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„OOOOrdÄÄÄr!“ - John Bercow in seiner Zeit als Speaker des Unterhauses.

© AFP

„OOOOrdÄÄÄr!“: Britischer Ex-Parlamentspräsident Bercow wechselt zur Labour Party

Der britische Ex-Parlamentspräsident John Bercow rechnet mit Regierungschef Boris Johnson ab und bezichtigt ihn der Lüge. Er will nicht länger zu den Tories gehören.

In den schier endlosen Brexit-Debatten Großbritanniens wurde sein Schlachtruf „OOOOrdÄÄÄr!“ weltberühmt. Zuletzt war es still geworden um den früheren Speaker des Londoner Unterhauses. Wie man den kleingewachsenen, dafür aber mit umso größerem Ego ausgestatteten John Bercow so kennt, dürfte ihm das gar nicht recht gewesen sein.

Am Sonntag hat sich der Politiker mit einem Paukenschlag zurückgemeldet. Seine frühere Partei, die Konservativen von Premierminister Boris Johnson, sei „reaktionär, populistisch, nationalistisch und gelegentlich sogar fremdenfeindlich“. Bercow gehört neuerdings der oppositionellen Labour-Party an.

Empört zeigt sich der 58-Jährige im Gespräch mit der Sonntagszeitung „Observer“ besonders über die Behandlung des Parlaments durch Johnsons konservative Regierung. In der ihm eigenen blumigen Diktion spricht Bercow von „wachsenden, umfangreichen und unanfechtbaren“ Anhaltspunkten dafür, dass der Premier und seine Minister „dem Parlament Unwahrheiten sagen“ oder es links liegen lassen. „Aber die Wahrheit ist wichtig und das Parlament ist wichtig.“

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Da nimmt Bercow Zweifel auf, die sein Nachfolger Lindsay Hoyle zuletzt immer wieder artikulierte. Vergangene Woche bezichtigte der aktuelle Speaker den Premierminister wütend „irreführender“ Mitteilungen – im parlamentarischen Sprachgebrauch ein schwerer Vorwurf, der früher oder später zu einem Verfassungskonflikt führen könnte.

Zwar kam es bei einem Vier-Augen-Gespräch zu einer Versöhnung, angesichts von Johnsons Regierungshandeln der vergangenen zwei Jahre sind aber Zweifel angebracht, dass der Frieden lange halten wird.

Johnson verweigerte ihm das Oberhausmandat

Seit seinem Ausscheiden aus dem Unterhaus im Oktober 2019 gehört Bercow dem Parlament nicht mehr an, weil die Johnson-Regierung ihm verweigerte, was sämtlichen Ex-Speakern zuteil wurde: die Berufung auf Lebenszeit ins Oberhaus. Die beispiellose Brüskierung war wohl als Quittung gedacht dafür, dass Bercow immer wieder langjährige Konventionen und Regeln außer Acht ließ.

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Nicht zuletzt geriet er in den bitteren Brexit-Debatten nicht ganz zu Unrecht in den Verdacht, er bevorzuge jene, die das Votum des Volkes mit parlamentarischen Mitteln rückgängig machen wollten. Die härtesten Auseinandersetzungen hatte der Speaker stets mit jenen konservativ-nationalen früheren Parteifreunden, die sich für den EU-Austritt stark gemacht hatten.

Dabei war der Sohn eines jüdischen Taxifahrers mit rumänischen Wurzeln aus dem Londoner East End selbst als „fanatischer Rechtsaußen“ in die Politik gekommen, wie er heute verlegen einräumt. Nicht zuletzt unter dem Einfluss seiner Ehefrau, die seit langem der Labour-Party angehört, entwickelte er sich zur politischen Mitte, machte sich für familienfreundliche Reformen stark.

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Ganz wurde man dabei den Eindruck nicht los, die politische Verwandlung habe damit zu tun, dass Bercow für die Wahl zum Speaker die Stimmen gemäßigter Labour-Leute sowie der wachsenden Zahl weiblicher Abgeordneter brauchte.

Geht es auch um Opportunismus?

Sein jüngster Schritt sieht weniger nach Opportunismus aus – oder hat ihm Labour-Chef Keir Starmer die Berufung ins Oberhaus versprochen? „Es gab keine Diskussion darüber, ich habe nicht darum gebeten“, beteuert Bercow, der nie ein Hehl daraus gemacht hat, wie gern er ins geliebte Parlament zurückkehren würde.

Vielmehr seien Labours Werte wie das Eintreten für Gleichberechtigung und progressiven Wandel der Grund für seinen Eintritt. Starmer setze sich ehrlich für die Verbesserung der Lebensverhältnisse im Land ein – anders als Premier Johnson. Der habe „keine Vision für eine gerechtere Gesellschaft“, nur „leere Slogans und Lügen“.

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