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Nicht nur heiße Luft. In der Debattenkultur um Rassismus könnten wir wirklich weitergekommen sein.

© Paul Zinken/dpa

Özil und MeTwo: Endlich wird Rassismus auch Rassismus genannt

Eine Wende in der Debattenkultur: Der Begriff Rassismus wird nun offensiv benutzt. Und Betroffene bestimmen selbst, worüber geredet wird. Eine Kolumne.

Führen wir jetzt wirklich eine Rassismusdebatte? Lange Zeit war das Wort „Rassismus“ in Deutschland tabuisiert. Wer es aussprach, eröffnete keine Debatte, sondern riskierte, von ihr ausgeschlossen zu werden. Noch immer höre und lese ich hin und wieder das Wort „Fremdenfeindlichkeit“, ein Ersatzwort für den „Rassismus“, der nicht angesprochen werden durfte. Ein problematischer Begriff allerdings, durch den die Betroffenen in der Beschreibung des Unrechts, das ihnen angetan wurde, ein weiteres Mal zu „Fremden“ gemacht, also von ihrer Zugehörigkeit suspendiert werden.

In den Debatten der vergangenen Jahre ging es meistens darum, ob „Migranten“ anpassungsfähig seien. Mit „Migranten“ waren oft keine „Migranten“ gemeint, sondern Menschen, die in Deutschland sozialisiert waren, aber deren Eltern oder Großeltern aus einem anderen Land kamen. Dieses andere Land war lange Zeit hauptsächlich die Türkei, dann waren es muslimische Länder im Allgemeinen, jedenfalls meinte niemand Schweden.

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Erst seit einigen Jahren ist das Wort „Rassismus“ allmählich in öffentlichen Debatten sagbar geworden. Selbst in der „Sarrazindebatte“ 2010 wagten nur wenige das Wort auszusprechen – obwohl Sarrazin biologistisch Menschengruppen unterschiedliche kognitive Kapazität zuordnete. Wenn das Wort „Rassismus“ fiel, dann meistens als Kritik an einer Debatte; als Hinweis auf eine Schieflage der Diskussion, in der über, aber nicht mit Menschen geredet wird.

Wer diskriminiert wird, hat erstmals Einfluss auf die Debatte

Jetzt zum ersten Mal, so scheint es, haben wir eine Debatte über Rassismus selbst. Ausgelöst durch den Rücktritt eines deutschtürkischen Fußball-Weltstars aus der deutschen Nationalmannschaft, berichten tausende Menschen über ihre eigene Rassismuserfahrung (teils mit dem Hashtag #metwo). Dies könnte, wie der „Spiegel“ schreibt, eine Wende in der Debattenkultur bedeuten, wenn endlich auf Augenhöhe diskutiert würde.

Die Debatte weist eine zweite Besonderheit auf: Den Rahmen hat jemand gesetzt, der selbst betroffen ist. Im Kontext von Rassismus passiert das selten, denn es bedarf eines gewissen Einflussvermögens, um gehört zu werden oder gar das Thema der Diskussion vorzugeben. Nur zeichnet sich Rassismus gerade durch eine Machtasymmetrie aus: Die Betroffenen sind denjenigen, die ihnen diskriminierend begegnen, strukturell unterlegen – in der Schule, bei der Polizei, im Krankenhaus, auf dem Wohnungsmarkt und eben auch im öffentlichen Diskurs.

Ein Signal der Selbstermächtigung

Diese Debatte ist also gekennzeichnet von zwei Merkmalen, die sie von vorangegangenen abhebt: Das eine zeigt, dass wir vielleicht doch ein Stück weitergekommen sind in den ewigen Debatten um „Integration“, weil „Rassismus“ nicht nur sagbar geworden ist, sondern das Debattenthema selbst sein kann. Die andere Besonderheit könnte ein Signal der Selbstermächtigung sein, weil ein Betroffener bestimmt, worüber geredet wird.

Und doch bleibt ein Aspekt ganz typisch: den Betroffenen zuzuhören, ohne sofortigen Abwehrreflex, fällt schwer. Anstatt darüber nachzudenken, wie Rassismus verringert werden soll, wie Betroffene besser geschützt werden, wird – mal wieder – die Frage gestellt, ob es in Deutschland Rassismus überhaupt gibt oder nicht. Das ist schade, weil eine solche Frage die Möglichkeit, das eigene Handeln zu hinterfragen, abermals aufschiebt. Schade ist das übrigens nicht für diejenigen, die von Rassismus betroffen sind, sondern für diejenigen, die ihn ausüben. Sie bleiben es sich selbst schuldig, die Machtstrukturen zu reflektieren, in die sie verstrickt sind.

Deniz Utlu

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