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Viktor Orban (rechts) stört die Wahlkampagne des EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber

© Szilard Koszticsak,dpa

Orban in Quarantäne: Europas Konservative spielen auf Zeit

Die EVP versucht den Provokateur Orban einzufangen. Seine Fidesz-Partei verliert vorläufig ihre Mitgliedsrechte. Das bringt Ruhe – jedenfalls bis zur Wahl.

Von Robert Birnbaum

Viktor Orban hat es wieder so versucht wie immer. Mehr als einmal hat der ungarische Ministerpräsident seine Kollegen in der Europäischen Volkspartei (EVP) mit seinen Sprüchen und Aktionen gegen Flüchtlinge, „Brüssel“ und Andersdenkende provoziert, dann auf Proteste eingelenkt – und kurz darauf weitergemacht. Ginge es nach ihm, hätte sich das Spiel am Mittwoch wiederholt. Doch als die EVP-Spitze diesmal in Brüssel zusammenkommt, ist klar: Orban und seine Fidesz-Partei gehören mindestens in Quarantäne, damit sie den Wahlkampf des Spitzenkandidaten Manfred Weber nicht noch mehr kontaminieren.

Das Verhalten des ungarischen Regierungschefs im beginnenden Europawahlkampf habe zu einem „massiven Vertrauensverlust“ geführt, stellt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer schon beim Eintreffen in Brüssel fest. Zwar habe Orban „erste anerkennenswerte Schritte“ unternommen. Doch die reichten nicht, um Zweifel auszuräumen.

Rauswerfen will die CDU-Chefin die Fidesz trotzdem nicht. Abgestimmt im Trio der deutschsprachigen EVP-Parteien – CDU, CSU und Österreichs ÖVP – bringt Kramp-Karrenbauer einen anderen Vorschlag mit, der Grundlage der Diskussion im Vorstand der Parteienfamilie wird: Orbans Fidesz verliert bis auf Weiteres ihre Mitgliedsrechte; ob und wann die Truppe wieder mitreden darf, darüber soll ein Rat der Drei Weisen urteilen, nachdem er sich das Verhalten der Ungarn eine Zeitlang angeschaut hat.

Ein bisschen war Orban dem Kandidaten Weber ja zuletzt entgegengekommen. Die Plakatkampagne gegen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist seit dem 15.März offiziell beendet. Für die Beschimpfung seiner Kritiker als „nützliche Idioten“ der Linken hat sich der Fidesz-Chef bei einigen EVP-Politikern entschuldigt. Auch auf die dritte Forderung reagierte er: Münchner Universitäten dürften in Ungarn Lehrstühle „im Rahmen der Zusammenarbeit“ mit der Hochschule des US-Milliardärs George Soros einrichten.

Das Einlenken folgt allerdings dem sattsam bekannten Muster. Die Plakataktion hatte ihre Hetzwirkung eh schon getan. Von einer Rückkehr der Soros-Hochschule, die vor massivem Druck letztes Jahr nach Wien auswich, ist keine Rede. Die Entschuldigung war so schwammig formuliert, dass einige Adressaten sie ablehnten. Beim Hauptbeleidigten kam sie gar nicht erst an. Juncker bekräftigte denn auch die Forderung, den Mann und seine Partei hinauszuwerfen: Mit „christdemokratischen Werten“ habe dessen Agieren schon lange nichts mehr zu tun.

Orban hat mehrere Verfahren am Hals

Das ist eine höfliche Umschreibung. Orban hat mehrere EU-Verfahren wegen Vertragsverletzung und Verstößen gegen den Rechtsstaat am Hals. Beeindruckt hat ihn so etwas immer erst, wenn die Europäer ihm drohten, Mittel zu kürzen. Auch auf den deutsch-österreichischen Plan reagierte er trotzig. Sein Amtschef Gergely Gulyas beantwortete Kramp-Karrenbauers Drohung öffentlich mit einer Gegendrohung: Es gehe hier um eine Frage der Selbstachtung – bevor die EVP die Fidesz suspendiere, werde die Partei von sich aus austreten.

Dieses Vorgehen spricht nicht für den CSU-Kandidaten Weber. Man muss aber anerkennen, dass die jetzt vorgenommene 'Festsetzung' der Fidesz besser ist, als wenn Orbán sich (schon jetzt) mit den Rechtsextremen im EU-Parlament zusammenschließen würde.

schreibt NutzerIn don.bolko

Das wäre genau das Szenario, das Weber und seine Freunde immer vermeiden wollten. Es ging ihnen dabei weniger um die Handvoll Fidesz-Abgeordneten als um die drohende Zersplitterung im Europaparlament. Orbans Austritt könnte zum Kristallisationskern einer Ost-West-Spaltung werden, lautete die Sorge, oder eines neuen Bunds der Destruktiven gemeinsam mit den italienischen Rechtsnationalen von Matteo Salvini.

Diplomatie reicht nicht mehr aus

In seinen Jahren als EVP-Fraktionschef hat sich der CSU-Mann Weber deshalb bis zur Selbstverleugnung um Kompromisse bemüht. Er hat nur mit den Zähnen geknirscht, wenn der damalige Parteichef Horst Seehofer und Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den Ungarn hofierten. Doch seit Weber als Spitzenkandidat im europäischen Rampenlicht steht, reicht zähe Diplomatie in Hinterzimmern nicht mehr als Gegengift gegen den üblen Provokateur.

Trotzdem kam am Ende auch diesmal Diplomatie ins Spiel. Kramp-Karrenbauer versuchte, Orban die Suspendierung als „Brücke“ schmackhaft zu machen. Der willigte schließlich ein – gegen ein Zugeständnis: Die Fidesz-Mitgliedschaft werde im Einvernehmen ausgesetzt. Mit der Formel konnte Orban den Schein von Freiwilligkeit wahren.

Der Ungar nennt das eine „gute Entscheidung“, weil sie die Einheit bewahre, und beteuert sogleich, seine Partei werde den gemeinsamen Spitzenkandidaten unterstützen. CSU-Chef Markus Söder gibt sich erleichtert: „Es ist gut, dass jetzt Klarheit herrscht.“ Und der Kompromiss, streuen die Christsozialen, sei natürlich Webers Verdienst gewesen.

Auch die anderen zeigen sich zufrieden. Orban könne nun beweisen, dass seine Partei die gemeinsamen Werte der EVP teile, sagt Kramp-Karrenbauer. Die drei Bewährungshelfer, an der Spitze Ex-EU-Ratspräsident Hermann van Rompuy, werden sich das ansehen. Das werde viel Zeit brauchen, sagt Weber voraus – also jedenfalls über die Europawahl hinaus. Aber eins will der Kandidat doch festgehalten wissen: Ein Ausschluss der Orban-Truppe aus der EVP, der sei jetzt keineswegs schon vom Tisch.

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