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Ein Bild aus dem April 2020: Kyrill I., Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, leitet in der Christ-Erlöser-Kathedrale den Hauptgottesdienst der Kirche zur Feier des orthodoxen Osterfestes.

© dpa

Oligarch der Religionen: Patriarch Kyrill und Putins Krieg

Wer Putins Krieg gegen die Ukraine Einhalt gebieten will, hat auch in Kyrill einen bedeutenden Gegner. Eine Analyse.

Die weltweit mehr als 220 Millionen orthodoxen Christen bilden nach Katholiken und Protestanten die drittgrößte christliche Konfession. Von ihnen gehören rund 150 Millionen zum Moskauer Patriarchat. Seit 2009 herrscht dort Kyrill I., Wladimir Michailowitsch Gundjajew. Er kommt aus Waldimir Putins Heimatstadt St. Petersburg und war früher aktiver Offizier des KGB.

Die russisch-orthodoxe Kirche versucht schon länger, die Macht innerhalb der orthodoxen Kirche zu übernehmen. Von Kritikern wird Kyrill deshalb „Religionsoligarch“ genannt. Obwohl es kein gemeinsames Oberhaupt gibt, gibt es eine Rangfolge der Autoritäten.

Bis 2018 stand der russische Patriarch auf Rang fünf, an erster Stelle der Patriarch von Konstantinopel, also Istanbul, der Mutterkirche. Von dort haben alle orthodoxen Kirchen ihre Unabhängigkeit bekommen. 2018 hat Konstantinopel entschieden, auch der Kirche in der Ukraine die Unabhängigkeit zu gewähren.

Die will sich schon seit der Krim-Annexion 2014 von Moskau trennen. Der Moskauer Patriarch erklärte daraufhin, dass man weder mit der orthodoxen Kirche in Konstantinopel noch mit irgendeiner anderen Kirche, die diese Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche anerkennt, weiter Kontakt haben wolle. Alle, die die Unabhängigkeit der orthodoxen Kirche in der Ukraine anerkennen, sind danach Kirchenspalter.

Immer mehr Bischöfe in der Ukraine sagen sich von Kyrill los

Der russisch-orthodoxe Metropolit von Kiew hatte zu Beginn des Krieges eine Botschaft an den Patriarchen in Moskau gesandt und ihn angefleht, auf Putin einzuwirken. Doch Kyrill hat nichts dergleichen unternommen. Seither sagen sich immer mehr Bischöfe in der Ukraine von ihm los.

Der Patriarch verglich daraufhin die Situation mit derjenigen von Geistlichen in Berlin 1942, zu Zeiten der Naziherrschaft. Die „Entnazifizierung“ der Ukraine ist ja laut Putin ein Ziel seines Krieges.

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Die Wiederherstellung des Friedens geschieht nach Kyrill dann, wenn die „Kräfte des Bösen“ die Waffen niederlegen. Gemeint ist eine Kapitulation der Ukraine. Die Ukraine gehört nach seiner Auffassung zum „heiligen Rus“.

Die Vorstellung der russisch-orthodoxen Kirche deckt sich mit der staatlichen Politik. Liberale Demokratie, Akzeptanz von Homosexualität, religiöse und gesellschaftliche Pluralität – das lehnen sowohl der Staat wie auch die russisch-orthodoxe Kirche ab. Das Konzept heißt „Russkij Mir“ – russische Welt. Kyrill hat schon 2020 erklärt, dass alle Gebiete, die geschichtlich einmal von Russland abhängig waren, zum „Heiligen Rus“ gehören und man sie wiedergewinnen sollte. Wer Putins Krieg gegen die Ukraine Einhalt gebieten will, hat also auch in Kyrill einen bedeutenden Gegner.

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