialdemokrat, der im Kuratorium der einladenden „Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung“ sitzt, hatte dem Gast schon zur Begrüßung gedankt für einen Besuch „in diesen Tagen, da Sie doch in Rom gebraucht werden“. Zum Abschied wünscht er ihm alles Gute; schließlich stehe Italien gerade in einer "Bewährungsprobe". Die die Demokratie aber sicher bestehen werde.

So viel zu Steinbrücks Clowns sollte dann wohl doch sein.

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