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Cem Özdemir am Dienstag im Bundestag in Berlin.

© John MacDougall/AFP

Özdemirs gescheiterte Kandidatur: Den Versuch war's wert

Cem Özdemir ist in seiner Grünen-Fraktion geschätzt, dennoch wollte sie ihn nicht als Chef haben. Das lag wohl auch an der Angst vor seinen „Egotrips“.

Cem Özdemir hat geahnt, dass er scheitern kann. Und doch wollte der Grünen-Politiker es unbedingt noch einmal wissen. Vor zwei Wochen kündigte er überraschend an, sich im Team mit der Bremerin Kirsten Kappert-Gonther für den Fraktionsvorsitz der Grünen im Bundestag zu bewerben.

Eine Kandidatur mit Risiko: Nach neun Jahren als Parteichef gehört Özdemir zwar in der Öffentlichkeit zu den bekanntesten Grünen-Politikern, wurde sogar als möglicher Nachfolger des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann gehandelt. Aber er wusste auch von vornherein, dass er in den eigenen Reihen nicht nur Fans hat.
Am Dienstagnachmittag stehen die 67 Grünen-Bundestagsabgeordneten vor der Wahl, ob sie auf das bisherige Führungsduo setzen – oder auf einen Neuanfang. Die Amtsinhaber Katrin Göring- Eckardt und Anton Hofreiter, die seit 2013 die Fraktion führen, galten vor der Wahl als Favoriten. Doch ganz sicher konnten sie ihrer Sache nicht sein.
Einer der beiden Vorsitzendenposten ist bei den Grünen laut Satzung für eine Frau reserviert. Im ersten Wahlgang setzte sich Göring- Eckardt mit 41 zu 19 Stimmen gegen ihre Herausforderin Kappert-Gonther durch. Für Özdemir war damit absehbar, dass er es im zweiten Wahlgang gegen Hofreiter schwer haben würde.

Denn als ungeschriebene Regel gilt, dass in der Führung Realos und Parteilinke vertreten sein sollen. Göring-Eckardt gehört ebenso wie Özdemir zu den Realos. Hofreiter erhielt 39 Stimmen, für Özdemir stimmten 27 Abgeordnete.

Ein starker Wahlkämpfer und ein hervorragender Redner

Bei den Grünen bestreitet niemand, dass Özdemir ein „starker Wahlkämpfer“ ist und „hervorragende Reden“ hält (Göring-Eckardt über Özdemir). Seine Abrechnung mit der AfD im Parlament wurde als „Rede des Jahres“ ausgezeichnet, in solchen Momenten freuen sich alle bei den Grünen über das rhetorische Talent des türkischstämmigen Schwaben.

Viele betonen auch anerkennend, dass es ihm gelinge, Menschen anzusprechen, die nicht zum klassisch grünen Milieu gehören. Doch in Teilen der Partei, insbesondere beim linken Flügel, hält sich die Sorge, dass Özdemir zu „Egotrips“ neige. Seine Kritiker verweisen auf die Zeit, in der Özdemir gemeinsam mit Simone Peter die Partei führte – und die beiden sich öffentlich immer wieder beharkten. Manche im linken Flügel wollten außerdem lieber Göring-Eckardt mit ihrem gemäßigten Realokurs in der ersten Reihe haben als Özdemir, der sich mit seinen Positionen auch schon mal gegen die Parteilinie profiliert. In den vergangenen Wochen versuchte Özdemir, Zweifel an seiner Person auszuräumen. Seine Unterstützer verwiesen darauf, dass er sich nach dem Rückzug von der Parteispitze nach der Bundestagswahl 2017 „brav“ in die zweite Reihe zurückgezogen und sein Amt als Vorsitzender des Verkehrsausschusses ausgefüllt habe.

Auch seine Mitbewerberin Kirsten Kappert-Gonther versicherte, sie halte ihn für einen Teamspieler. Die beiden konnten sich auch deshalb in ihrer Kandidatur bestärkt fühlen, weil es in der Fraktion hinter den Kulissen Kritik am Duo Göring-Eckardt/Hofreiter gab. Schon bei der letzten Vorsitzendenwahl hatten die beiden nur rund zwei Drittel der Stimmen bekommen, obwohl sie keine Gegenkandidaten hatten. Özdemir und Kappert-Gonther griffen diese Stimmung auf und versprachen der Fraktion „neuen Schwung“ und eine andere Sichtbarkeit als Oppositionskraft im Bundestag.

Die Geschlossenheit der Grünen wird durch sie nicht in Frage gestellt

Göring-Eckardt und Hofreiter konterten mit der Ansage, dass sie die Fraktion weiter „aus der Mitte heraus“ führen wollten. Ihr Versprechen war auch, die Geschlossenheit der Grünen nicht infrage zu stellen, die mit der Wahl von Annalena Baerbock und Robert Habeck als Grünen-Chefs das öffentliche Bild der Partei in den vergangenen anderthalb Jahren geprägt hat. Während früher die Bundestagsfraktion als das „Machtzentrum“ der Grünen gegolten hatte, überließen Göring-Eckardt und Hofreiter den beiden Parteichefs die Bühne. Zu geräuschlos, monierten die einen. Immerhin kein Streit, lobten andere. Ohnehin tauge die Personalentscheidung nicht zum Richtungsstreit, heißt es bei vielen Abgeordneten. Schließlich hätten auch die Herausforderer keine inhaltliche Kurskorrektur angekündigt, sondern vor allem einen anderen Auftritt nach außen und eine offenere Debattenkultur versprochen.

Und die, so berichtet es ein langjähriges Fraktionsmitglied, habe sich durch die Kampfkandidatur schon deutlich verbessert: Es sei eine neue „Dynamik“ entstanden. Und was macht Özdemir nun? Er habe weiter das Vergnügen, im Verkehrsausschuss auf Andreas Scheuer zu treffen, sagt er nach der Fraktionssitzung. „Die Erde wird sich weiterdrehen.“

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