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Karl Nehammer (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich

© Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Update

Österreichs Kanzler traf Putin: „Das Gespräch war sehr direkt, offen und hart“

Karl Nehammer ist der erste Regierungschef eines EU-Landes, der seit dem Angriff auf die Ukraine zu Putin nach Moskau gereist ist. Was hat das Treffen gebracht?

Eine Stunde hat es gedauert – das Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer in Putins Moskauer Vorstadtresidenz in Nowo-Ogarjowo.

Die wichtigste Botschaft des Bundeskanzlers an den russischen Präsidenten sei gewesen, dass dieser Krieg aufhören müsse, denn im Krieg gebe es auf beiden Seiten nur Verlierer, teilte das Kanzleramt mit. „Das Gespräch mit Präsident Putin war sehr direkt, offen und hart“, sagte der Kanzler laut Mitteilung. Er habe die Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Orten angesprochen und betont, dass all jene, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen seien.

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Er habe aber „keinen optimistischen Eindruck“ von dem Gespräch. Die russische Armee bereite eine Offensive in der Ostukraine vor, sagte Nehammer am Montagabend in Moskau vor Journalisten. „Diese Schlacht wird mit Vehemenz geführt werden.“ Deshalb müssten Zivilisten aus den umkämpften Gebieten über humanitäre Korridore in Sicherheit gebracht werden.

Nehammer hatte zuvor als erster Regierungschef eines EU-Landes seit dem Kriegsausbruch vor mehr als sechs Wochen mit Putin persönlich gesprochen.

Putin habe ein Misstrauen an den Tag gelegt, was die unabhängige Verfolgung der Kriegsverbrechen angehe, so Nehammer. Österreich habe aber angeboten, sich für eine Aufarbeitung durch die internationale Strafjustiz einzusetzen.

Nehammer verteidigte sein Treffen mit Putin auch gegen Kritik. Er habe im Machtzentrum der Russischen Föderation die Schrecken des Krieges direkt ansprechen wollen. „Es braucht die persönliche Konfrontation“, betonte er. Das Treffen mit Putin sei mit den Spitzen der EU und mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj abgesprochen gewesen.

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Erst am Samstag hatte der österreichische Regierungschef in Kiew den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen. Auch der britische Premierminister Boris Johnson, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragten Josep Borrell waren vor Ort gewesen.

Vieraugengespräch ohne Medien

Für seinen Besuch in Moskau haben Nehammer kein Mandat der EU, betonte der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg am Montag. Die Entscheidung sei aber mit Bundeskanzler Olaf Scholz, dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel abgesprochen.

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Schallenberg verteidigte das Treffen in Moskau gegen Kritik. „Es geht einfach darum, dass wir (...) jede Chance ergreifen müssen, um die humanitäre Hölle in der Ukraine zu beenden“, sagte er am Rande eines EU-Außenministertreffens in Luxemburg. „Jede Stimme, die dem Präsidenten Putin verdeutlicht, wie die Realität sich außerhalb der Mauern des Kremls wirklich darstellt, ist keine verlorene Stimme.“

Zu Befürchtungen, dass Putin Bilder vom Treffen für seine Zwecke nutzen könnte, sagte Schallenberg, der Besuch sei so besprochen, dass es ausschließlich ein Vieraugengespräch ohne Medien gebe. „Das heißt, aus unserer Warte ist alles getan, damit es eben nicht missbraucht wird“, sagte er.

Eine Falle?

„Falle oder Coup?“ Die „Kronen Zeitung“ in Österreich stellte angesichts des Besuchs Nehammers eine nahe liegende Frage. Österreich als neutrales Land, das nicht der Nato angehört, sieht sich gern in der Rolle des Brückenbauers. Dieses Bild möchte Nehammer bemühen und den Dialog vorantreiben. Persönliche Diplomatie statt Telefongespräche ist sein Motto. Neben der Türkei und Israel positioniert sich Österreich jedenfalls als weiteres mögliches Vermittlerland.

Enges Verhältnis zu Moskau

Jahrzehntelang hat Wien ein sehr enges Verhältnis zu Moskau gepflegt. Der österreichische Energiekonzern OMV hat schon vor mehr als 50 Jahren einen ersten Erdgasliefervertrag mit der damaligen Sowjetunion abgeschlossen. Heute kommen 80 Prozent des Gases aus Russland, was den Handlungsspielraum des Landes sehr einschränkt. Auch um Energiefragen sollte es bei dem Gespräch mit Putin gehen.

„Das Hauptthema ist die Lage der Dinge um die Ukraine. Auf der anderen Seite lässt sich eine Erörterung der Gasangelegenheiten auch nicht ausschließen, weil das Thema für die österreichische Seite ziemlich aktuell ist“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow vor dem Treffen. Es seien aber weder Bilder vom Auftakt des Treffens noch Informationen für die Medien von russischer Seite im Anschluss geplant gewesen. Putin will erst an diesem Dienstag Fragen von Journalisten beantworten.

Karin Kneissl (FPÖ), ehemalige Außenministerin, tanzte 2018 auf ihrer Hochzeit mit Gast Putin.
Karin Kneissl (FPÖ), ehemalige Außenministerin, tanzte 2018 auf ihrer Hochzeit mit Gast Putin.

© Alexei Druzhinin/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Immer wieder hofierten österreichische Spitzenpolitiker den Chef im Kreml. Die Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Wolfgang Schüssel (ÖVP) bekamen Jobs in Aufsichtsräten russischer Top-Firmen - die sie angesichts des Ukraine-Krieges aufgegeben haben. Schlagzeilen machte der Privatbesuch Putins 2018 bei der Hochzeit der damaligen Außenministerin Karin Kneissl, die sich mit einem Knicks bedankte.

Aktuell hat Österreich zwar alle EU-Sanktionen mitgetragen, aber auf seine Weise nicht zusätzlich die Fronten verhärtet. So hat Wien erst nach einigem Zögern einige wenige russische Diplomaten ausgewiesen. Skeptisch sieht Österreichs führender Russland-Experte Gerhard Mangott Nehammers Vorstoß. „Auch in Moskau weiß man, dass das kleine Österreich kein Gewicht hat, um auf die Meinungsbildung in der Europäischen Union zu Russland Einfluss zu nehmen“, sagte Mangott am Sonntagabend im ORF-Fernsehen.

Scholz begrüßt Initiative

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Reise des österreichischen Kanzlers nach Moskau begrüßt. Man befürworte „jegliche diplomatischen Bemühungen, die darauf abzielen, ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine zu erreichen und Grundvoraussetzungen für Verhandlungen zu schaffen zwischen der Ukraine und Russland“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag in Berlin.

Zur Frage, ob auch Scholz in absehbarer Zeit nach Moskau reisen werde, sagte sie: „In dieser Richtung sehe ich jetzt im Moment keinerlei Pläne.“ (dpa)

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