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Der frühere EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger.

© Thierry Monasse/dpa

Oettinger zur CDU-Krise: „Vorgezogene Neuwahlen wären nicht erstrebenswert“

Der frühere Haushaltskommissar Oettinger ordnet die Krise der CDU aus europäischer Sicht ein. Beim EU-Etat fordert er deutsche Zugeständnisse. Ein Interview.

Günther Oettinger war bis zum November des vergangenen Jahres EU-Haushaltskommissar in Brüssel. Inzwischen arbeitet er als Wirtschafts- und Politikberater. An diesem Donnerstag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel zum Gipfel, um einen Kompromiss bei den Verhandlungen über den kommenden Sieben-Jahres-Haushalt der Gemeinschaft zu finden. Oettinger glaubt nicht daran, dass es schon in dieser Woche zu einer Einigung kommt.

Herr Oettinger, an diesem Donnerstag versammeln sich die Staats- und Regierungschefs der EU, um eine Lösung im Streit um den EU-Haushalt für die Jahre zwischen 2021 und 2027 zu finden. Wie bewerten Sie als ehemaliger EU-Haushaltskommissar die Kompromisssuche?
Es ist gut, dass sich die Staats- und Regierungschefs jetzt erstmals wirklich intensiv mit dem Haushaltsrahmen für die nächsten sieben Jahren beschäftigen. Das ist überfällig. Denn schon jetzt ist absehbar, dass die Haushaltspolitik nicht am 1. Januar 2021 auf neuer Grundlage voll anlaufen wird. Jetzt besteht die Gefahr, dass auf mehreren Feldern der EU-Politik im kommenden Jahr wertvolle Monate verloren gehen. Dazu zählen die Kohäsionspolitik zur Förderung ärmerer Regionen, die Agrar- sowie die Forschungspolitik.

Gehen Sie davon aus, dass es diese Woche eine Lösung im Haushaltsstreit gibt?
Die Ausgangspositionen zwischen den einzelnen EU-Staaten sind leider immer noch sehr weit voneinander entfernt. Ich rechne nicht damit, dass es beim Gipfel am Donnerstag und Freitag zu einem Durchbruch kommen wird.

Gehört Deutschland zu den Ländern, die eine Einigung erschweren?
Die EU darf keine Schulden machen, wenn sie ihre vielfältigen Aufgaben finanziert. Durch den Austritt Großbritanniens fehlen der Gemeinschaft im kommenden Jahr zwölf Milliarden Euro, in sieben Jahren werden es 14 Milliarden Euro sein. Diese Lücke müssen wir füllen. Hinzu kommt, dass es neue politische Aufgaben gibt, die auf europäischer Ebene finanziert werden müssen, weil sich so sogar Geld sparen lässt. Es ist schlichtweg zu wenig, wenn die Bundesregierung den nächsten europäischen Etat bei 1,0 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung begrenzen will.

Kanzlerin Angela Merkel hat angedeutet, dass Deutschland einen größeren Beitrag als bislang geplant zum EU-Budget beisteuern könnte, falls es Umschichtungen zu Gunsten des Klimaschutzes und zu Lasten der Agrarpolitik gibt. Ist der Vorschlag vernünftig?
Der Vorschlag ist zumindest interessant, weil er im Gegensatz zum Koalitionsvertrag steht. Die Modernisierung des künftigen EU-Budgets ist notwendig. aber auch die Agrarprogramme bleiben wichtig, weil für die Landwirtschaft Aufgaben beim Klimaschutz vorgesehen sind. Ich habe eine maßvolle Kürzung des Agrarbudgets um fünf Prozent vorgeschlagen, weil sich Irland, Spanien, Polen und bisher auch Deutschland gegen Einschnitte bei den Ausgaben für die Landwirtschaft gewehrt haben. Deshalb bin ich jetzt gespannt, wie die endgültige Position Deutschlands sein wird.

Berlin wünscht sich, dass es für die Berliner Beitragszahlungen weiterhin einen Rabatt geben sollte. Ansonsten, so lautet die Befürchtung, würden Deutschland, Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande 75 Prozent des künftigen Haushalts schultern müssen. Haben Sie Verständnis für derartige Sorgen?
Jeder Mitgliedstaat zahlt in die EU-Kasse anteilig zu seinem Bruttoinlandsprodukt ein. Es gab dabei einen Rabatt für die Briten, der aus den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts stammt. Damals bestand der europäische Haushalt auf der Ausgabenseite zu zwei Dritteln aus Fördergeldern für den Agrarbereich. Von diesen Fördergeldern profitierte Großbritannien erkennbar zu wenig, und deshalb setzte die damalige Premierministerin Margaret Thatcher einen Rabatt bei den Einzahlungen für ihr Land durch. Das war gewissermaßen die „Mutter aller Rabatte“, aus denen für Länder wie Deutschland wiederum eigene Rabatte abgeleitet wurden.

Heute liegt der Agrarhaushalt laut meinem Vorschlag noch bei knapp 30 Prozent. Inzwischen haben die Briten die EU verlassen. Und damit gibt es eigentlich keinen Grund mehr, die „Kinder des Rabatts“ weiter zu erhalten. Ich habe einen Vorschlag für ein sanftes Abschmelzen dieser Rabatte gemacht. Die Mehrzahl der EU-Länder will sogar eine sofortige Streichung. Deshalb kann Deutschland den bisherigen Rabatt kaum vollständig in Anspruch nehmen.

Das EU-Parlament hat gedroht, den Haushalt zu blockieren, wenn die Mitgliedstaaten den Forderungen der Abgeordneten nicht weit genug entgegenkommen. Droht damit ein Haushaltsnotstand im kommenden Jahr?
Ich nehme die Drohung mit der Blockade ernst. Das Parlament wird derzeit zu wenig in die Beratungen über den Haushalt einbezogen. Zu Recht haben sich die Abgeordneten auf den Standpunkt gestellt, dass sich mit einem Budget mit einem Umfang von 1,0 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung die Aufgaben für den Kontinent in den kommenden Jahren nicht finanzieren lassen. Aber ein Haushaltsnotstand droht nicht. Denn wenn es bis zum Jahresende nicht zur Einigung zwischen Parlament und Mitgliedstaaten kommt, dann würden wir 2021 den Haushalt monatsweise in der Struktur des Etats von 2020 fortführen. Das würde allerdings bedeuten, dass weniger Geld als geplant für Aufgaben wie Digitales oder die Bewältigung der Migration oder zur Verfügung stehen wird.

Berlin übernimmt in der zweiten Jahreshälfte die EU-Präsidentschaft. Halten Sie es für denkbar, dass es in dieser Phase Neuwahlen in Deutschland gibt?
Ich hoffe nicht darauf. Zum einen wäre das aus der Perspektive der EU nicht wünschenswert. Wir brauchen eine stabile Regierung und einen EU-Ratsvorsitz, der nicht durch Wahlkampf und Regierungsbildung beeinträchtigt wird. Aus Sicht der Wähler wären vorgezogene Neuwahlen ebenfalls nicht erstrebenswert. Denn sie erwarten, dass der Bundestag und die Bundesregierung ihre Verpflichtungen bis zum Herbst 2021 erfüllen. Mit jedem Tag, mit dem die reguläre Bundestagswahl im Herbst 2021 näherrückt, gibt es weniger Gründe für vorgezogene Neuwahlen.

Friedrich Merz, Armin Laschet, Jens Spahn, Norbert Röttgen – wer ist in Ihren Augen unter diesen CDU-Politikern Favorit für die Kanzlerkandidatur der Union?
Ich erhoffe mir von den vielfachen Gesprächen in dieser Woche einiges. Ich baue darauf, dass alle Beteiligten einen Wettstreit vermeiden wollen, wie er beim letzten Mal beim CDU-Parteitag in Hamburg im Dezember 2018 auf offener Bühne stattfand. Nachdem wir jetzt vier potenzielle Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen haben, erwarte ich auch vom dortigen Landesvorstand eine gewisse Vorentscheidung. Ich war ja auch einmal fünf Jahre lang CDU-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg. Wenn ich vier Kandidaten gehabt hätte, dann hätte ich alles getan, um in Berlin nicht mir vier Bewerbern aufzutreten, sondern die Teambildung schon in meinem Landesverband voranzubringen.

Was halten Sie von Röttgens Kandidatur?
Röttgen ist ein erfahrener, gewichtiger, kluger Kopf. Röttgen hat in der deutschen Politik Zukunft. Allerdings: Ich bezweifle, ob er genau mit dieser Bewerbung Erfolg haben wird.

Von welcher Partei sollte sich die Union künftig stärker abgrenzen – von der Linkspartei oder von der AfD?
Programmatisch von beiden Parteien. Aber wenn es um den Stil und die Bösartigkeit geht, mit der die Demokratie gefährdet wird, dann sollte sich die Union eindeutig stärker von der AfD abgrenzen.

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