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SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Samstag in Mainz.

© Reuters

Opposition statt Koalition: Regieren kann auch Mist sein

"Opposition ist Mist", sagte einst der SPD-Politiker Franz Müntefering. Das war immer falsch. Es kann eine Zeit geben, in der Opposition eine staatstragende Aufgabe ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Der Satz, inzwischen legendär, klingt gut und griffig, aber das macht ihn nicht besser. Oder richtig. „Opposition ist Mist“– das war immer falsch. Und nur weil ihn der Meister der kurzen Sätze sagte, Franz Müntefering, ein operativer Politiker vor dem Herrn, dazu ein beliebter Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn, wurde er ihm nicht um die Ohren gehauen. Denn Opposition ist immer, wirklich immer wieder Regierung im Wartestand. Selbst Angela Merkel war mal Opposition.

Aber, richtig, Opposition ist nicht nur wichtig, sondern muss sich wichtig nehmen. Und genommen werden. In der vergangenen Legislaturperiode hatte sie es schwer, enorm schwer sogar, weil es da diese übergroße Koalition gab: 503 Abgeordneten von Union und SPD standen 127 Parlamentarier von Grünen und Linken gegenüber.

Damit musste die Opposition allein von den Zahlen her schon ziemlich um Einfluss kämpfen. Ohne das Entgegenkommen der größeren Fraktionen hätten die kleineren nicht einmal einen Untersuchungsausschuss durchsetzen können. Am Ende wurden es fünf, darunter zu so wichtigen Themen wie NSU und NSA. Sage keiner, dabei sei nichts herausgekommen. Unter anderem neue Gesetze, die die Geheimdienstkontrolle verstärken.

Annehmen, was ist

Opposition ist wichtig! Besonders, wenn eine Regierung viel und schnell regieren muss. Bankenkrise, Euro-Rettung, Flüchtlingskrise, Terror – da braucht es ein Korrektiv, einen Monitor, der immer wieder daran erinnert, dass diejenigen, die in der Exekutive arbeiten, den Volksvertretern Rechenschaft schuldig sind, die wiederum dem Souverän die Stimme geben: dem Bürger. Und der verleiht seine Macht nur auf Zeit. Das klingt vielleicht pathetisch, ist es aber nicht, bloß realistisch. Und praktisch anzuwenden. Oft genug ist die Regierung besser beraten, die Opposition mitzunehmen. Das nennt man gesellschaftlichen Konsens. Den zu wahren oder in schwierigen Situationen herzustellen, ist kein Mist.

Und eben weil das so ist, muss das staatspolitische Instrument Opposition stark gemacht werden. Nicht nur durch einen Präsidenten wie den scheidenden Norbert Lammert, dem das Parlament demokratisch über alles ging, sondern durch die Parteien selbst. Damit ist nicht (allein) gemeint, dass ihre Fraktionen im Bundestag große Anfragen stellen sollen, um große Debatten zu erzwingen; das ist gewiss immer wieder nötig, doch nur ein Teil.

Wer die Aufgabe des demokratischen Wächters ausfüllen will, darf sie nicht geringschätzen. Und wem sie vom Wähler zugedacht wurde, der sollte sie kraftvoll annehmen. Denn Regierung um jeden Preis ist Mist.

Annehmen, was ist – das kann schwierig werden. Zumal für eine Partei, die derart lange regiert wie die SPD. Sie wird die nächste Wahl nicht gewinnen. Aber sie, traditionell die Staatstragende Partei Deutschlands, ist in Regierungen eingetreten, die nicht ihr, sondern dem Land gut bekamen.

Und da kann es auch eine Zeit geben, in der Opposition ihre staatstragende Aufgabe ist. Einmal, um sich nicht endgültig zu verschleißen. Zum Zweiten, weil eines nicht passieren darf: dass eine Partei mit fremdenfeindlichem, rassistischem, völkischem Potenzial stärkste Kraft neben der Regierung wird. Man stelle sich vor: die AfD mit Alexander Gauland als Oppositionsführer. Das wäre – nun, Mist ist dafür wieder nicht das richtige Wort.

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