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Politik: Opfer-Anwälte fordern Zugang zu Archiven

Einen Tag vor einer neuen Runde in den deutsch-amerikanischen Verhandlungen über die Entschädigung von NS-Opfern gibt es zwischen den Vertretern der Betroffenen sowie der Bundesregierung und der Industrie auf der anderen Seite weiter gravierende Meinungsunterschiede. Umstritten bleiben mögliche Ansprüche von Opfern, die sich aus der so genannten Arisierung jüdischen Vermögens durch deutsche Banken ableiten.

Einen Tag vor einer neuen Runde in den deutsch-amerikanischen Verhandlungen über die Entschädigung von NS-Opfern gibt es zwischen den Vertretern der Betroffenen sowie der Bundesregierung und der Industrie auf der anderen Seite weiter gravierende Meinungsunterschiede. Umstritten bleiben mögliche Ansprüche von Opfern, die sich aus der so genannten Arisierung jüdischen Vermögens durch deutsche Banken ableiten. Die Bundesregierung steht auf dem Standpunkt, dass entsprechende Ansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz in den fünfziger und sechziger Jahren abgegolten wurden. Der New Yorker Opfer-Anwalt Ed Fagan sagte dagegen am Montag vor der Presse in Berlin, es sei eine "Lüge", wenn behauptet werde, alle von der Arisierung Betroffenen seien inzwischen entschädigt worden. Fagan und sein Münchner Anwaltskollege Michael Witti verwiesen dabei auf Rückerstattungsakten aus den Berliner Wiedergutmachungsämtern.

Fagan und Witti forderten die Einsetzung unabhängiger Historiker und die Öffnung der Archive in den Wiedergutmachungsämtern. Die beiden Anwälte präsentierten dabei als Beleg ein Schreiben der Commerzbank von 1960. Das Dokument, so Fagan, stehe exemplarisch für Hunderttausende ähnlicher Fälle, in denen es nach der Arisierung jüdischen Vermögens keine Entschädigung gegeben habe. Nach den Worten von Witti weigerten sich die Banken immer noch, im Rahmen der geplanten Stiftungs-initiative der deutschen Industrie "ihre Verantwortung zu übernehmen". Die Stiftungsinitiative versuche im Rahmen der gegenwärtigen Verhandlungen, die Industrie zu schützen, so Witti weiter.

Der Sprecher der Initiative, Wolfgang Gibowski, wies die Vorwürfe im Gespräch mit dem Tagesspiegel zurück. Entschädigungs-forderungen nach Arisierungen sollten wie geplant durch die Stiftungsinitiative der Wirtschaft abgedeckt werden, so Gibowski. Er warf den Opfer-Anwälten allerdings vor, "pauschal vorgetragene Forderungen" zu erheben. Den Banken seien keine noch ausstehenden Forderungen bekannt, die sich aus der Arisierung jüdischen Vermögens ableiteten. Wenn den Anwälten der NS-Opfer entsprechende konkrete Forderungen vorlägen, so sollten sie sie auch publik machen. Die Summe der nach dem Bundesentschädigungsgesetz geleisteten Zahlungen bezifferte Gibowski auf 104 Milliarden Mark.

Wie der New Yorker Anwalt Ed Fagan am Montag vor der Presse weiter erklärte, werde es bei den Verhandlungen ab dem heutigen Dienstag in Bonn keine Lösung geben, wenn nicht auch Banken und Versicherungen entsprechend den Forderungen der Anwälte Entschädigung leisteten. Fagan und Witti zeigten sich dennoch optimistisch, dass es in dieser Woche noch zu einem Abschluss der Verhandlungen kommen könnte. Nach Wittis Worten sei die Struktur für die von der deutschen Industrie geforderte Rechtssicherheit gegen künftige Klagen erarbeitet.

Auch der Sonderbeauftragte des Bundeskanzlers, Otto Graf Lambsdorff (FDP), geht "verhalten optimistisch" in die neue Verhandlungsrunde. Lambsdorff sagte am Montag im "Deutschlandradio", in der bislang strittigen Frage der Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen in den USA könnten in dieser Woche möglicherweise Ergebnisse erzielt werden. Allerdings könne es eine hundertprozentige Rechtssicherheit nicht geben.

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